Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_190.001 When You, great duke, shrunk trembling in Your palace, pgo_190.002 pgo_190.004And saw Your wife, the Adriatic, ploughed pgo_190.003 Like a lewd whore, by bolder prows than Yours. Otway, Venice preserved. pgo_190.005 pgo_190.006 Schiller, Fiesco. pgo_190.009 So wird fortan in allen künft'gen Tagen pgo_190.026 Hoch über allem Schmerz und aller Lust pgo_190.027 Dein Bild als ew'ge Pyramide ragen pgo_190.028 Jn der Sahara meiner tiefsten Brust -- pgo_190.029 pgo_190.001 When You, great duke, shrunk trembling in Your palace, pgo_190.002 pgo_190.004And saw Your wife, the Adriatic, ploughed pgo_190.003 Like a lewd whore, by bolder prows than Yours. Otway, Venice preserved. pgo_190.005 pgo_190.006 Schiller, Fiesco. pgo_190.009 So wird fortan in allen künft'gen Tagen pgo_190.026 Hoch über allem Schmerz und aller Lust pgo_190.027 Dein Bild als ew'ge Pyramide ragen pgo_190.028 Jn der Sahara meiner tiefsten Brust — pgo_190.029 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0212" n="190"/> <lb n="pgo_190.001"/> <lg> <l> <hi rendition="#aq">When You, great duke, shrunk trembling in Your palace,</hi> </l> <lb n="pgo_190.002"/> <l> <hi rendition="#aq">And saw Your <hi rendition="#g">wife,</hi> the <hi rendition="#g">Adriatic, ploughed</hi></hi> </l> <lb n="pgo_190.003"/> <l><hi rendition="#aq">Like a <hi rendition="#g">lewd whore,</hi> by bolder prows than Yours</hi>.</l> </lg> <lb n="pgo_190.004"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Otway,</hi> Venice preserved</hi>.</hi> </p> <p><lb n="pgo_190.005"/> Unziemlich und ungereimt zugleich das folgende:</p> <p><lb n="pgo_190.006"/> „Unglückselige Schwungsucht! uralte Buhlerin! Engel küßten an deinem Halse <lb n="pgo_190.007"/> den Himmel hinweg und der Tod sprang aus deinem kreißenden Bauche.</p> <lb n="pgo_190.008"/> <p> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Schiller,</hi> Fiesco.</hi> </p> <p><lb n="pgo_190.009"/> Gelehrte und weit hergeholte Bilder finden sich zahlreich bei Lohenstein; <lb n="pgo_190.010"/> doch sind auch <hi rendition="#g">Schiller</hi> und <hi rendition="#g">Goethe,</hi> der Richtung unserer <lb n="pgo_190.011"/> klassischen Literaturepoche gemäß, nicht davon freigeblieben. Beispiele <lb n="pgo_190.012"/> für die letzte Art der Geschmacklosigkeit sind nicht selten. Man weiß sich <lb n="pgo_190.013"/> oft zunächst nicht Rechenschaft zu geben von dem unbefriedigenden Eindruck, <lb n="pgo_190.014"/> den ein solches Bild hervorruft, bis man sich davon überzeugt, daß <lb n="pgo_190.015"/> die Unähnlichkeiten der verglichenen Gegenstände so auffallend sind, daß <lb n="pgo_190.016"/> sie sich der Phantasie, der zum Dichter betonten Aehnlichkeit zum Trotz, <lb n="pgo_190.017"/> aufdrängen. Wenn Gruen „Gott“ eine „graue, todte <hi rendition="#g">Pyramide</hi>“ <lb n="pgo_190.018"/> in der einsamen Wüste eines Priesterherzens nennt: so ist die Vergleichung <lb n="pgo_190.019"/> des höchsten geistigen Wesens mit einem leblosen Mauerwerk gewiß störend, <lb n="pgo_190.020"/> wird aber zunächst durch die stimmungsvollen Beiwörter gemildert, und <lb n="pgo_190.021"/> dann durch das <hi rendition="#g">geistvolle</hi> <foreign xml:lang="lat">tertium comparationis</foreign>, indem „Gott“ von <lb n="pgo_190.022"/> diesem Priester nur als eine abstrakte todte „Spitze“ aufgefaßt wird, wie <lb n="pgo_190.023"/> die Pyramiden <hi rendition="#g">spitze</hi> am Saume der einsamen Wüste auftaucht. Wenn <lb n="pgo_190.024"/> aber <hi rendition="#g">Betty Paoli</hi> dies Bild für ihre eigene Liebesempfindung benutzt:</p> <lb n="pgo_190.025"/> <lg> <l>So wird fortan in allen künft'gen Tagen</l> <lb n="pgo_190.026"/> <l>Hoch über allem Schmerz und aller Lust</l> <lb n="pgo_190.027"/> <l>Dein Bild als <hi rendition="#g">ew'ge Pyramide</hi> ragen</l> <lb n="pgo_190.028"/> <l>Jn der <hi rendition="#g">Sahara</hi> meiner tiefsten Brust —</l> </lg> <p><lb n="pgo_190.029"/> so wird es im höchsten Grade geschmacklos. Die Aehnlichkeit, das <lb n="pgo_190.030"/> Monumentale und deshalb Unvergeßliche des Bildes im traurig einsamen <lb n="pgo_190.031"/> Herzen, verschwindet gegen die auffallende Unähnlichkeit der verglichenen <lb n="pgo_190.032"/> Gegenstände, indem der Begriff einer Pyramide, eines todten, <lb n="pgo_190.033"/> grauen, steinernen, spitz zulaufenden Bauwerkes, in allen seinen Bestimmungen <lb n="pgo_190.034"/> dem lebensvollen „Bilde des Geliebten“ so heterogen ist, daß <lb n="pgo_190.035"/> der Kontrast in's Komische hinüberspielt.</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [190/0212]
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When You, great duke, shrunk trembling in Your palace, pgo_190.002
And saw Your wife, the Adriatic, ploughed pgo_190.003
Like a lewd whore, by bolder prows than Yours.
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Otway, Venice preserved.
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Unziemlich und ungereimt zugleich das folgende:
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„Unglückselige Schwungsucht! uralte Buhlerin! Engel küßten an deinem Halse pgo_190.007
den Himmel hinweg und der Tod sprang aus deinem kreißenden Bauche.
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Schiller, Fiesco.
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Gelehrte und weit hergeholte Bilder finden sich zahlreich bei Lohenstein; pgo_190.010
doch sind auch Schiller und Goethe, der Richtung unserer pgo_190.011
klassischen Literaturepoche gemäß, nicht davon freigeblieben. Beispiele pgo_190.012
für die letzte Art der Geschmacklosigkeit sind nicht selten. Man weiß sich pgo_190.013
oft zunächst nicht Rechenschaft zu geben von dem unbefriedigenden Eindruck, pgo_190.014
den ein solches Bild hervorruft, bis man sich davon überzeugt, daß pgo_190.015
die Unähnlichkeiten der verglichenen Gegenstände so auffallend sind, daß pgo_190.016
sie sich der Phantasie, der zum Dichter betonten Aehnlichkeit zum Trotz, pgo_190.017
aufdrängen. Wenn Gruen „Gott“ eine „graue, todte Pyramide“ pgo_190.018
in der einsamen Wüste eines Priesterherzens nennt: so ist die Vergleichung pgo_190.019
des höchsten geistigen Wesens mit einem leblosen Mauerwerk gewiß störend, pgo_190.020
wird aber zunächst durch die stimmungsvollen Beiwörter gemildert, und pgo_190.021
dann durch das geistvolle tertium comparationis, indem „Gott“ von pgo_190.022
diesem Priester nur als eine abstrakte todte „Spitze“ aufgefaßt wird, wie pgo_190.023
die Pyramiden spitze am Saume der einsamen Wüste auftaucht. Wenn pgo_190.024
aber Betty Paoli dies Bild für ihre eigene Liebesempfindung benutzt:
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So wird fortan in allen künft'gen Tagen pgo_190.026
Hoch über allem Schmerz und aller Lust pgo_190.027
Dein Bild als ew'ge Pyramide ragen pgo_190.028
Jn der Sahara meiner tiefsten Brust —
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so wird es im höchsten Grade geschmacklos. Die Aehnlichkeit, das pgo_190.030
Monumentale und deshalb Unvergeßliche des Bildes im traurig einsamen pgo_190.031
Herzen, verschwindet gegen die auffallende Unähnlichkeit der verglichenen pgo_190.032
Gegenstände, indem der Begriff einer Pyramide, eines todten, pgo_190.033
grauen, steinernen, spitz zulaufenden Bauwerkes, in allen seinen Bestimmungen pgo_190.034
dem lebensvollen „Bilde des Geliebten“ so heterogen ist, daß pgo_190.035
der Kontrast in's Komische hinüberspielt.
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