Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_376.001 3. Die lyrisch-epische Erzählung. pgo_376.002 pgo_376.013 pgo_376.022 pgo_376.001 3. Die lyrisch-epische Erzählung. pgo_376.002 pgo_376.013 pgo_376.022 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0398" n="376"/> <div n="5"> <lb n="pgo_376.001"/> <head> <hi rendition="#c">3. Die lyrisch-epische Erzählung.</hi> </head> <p><lb n="pgo_376.002"/> Wir haben bereits bei der Darstellung der Lyrik die <hi rendition="#g">Ballade</hi> erwähnt, <lb n="pgo_376.003"/> als das <hi rendition="#g">epische Lied,</hi> das ein Erlebniß oder Begebniß ganz in Empfindung <lb n="pgo_376.004"/> auflöst. Jhr gegenüber tritt die <hi rendition="#g">Romanze</hi> als die <hi rendition="#g">lyrische <lb n="pgo_376.005"/> Erzählung,</hi> in welcher die Begebenheit als solche in den Vordergrund <lb n="pgo_376.006"/> tritt und nur die lyrische, aber nicht liederartige, sondern farbensatte <lb n="pgo_376.007"/> Behandlung mit der epischen wechselt. Bei größerem Umfange wird die <lb n="pgo_376.008"/> „Romanze“ zum <hi rendition="#g">erzählenden Gedichte,</hi> zu welchem schon ein <lb n="pgo_376.009"/> Romanzencyklus den Weg bahnt. Mit diesen „erzählenden Gedichten“ <lb n="pgo_376.010"/> ist heutzutage der literarische Markt überfluthet — sie sind die Lieblingsform <lb n="pgo_376.011"/> der Gegenwart, da sie immer reichen Wechsel von Schilderungen, <lb n="pgo_376.012"/> Reflexionen und Empfindungen verstatten.</p> <p><lb n="pgo_376.013"/><hi rendition="#g">Schiller's</hi> „Balladen,“ wie: „der Kampf mit dem Drachen,“ „die <lb n="pgo_376.014"/> Kraniche des Jbykus,“ „die Bürgschaft“ u. a. vertreten auf's Klarste den <lb n="pgo_376.015"/> modernen Romanzenstyl; auch die Balladen <hi rendition="#g">Bürger's</hi> gehören, trotz <lb n="pgo_376.016"/> ihres volksthümlichen Styles und oft gespenstigen Jnhaltes, hierher; <lb n="pgo_376.017"/> ebenso <hi rendition="#g">Goethe's</hi> „Braut von Korinth,“ „des Sängers Fluch“ von <lb n="pgo_376.018"/> <hi rendition="#g">Uhland,</hi> viele Balladen von <hi rendition="#g">Körner, Kerner, Schwab, Pfizer, <lb n="pgo_376.019"/> Chamisso, Thomas Moore, Puschkin, Heine</hi> im „<hi rendition="#g">Romanzero</hi>“ <lb n="pgo_376.020"/> u. A. Die liederartige Ballade ist eine Seltenheit — die Romanze <lb n="pgo_376.021"/> und das erzählende Gedicht hat sie verdrängt.</p> <p><lb n="pgo_376.022"/> Jn der freien Mischung des Epischen und Lyrischen muß dennoch eine <lb n="pgo_376.023"/> bestimmte Gesetzmäßigkeit walten, das Vorwiegen des epischen Elementes <lb n="pgo_376.024"/> gesichert sein. Wiegt die Lyrik vor: so werden wir einen Reichthum <lb n="pgo_376.025"/> glänzender Einzelheiten, stimmungsvoller Schilderungen, geistvoller Reflexionen <lb n="pgo_376.026"/> erhalten; aber die fortgehende Handlung wird durch die beständigen <lb n="pgo_376.027"/> Eingriffe des Subjekts zur Unzeit unterbrochen werden; wir vergessen <lb n="pgo_376.028"/> über dem Dichter die Begebenheit, die er darstellt. Schiller's <lb n="pgo_376.029"/> „Romanzen“ enthalten glänzende Beispiele einer streng epischen Darstellung <lb n="pgo_376.030"/> — wir erinnern nur an „den Kampf mit dem Drachen“ selbst, <lb n="pgo_376.031"/> an den Umgang des tragischen Chors in den „Kranichen des Jbykus,“ <lb n="pgo_376.032"/> an „Fridolin's Gang nach dem Eisenhammer.“ Dagegen wiegt in <lb n="pgo_376.033"/> <hi rendition="#g">Byron's</hi> „erzählenden Gedichten“ „der Braut von Abydos,“ „der <lb n="pgo_376.034"/> Korsar,“ „der Giaur“ der subjektive Schwung des Dichters vor, der </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [376/0398]
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3. Die lyrisch-epische Erzählung. pgo_376.002
Wir haben bereits bei der Darstellung der Lyrik die Ballade erwähnt, pgo_376.003
als das epische Lied, das ein Erlebniß oder Begebniß ganz in Empfindung pgo_376.004
auflöst. Jhr gegenüber tritt die Romanze als die lyrische pgo_376.005
Erzählung, in welcher die Begebenheit als solche in den Vordergrund pgo_376.006
tritt und nur die lyrische, aber nicht liederartige, sondern farbensatte pgo_376.007
Behandlung mit der epischen wechselt. Bei größerem Umfange wird die pgo_376.008
„Romanze“ zum erzählenden Gedichte, zu welchem schon ein pgo_376.009
Romanzencyklus den Weg bahnt. Mit diesen „erzählenden Gedichten“ pgo_376.010
ist heutzutage der literarische Markt überfluthet — sie sind die Lieblingsform pgo_376.011
der Gegenwart, da sie immer reichen Wechsel von Schilderungen, pgo_376.012
Reflexionen und Empfindungen verstatten.
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Schiller's „Balladen,“ wie: „der Kampf mit dem Drachen,“ „die pgo_376.014
Kraniche des Jbykus,“ „die Bürgschaft“ u. a. vertreten auf's Klarste den pgo_376.015
modernen Romanzenstyl; auch die Balladen Bürger's gehören, trotz pgo_376.016
ihres volksthümlichen Styles und oft gespenstigen Jnhaltes, hierher; pgo_376.017
ebenso Goethe's „Braut von Korinth,“ „des Sängers Fluch“ von pgo_376.018
Uhland, viele Balladen von Körner, Kerner, Schwab, Pfizer, pgo_376.019
Chamisso, Thomas Moore, Puschkin, Heine im „Romanzero“ pgo_376.020
u. A. Die liederartige Ballade ist eine Seltenheit — die Romanze pgo_376.021
und das erzählende Gedicht hat sie verdrängt.
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Jn der freien Mischung des Epischen und Lyrischen muß dennoch eine pgo_376.023
bestimmte Gesetzmäßigkeit walten, das Vorwiegen des epischen Elementes pgo_376.024
gesichert sein. Wiegt die Lyrik vor: so werden wir einen Reichthum pgo_376.025
glänzender Einzelheiten, stimmungsvoller Schilderungen, geistvoller Reflexionen pgo_376.026
erhalten; aber die fortgehende Handlung wird durch die beständigen pgo_376.027
Eingriffe des Subjekts zur Unzeit unterbrochen werden; wir vergessen pgo_376.028
über dem Dichter die Begebenheit, die er darstellt. Schiller's pgo_376.029
„Romanzen“ enthalten glänzende Beispiele einer streng epischen Darstellung pgo_376.030
— wir erinnern nur an „den Kampf mit dem Drachen“ selbst, pgo_376.031
an den Umgang des tragischen Chors in den „Kranichen des Jbykus,“ pgo_376.032
an „Fridolin's Gang nach dem Eisenhammer.“ Dagegen wiegt in pgo_376.033
Byron's „erzählenden Gedichten“ „der Braut von Abydos,“ „der pgo_376.034
Korsar,“ „der Giaur“ der subjektive Schwung des Dichters vor, der
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