Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_466.001 pgo_466.017 a. Das Jntriguenlustspiel. pgo_466.018 pgo_466.001 pgo_466.017 a. Das Jntriguenlustspiel. pgo_466.018 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0488" n="466"/><lb n="pgo_466.001"/> Tischen der Reichen, die einen Anflug von Genialität und das Bewußtsein <lb n="pgo_466.002"/> ihrer Schwäche hatten, und in denen Lessing die Vorgänger des Harlekins <lb n="pgo_466.003"/> erkennen wollte, haben sich in joviale <foreign xml:lang="fra">bonvivants</foreign> verwandelt; der <lb n="pgo_466.004"/> <hi rendition="#g">Thraso,</hi> der großsprecherische Soldat, der <foreign xml:lang="lat">miles gloriosus</foreign>, der horribilicribrifax, <lb n="pgo_466.005"/> hat ebenfalls eine häufige Auferstehung gefeiert; der <lb n="pgo_466.006"/> <hi rendition="#g">Vater</hi> in seinen Beziehungen zur eifersüchtigen, herrschsüchtigen oder <lb n="pgo_466.007"/> listigen Gattin ist bis auf die komischen Banquiers von Bauernfeld in <lb n="pgo_466.008"/> den zahlreichsten Metamorphosen erschienen! Ebenso der listige <hi rendition="#g">Sklave,</hi> <lb n="pgo_466.009"/> der spanische <foreign xml:lang="spa">gracioso</foreign>, der ränkevolle Bediente! Die spätere Zeit nun <lb n="pgo_466.010"/> den hat dies realistische Lustspiel nach zwei Seiten hin ausgebildet, indem es <lb n="pgo_466.011"/> Ton entweder auf die <hi rendition="#g">Handlung</hi> oder auf den <hi rendition="#g">Charakter</hi> legte, das <lb n="pgo_466.012"/> <hi rendition="#g">Komische</hi> aus der Verkettung der <hi rendition="#g">Jntrigue</hi> oder aus den Eigenthümlichkeiten <lb n="pgo_466.013"/> der <hi rendition="#g">Charaktere</hi> hervorgehn ließ. Beides sind natürlich integrirende <lb n="pgo_466.014"/> Momente des Drama; aber es erhält eine wesentlich verschiedene <lb n="pgo_466.015"/> Färbung, je nachdem das volle Licht der <foreign xml:lang="lat">vis comica</foreign> auf die eine oder <lb n="pgo_466.016"/> die andere Seite fällt.</p> <div n="6"> <lb n="pgo_466.017"/> <head> <hi rendition="#c">a. <hi rendition="#g">Das Jntriguenlustspiel.</hi></hi> </head> <p><lb n="pgo_466.018"/> Das spanische Degen- und Mantellustspiel des <hi rendition="#g">Lope, Calderon</hi> <lb n="pgo_466.019"/> und <hi rendition="#g">Moreto</hi> ist das Urbild des neuern Jntriguenstücks, das sich in dem <lb n="pgo_466.020"/> neufranzösischen Lustspiele des <hi rendition="#g">Scribe</hi> eine moderne, von den deutschen <lb n="pgo_466.021"/> tonangebenden Dramaturgen vielbewunderte Gestalt erschaffen. Doch <lb n="pgo_466.022"/> schon aus dem Wesen der spanischen Dramatik geht die Einseitigkeit dieses <lb n="pgo_466.023"/> Lustspielgenres hervor. Der Konflikt zwischen <hi rendition="#g">Liebe</hi> und <hi rendition="#g">Ehre</hi> <lb n="pgo_466.024"/> wurde, eigentlich nur durch den glücklichen Ausgang modificirt, auf das <lb n="pgo_466.025"/> Lustspielgebiet übertragen. Die Helden und Heldinnen behielten ihre <lb n="pgo_466.026"/> ritterliche Haltung, den Ernst ihrer Leidenschaft, welche nur vom <foreign xml:lang="spa">gracioso</foreign> <lb n="pgo_466.027"/> und der Zofe parodirt wurden. Feindliche Väter und Rivalen waren <lb n="pgo_466.028"/> die Hemmnisse der Liebe; zufällige Verwicklungen, Verkleidungen, Verstecke <lb n="pgo_466.029"/> bildeten die Jncidenzpunkte der Handlung; Serenaden und Duelle <lb n="pgo_466.030"/> gehörten unumgänglich zu ihrer scenischen Ausstattung. Die Scene <lb n="pgo_466.031"/> selbst spielt natürlich mit, und zwar oft die Hauptrolle, wie z. B. in Calderon's <lb n="pgo_466.032"/> „der Liebhaber als Gespenst,“ wo ohne den unterirdischen Gang <lb n="pgo_466.033"/> die ganze Handlung eine Unmöglichkeit wäre. Selten ist die psychologische <lb n="pgo_466.034"/> Dialektik mit solcher Meisterschaft durchgeführt, wie in Moreto's </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [466/0488]
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Tischen der Reichen, die einen Anflug von Genialität und das Bewußtsein pgo_466.002
ihrer Schwäche hatten, und in denen Lessing die Vorgänger des Harlekins pgo_466.003
erkennen wollte, haben sich in joviale bonvivants verwandelt; der pgo_466.004
Thraso, der großsprecherische Soldat, der miles gloriosus, der horribilicribrifax, pgo_466.005
hat ebenfalls eine häufige Auferstehung gefeiert; der pgo_466.006
Vater in seinen Beziehungen zur eifersüchtigen, herrschsüchtigen oder pgo_466.007
listigen Gattin ist bis auf die komischen Banquiers von Bauernfeld in pgo_466.008
den zahlreichsten Metamorphosen erschienen! Ebenso der listige Sklave, pgo_466.009
der spanische gracioso, der ränkevolle Bediente! Die spätere Zeit nun pgo_466.010
den hat dies realistische Lustspiel nach zwei Seiten hin ausgebildet, indem es pgo_466.011
Ton entweder auf die Handlung oder auf den Charakter legte, das pgo_466.012
Komische aus der Verkettung der Jntrigue oder aus den Eigenthümlichkeiten pgo_466.013
der Charaktere hervorgehn ließ. Beides sind natürlich integrirende pgo_466.014
Momente des Drama; aber es erhält eine wesentlich verschiedene pgo_466.015
Färbung, je nachdem das volle Licht der vis comica auf die eine oder pgo_466.016
die andere Seite fällt.
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a. Das Jntriguenlustspiel. pgo_466.018
Das spanische Degen- und Mantellustspiel des Lope, Calderon pgo_466.019
und Moreto ist das Urbild des neuern Jntriguenstücks, das sich in dem pgo_466.020
neufranzösischen Lustspiele des Scribe eine moderne, von den deutschen pgo_466.021
tonangebenden Dramaturgen vielbewunderte Gestalt erschaffen. Doch pgo_466.022
schon aus dem Wesen der spanischen Dramatik geht die Einseitigkeit dieses pgo_466.023
Lustspielgenres hervor. Der Konflikt zwischen Liebe und Ehre pgo_466.024
wurde, eigentlich nur durch den glücklichen Ausgang modificirt, auf das pgo_466.025
Lustspielgebiet übertragen. Die Helden und Heldinnen behielten ihre pgo_466.026
ritterliche Haltung, den Ernst ihrer Leidenschaft, welche nur vom gracioso pgo_466.027
und der Zofe parodirt wurden. Feindliche Väter und Rivalen waren pgo_466.028
die Hemmnisse der Liebe; zufällige Verwicklungen, Verkleidungen, Verstecke pgo_466.029
bildeten die Jncidenzpunkte der Handlung; Serenaden und Duelle pgo_466.030
gehörten unumgänglich zu ihrer scenischen Ausstattung. Die Scene pgo_466.031
selbst spielt natürlich mit, und zwar oft die Hauptrolle, wie z. B. in Calderon's pgo_466.032
„der Liebhaber als Gespenst,“ wo ohne den unterirdischen Gang pgo_466.033
die ganze Handlung eine Unmöglichkeit wäre. Selten ist die psychologische pgo_466.034
Dialektik mit solcher Meisterschaft durchgeführt, wie in Moreto's
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