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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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abenteuerliche Schürzungen des Zufalls fesseln. Aus den romanischen pgo_397.002
Literaturen, in denen der Jtaliener Boccaccio und der Spanier Cervantes pgo_397.003
als novellistische Muster hervorragen, wurde sie besonders durch pgo_397.004
die romantische Schule nach Deutschland verpflanzt, welche sie, wie das pgo_397.005
Märchen, anfangs zum Vehikel ihrer abenteuerlichen Erfindungen machte. pgo_397.006
Später hat besonders Ludwig Tieck die sociale Zeitnovelle pgo_397.007
geschaffen, in welcher er, oft mit ironischer Meisterschaft, oft mit doktrinairer pgo_397.008
Schwatzhaftigkeit, vielen Richtungen der Zeit den Spiegel vorhält. pgo_397.009
Die geistvolle Freiheit der Darstellung räumt diesen "Novellen" einen pgo_397.010
hohen Rang ein; nicht blos Anhänger und Geistesverwandte Tieck's, pgo_397.011
Steffens, Bülow
u. A. bildeten diese Richtung weiter aus, sondern pgo_397.012
auch die jungdeutsche Schule benutzte nach Tieck's Vorgang die novellistische pgo_397.013
Form für ihre gährenden Reformtendenzen. Eine einsame Stellung pgo_397.014
unter den Novellisten der Gegenwart behauptet Leopold Schefer, pgo_397.015
der die Tiefe seiner "magischen" Weltanschauung in jede seiner farbenreichen, pgo_397.016
aber traumhaft motivirten Novellen hineingeheimnißt. Das pgo_397.017
Ueberwuchern der Novelle, die aus allen Journal- und Zeitungsspalten pgo_397.018
hervorkeimt, als beliebige Erzählung zufälliger, oft sinn- und bedeutungsloser pgo_397.019
Begebnisse in einer meist styllosen Prosa, deutet auf eine belletristische pgo_397.020
Verflachung, welche den Dilettantismus allzusehr in den Vordergrund pgo_397.021
treten läßt.



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Sechster Abschnitt.
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Das didaktische Gedicht.

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Man hat die didaktische Poesie als eine vierte, selbstständige pgo_397.025
Hauptgattung der Dichtkunst, die durch ihre ausgesprochene Lehrhaftigkeit pgo_397.026
an der Grenze der Prosa steht, von den übrigen abgezweigt! Doch pgo_397.027
giebt weder ihre Darstellungsweise noch ihr Jnhalt ein Recht dazu, ihr pgo_397.028
eine so bedeutende und unabhängige Stellung einzuräumen*), so groß pgo_397.029
auch die aufgehäufte Masse derartiger Gedichte ist. Tritt der Zweck zu

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Vergleiche Moritz Carriere "das Wesen und die Formen der Poesie." pgo_397.031
S. 183 u. flgde.

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[397/0419] pgo_397.001 abenteuerliche Schürzungen des Zufalls fesseln. Aus den romanischen pgo_397.002 Literaturen, in denen der Jtaliener Boccaccio und der Spanier Cervantes pgo_397.003 als novellistische Muster hervorragen, wurde sie besonders durch pgo_397.004 die romantische Schule nach Deutschland verpflanzt, welche sie, wie das pgo_397.005 Märchen, anfangs zum Vehikel ihrer abenteuerlichen Erfindungen machte. pgo_397.006 Später hat besonders Ludwig Tieck die sociale Zeitnovelle pgo_397.007 geschaffen, in welcher er, oft mit ironischer Meisterschaft, oft mit doktrinairer pgo_397.008 Schwatzhaftigkeit, vielen Richtungen der Zeit den Spiegel vorhält. pgo_397.009 Die geistvolle Freiheit der Darstellung räumt diesen „Novellen“ einen pgo_397.010 hohen Rang ein; nicht blos Anhänger und Geistesverwandte Tieck's, pgo_397.011 Steffens, Bülow u. A. bildeten diese Richtung weiter aus, sondern pgo_397.012 auch die jungdeutsche Schule benutzte nach Tieck's Vorgang die novellistische pgo_397.013 Form für ihre gährenden Reformtendenzen. Eine einsame Stellung pgo_397.014 unter den Novellisten der Gegenwart behauptet Leopold Schefer, pgo_397.015 der die Tiefe seiner „magischen“ Weltanschauung in jede seiner farbenreichen, pgo_397.016 aber traumhaft motivirten Novellen hineingeheimnißt. Das pgo_397.017 Ueberwuchern der Novelle, die aus allen Journal- und Zeitungsspalten pgo_397.018 hervorkeimt, als beliebige Erzählung zufälliger, oft sinn- und bedeutungsloser pgo_397.019 Begebnisse in einer meist styllosen Prosa, deutet auf eine belletristische pgo_397.020 Verflachung, welche den Dilettantismus allzusehr in den Vordergrund pgo_397.021 treten läßt. pgo_397.022 Sechster Abschnitt. pgo_397.023 Das didaktische Gedicht. pgo_397.024 Man hat die didaktische Poesie als eine vierte, selbstständige pgo_397.025 Hauptgattung der Dichtkunst, die durch ihre ausgesprochene Lehrhaftigkeit pgo_397.026 an der Grenze der Prosa steht, von den übrigen abgezweigt! Doch pgo_397.027 giebt weder ihre Darstellungsweise noch ihr Jnhalt ein Recht dazu, ihr pgo_397.028 eine so bedeutende und unabhängige Stellung einzuräumen *), so groß pgo_397.029 auch die aufgehäufte Masse derartiger Gedichte ist. Tritt der Zweck zu *) pgo_397.030 Vergleiche Moritz Carrière „das Wesen und die Formen der Poesie.“ pgo_397.031 S. 183 u. flgde.

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/419>, abgerufen am 22.11.2024.