pgo_XII.001 sich wieder aus einem Mittelpunkte heraus mit voller Kraft pgo_XII.002 entwickele, und die Nation mit Energie in die Kreise ihrer großen Talente pgo_XII.003 gebannt werde! Jetzt herrscht eine grenzenlose Verwirrung der kritischen pgo_XII.004 Principien, ganz abgesehn vom Lob der Kameraderie und den verschiedenen pgo_XII.005 Aeußerungen der Parteiwuth; große Talente werden durch kleinlich pgo_XII.006 mäkelnde Beurtheilung auf das Niveau der Mittelmäßigkeit herabgedrückt, pgo_XII.007 der Glauben an die dichterische Kraft der Gegenwart durch die pgo_XII.008 grundlosesten Behauptungen erschüttert. Kein kritisches Organ hat einen pgo_XII.009 unbedingt konangebenden Einfluß; keins nimmt auf das andere Rücksicht; pgo_XII.010 keine Association der Kräfte ersetzt an Macht, was dem Einzelnen fehlt! pgo_XII.011 Und doch kann auch kein Einzelner eine Poetik schaffen, welche als gesetzgebender pgo_XII.012 codex auch nur für eine Majorität anerkannte Gültigkeit hätte! pgo_XII.013 Wie weit bin ich von solcher Anmaßung entfernt! Nur ein solches Werk pgo_XII.014 anzubahnen, ist mein Bestreben, indem ich die dichterische Arbeit des pgo_XII.015 Zeitgeistes selbst zu seiner Grundlage mache und als ihr Jnterpret auftrete, pgo_XII.016 statt eine willkürliche Diktatur nach selbsterfundenen Regeln auszuüben. pgo_XII.017 Und nur wenn die Poesie der Gegenwart anerkennt, daß ich für pgo_XII.018 ihre Bestrebungen und Leistungen die richtige Formel gefunden: dann ist pgo_XII.019 meinem Werk ein gewisser Halt verliehn und eine weiter zeugende Lebenskraft; pgo_XII.020 dann wird es sein Scherflein dazu beitragen, daß die blinde Willkür pgo_XII.021 kritischer Diktatoren nicht mehr begründeten Ruhm verdunkeln und pgo_XII.022 das Publikum irreführen kann, daß die Phrase als Phrase gebrandmarkt pgo_XII.023 wird, die Dichtkunst auf sicheren Bahnen nach festen Zielen ringt und die pgo_XII.024 Nation erkennen lernt, was sie an ihren Dichtern hat!
pgo_XII.025 So möge dies Werk denn hingehn, und wenn es nur die Theilnahme pgo_XII.026 der Leser für die Poesie, besonders für die moderne erweckt und wachhält, pgo_XII.027 so ist es nicht umsonst geschrieben worden, mögen auch alle höheren Ziele, pgo_XII.028 die mir lockend vor der Seele schwebten, an der Unzulänglichkeit meiner pgo_XII.029 Kraft gescheitert sein!
pgo_XII.030
Rudolph Gottschall.
pgo_XII.001 sich wieder aus einem Mittelpunkte heraus mit voller Kraft pgo_XII.002 entwickele, und die Nation mit Energie in die Kreise ihrer großen Talente pgo_XII.003 gebannt werde! Jetzt herrscht eine grenzenlose Verwirrung der kritischen pgo_XII.004 Principien, ganz abgesehn vom Lob der Kameraderie und den verschiedenen pgo_XII.005 Aeußerungen der Parteiwuth; große Talente werden durch kleinlich pgo_XII.006 mäkelnde Beurtheilung auf das Niveau der Mittelmäßigkeit herabgedrückt, pgo_XII.007 der Glauben an die dichterische Kraft der Gegenwart durch die pgo_XII.008 grundlosesten Behauptungen erschüttert. Kein kritisches Organ hat einen pgo_XII.009 unbedingt konangebenden Einfluß; keins nimmt auf das andere Rücksicht; pgo_XII.010 keine Association der Kräfte ersetzt an Macht, was dem Einzelnen fehlt! pgo_XII.011 Und doch kann auch kein Einzelner eine Poetik schaffen, welche als gesetzgebender pgo_XII.012 codex auch nur für eine Majorität anerkannte Gültigkeit hätte! pgo_XII.013 Wie weit bin ich von solcher Anmaßung entfernt! Nur ein solches Werk pgo_XII.014 anzubahnen, ist mein Bestreben, indem ich die dichterische Arbeit des pgo_XII.015 Zeitgeistes selbst zu seiner Grundlage mache und als ihr Jnterpret auftrete, pgo_XII.016 statt eine willkürliche Diktatur nach selbsterfundenen Regeln auszuüben. pgo_XII.017 Und nur wenn die Poesie der Gegenwart anerkennt, daß ich für pgo_XII.018 ihre Bestrebungen und Leistungen die richtige Formel gefunden: dann ist pgo_XII.019 meinem Werk ein gewisser Halt verliehn und eine weiter zeugende Lebenskraft; pgo_XII.020 dann wird es sein Scherflein dazu beitragen, daß die blinde Willkür pgo_XII.021 kritischer Diktatoren nicht mehr begründeten Ruhm verdunkeln und pgo_XII.022 das Publikum irreführen kann, daß die Phrase als Phrase gebrandmarkt pgo_XII.023 wird, die Dichtkunst auf sicheren Bahnen nach festen Zielen ringt und die pgo_XII.024 Nation erkennen lernt, was sie an ihren Dichtern hat!
pgo_XII.025 So möge dies Werk denn hingehn, und wenn es nur die Theilnahme pgo_XII.026 der Leser für die Poesie, besonders für die moderne erweckt und wachhält, pgo_XII.027 so ist es nicht umsonst geschrieben worden, mögen auch alle höheren Ziele, pgo_XII.028 die mir lockend vor der Seele schwebten, an der Unzulänglichkeit meiner pgo_XII.029 Kraft gescheitert sein!
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Rudolph Gottschall.
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sich wieder aus einem Mittelpunkte heraus mit voller Kraft pgo_XII.002
entwickele, und die Nation mit Energie in die Kreise ihrer großen Talente pgo_XII.003
gebannt werde! Jetzt herrscht eine grenzenlose Verwirrung der kritischen pgo_XII.004
Principien, ganz abgesehn vom Lob der Kameraderie und den verschiedenen pgo_XII.005
Aeußerungen der Parteiwuth; große Talente werden durch kleinlich pgo_XII.006
mäkelnde Beurtheilung auf das Niveau der Mittelmäßigkeit herabgedrückt, pgo_XII.007
der Glauben an die dichterische Kraft der Gegenwart durch die pgo_XII.008
grundlosesten Behauptungen erschüttert. Kein kritisches Organ hat einen pgo_XII.009
unbedingt konangebenden Einfluß; keins nimmt auf das andere Rücksicht; pgo_XII.010
keine Association der Kräfte ersetzt an Macht, was dem Einzelnen fehlt! pgo_XII.011
Und doch kann auch kein Einzelner eine Poetik schaffen, welche als gesetzgebender pgo_XII.012
codex auch nur für eine Majorität anerkannte Gültigkeit hätte! pgo_XII.013
Wie weit bin ich von solcher Anmaßung entfernt! Nur ein solches Werk pgo_XII.014
anzubahnen, ist mein Bestreben, indem ich die dichterische Arbeit des pgo_XII.015
Zeitgeistes selbst zu seiner Grundlage mache und als ihr Jnterpret auftrete, pgo_XII.016
statt eine willkürliche Diktatur nach selbsterfundenen Regeln auszuüben. pgo_XII.017
Und nur wenn die Poesie der Gegenwart anerkennt, daß ich für pgo_XII.018
ihre Bestrebungen und Leistungen die richtige Formel gefunden: dann ist pgo_XII.019
meinem Werk ein gewisser Halt verliehn und eine weiter zeugende Lebenskraft; pgo_XII.020
dann wird es sein Scherflein dazu beitragen, daß die blinde Willkür pgo_XII.021
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Nation erkennen lernt, was sie an ihren Dichtern hat!
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der Leser für die Poesie, besonders für die moderne erweckt und wachhält, pgo_XII.027
so ist es nicht umsonst geschrieben worden, mögen auch alle höheren Ziele, pgo_XII.028
die mir lockend vor der Seele schwebten, an der Unzulänglichkeit meiner pgo_XII.029
Kraft gescheitert sein!
pgo_XII.030
Rudolph Gottschall.
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. RXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/18>, abgerufen am 21.11.2024.
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