pgo_256.001 daher nur in der Weise eines Cyklus zusammensetzen können, in welchem pgo_256.002 sich an einen Grundton eine ganze Skala von Stimmungen anreiht, in pgo_256.003 denen jeder Ton wieder der Grundton einer neuen Skala werden kann. pgo_256.004 Man kann lyrische Blumen zum Kranz winden, aber jede Blume hat ihr pgo_256.005 eigenes Recht, und der Accent ruht weniger auf dem Kranz, als auf der pgo_256.006 einzelnen Blume. Diese Vereinzelung gehört zum Wesen der pgo_256.007 Lyrik. Platen feiert Venedig in einem Sonettenkranz; der Grundton pgo_256.008 der Stimmung geht durch alle; aber es ist bald dieses, bald jenes Bild pgo_256.009 der Lagunenstadt, an das er seine dichterischen Reflexionen knüpft. Grünpgo_256.010 hat im "Schutt" vier Cyklen zu einem großen Cyklus vereint; aber in pgo_256.011 jedem ist es eine Reihenfolge einzelner Stimmungen und Bilder, die alle pgo_256.012 wieder eine selbstständige Bedeutung haben. Ein lyrischer Cyklus ist kein pgo_256.013 Organismus, den man seiner einzelnen Glieder nicht ohne Gefahr für pgo_256.014 das Ganze berauben könnte; im Gegentheil, gleich den niederen Klassen pgo_256.015 der Natur, hat jedes losgetrennte Glied des Ganzen sein eigenes Leben.
pgo_256.016 Die Einheit des lyrischen Gedichts ist von der des epischen und pgo_256.017 dramatischen wesentlich verschieden; der Begriff der Episode findet hier pgo_256.018 keinen Platz. Die Einheit ist nur eine Einheit der Stimmung und pgo_256.019 des Tons, welche die verschiedenartigsten Vorstellungen beherrschen kann. pgo_256.020 Ein Herausfallen aus dem Grundton wäre nicht episodisch, sondern ein pgo_256.021 Fehler, während auf der anderen Seite auch die entlegenste Kette von pgo_256.022 Vorstellungen keinen episodischen Charakter annimmt, wenn sie mit der pgo_256.023 Grundstimmung des Dichters zusammenhängt und auf sie zurückgeführt pgo_256.024 werden kann. Um das Räthsel der lyrischen Produktion zu lösen, muß pgo_256.025 man sich auf den psychologischen Standpunkt stellen. Man beobachte das pgo_256.026 eigene Gemüth, wenn es von einer Empfindung erregt und beherrscht pgo_256.027 wird! Welchen Träumereien giebt es sich hin! Welche Reihen von Vorstellungen pgo_256.028 gaukeln an ihm vorüber! Wie zufällig ist der Uebergang von pgo_256.029 der einen zur andern, wie locker ihre Verknüpfung! Wie verweilt es bei pgo_256.030 der einen mit ausmalender Geschäftigkeit, während es über die andere im pgo_256.031 Fluge hinwegeilt! Je reicher und lebendiger die Phantasie, desto glänzender, pgo_256.032 unerschöpflicher wird die Menge der Vorstellungen sein, welche sie pgo_256.033 der Empfindung zuführt; doch diese Empfindung selbst bleibt immer der pgo_256.034 Kern, an den die krystallinischen Gebilde der Phantasie anschießen. Jn pgo_256.035 diesen Träumereien des erregten Gemüthes finden wir das Vorbild des
pgo_256.001 daher nur in der Weise eines Cyklus zusammensetzen können, in welchem pgo_256.002 sich an einen Grundton eine ganze Skala von Stimmungen anreiht, in pgo_256.003 denen jeder Ton wieder der Grundton einer neuen Skala werden kann. pgo_256.004 Man kann lyrische Blumen zum Kranz winden, aber jede Blume hat ihr pgo_256.005 eigenes Recht, und der Accent ruht weniger auf dem Kranz, als auf der pgo_256.006 einzelnen Blume. Diese Vereinzelung gehört zum Wesen der pgo_256.007 Lyrik. Platen feiert Venedig in einem Sonettenkranz; der Grundton pgo_256.008 der Stimmung geht durch alle; aber es ist bald dieses, bald jenes Bild pgo_256.009 der Lagunenstadt, an das er seine dichterischen Reflexionen knüpft. Grünpgo_256.010 hat im „Schutt“ vier Cyklen zu einem großen Cyklus vereint; aber in pgo_256.011 jedem ist es eine Reihenfolge einzelner Stimmungen und Bilder, die alle pgo_256.012 wieder eine selbstständige Bedeutung haben. Ein lyrischer Cyklus ist kein pgo_256.013 Organismus, den man seiner einzelnen Glieder nicht ohne Gefahr für pgo_256.014 das Ganze berauben könnte; im Gegentheil, gleich den niederen Klassen pgo_256.015 der Natur, hat jedes losgetrennte Glied des Ganzen sein eigenes Leben.
pgo_256.016 Die Einheit des lyrischen Gedichts ist von der des epischen und pgo_256.017 dramatischen wesentlich verschieden; der Begriff der Episode findet hier pgo_256.018 keinen Platz. Die Einheit ist nur eine Einheit der Stimmung und pgo_256.019 des Tons, welche die verschiedenartigsten Vorstellungen beherrschen kann. pgo_256.020 Ein Herausfallen aus dem Grundton wäre nicht episodisch, sondern ein pgo_256.021 Fehler, während auf der anderen Seite auch die entlegenste Kette von pgo_256.022 Vorstellungen keinen episodischen Charakter annimmt, wenn sie mit der pgo_256.023 Grundstimmung des Dichters zusammenhängt und auf sie zurückgeführt pgo_256.024 werden kann. Um das Räthsel der lyrischen Produktion zu lösen, muß pgo_256.025 man sich auf den psychologischen Standpunkt stellen. Man beobachte das pgo_256.026 eigene Gemüth, wenn es von einer Empfindung erregt und beherrscht pgo_256.027 wird! Welchen Träumereien giebt es sich hin! Welche Reihen von Vorstellungen pgo_256.028 gaukeln an ihm vorüber! Wie zufällig ist der Uebergang von pgo_256.029 der einen zur andern, wie locker ihre Verknüpfung! Wie verweilt es bei pgo_256.030 der einen mit ausmalender Geschäftigkeit, während es über die andere im pgo_256.031 Fluge hinwegeilt! Je reicher und lebendiger die Phantasie, desto glänzender, pgo_256.032 unerschöpflicher wird die Menge der Vorstellungen sein, welche sie pgo_256.033 der Empfindung zuführt; doch diese Empfindung selbst bleibt immer der pgo_256.034 Kern, an den die krystallinischen Gebilde der Phantasie anschießen. Jn pgo_256.035 diesen Träumereien des erregten Gemüthes finden wir das Vorbild des
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daher nur in der Weise eines Cyklus zusammensetzen können, in welchem pgo_256.002
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pgo_256.016
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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/278>, abgerufen am 22.11.2024.
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