Gottsched, Luise Adelgunde Victorie: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Rostock, 1736.Die Pietisterey Herr Scheinfromm. Sie wissen, was ich ihnen versprochen habe: Sie sollen schon zufrieden seyn. Der Advocat. O! daran zweifele ich nicht. (Beyseits:) Das ist ein Spitzbube! Herr Scheinfromm. Mich dünckt, sie haben sich über die Puncte dieses Contracts gewundert. Der Advocat. Es ist wahr; aber weil sie mir sagten, daß die Frau Glaubeleichtin alles übergeben hätte, so habe ich auch nichts darwider zu sagen. Herr Scheinfromm. Ach! sie werden sehen, daß sie es nicht einmahl lesen wird. Ubrigens habe ichs ihnen schon ge- sagt, daß ichs nicht aus Eigennutz thue. Der Advocat. Das glaube ich wohl! Sie sind zu gottsfürchtig. Herr Scheinfromm. Ja! die Erfahrung hat michs gelehrt, daß auch zuweilen tugendhaffte Leute ihr Geld übel anwenden, und dadurch verdammt werden: Deßwegen bin ich auf den Entschluß gekommen. Der Advocat. Das kann wohl seyn. Herr Scheinfromm. Unter dem Schein des Ranges verfallen sie in Pracht und Hoffart. Der
Die Pietiſterey Herr Scheinfromm. Sie wiſſen, was ich ihnen verſprochen habe: Sie ſollen ſchon zufrieden ſeyn. Der Advocat. O! daran zweifele ich nicht. (Beyſeits:) Das iſt ein Spitzbube! Herr Scheinfromm. Mich duͤnckt, ſie haben ſich uͤber die Puncte dieſes Contracts gewundert. Der Advocat. Es iſt wahr; aber weil ſie mir ſagten, daß die Frau Glaubeleichtin alles uͤbergeben haͤtte, ſo habe ich auch nichts darwider zu ſagen. Herr Scheinfromm. Ach! ſie werden ſehen, daß ſie es nicht einmahl leſen wird. Ubrigens habe ichs ihnen ſchon ge- ſagt, daß ichs nicht aus Eigennutz thue. Der Advocat. Das glaube ich wohl! Sie ſind zu gottsfuͤrchtig. Herr Scheinfromm. Ja! die Erfahrung hat michs gelehrt, daß auch zuweilen tugendhaffte Leute ihr Geld uͤbel anwenden, und dadurch verdammt werden: Deßwegen bin ich auf den Entſchluß gekommen. Der Advocat. Das kann wohl ſeyn. Herr Scheinfromm. Unter dem Schein des Ranges verfallen ſie in Pracht und Hoffart. Der
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0160" n="140"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Die Pietiſterey</hi> </fw><lb/> <sp who="#SCHEIN"> <speaker> <hi rendition="#b">Herr Scheinfromm.</hi> </speaker><lb/> <p>Sie wiſſen, was ich ihnen verſprochen habe:<lb/> Sie ſollen ſchon zufrieden ſeyn.</p> </sp><lb/> <sp who="#ADV"> <speaker> <hi rendition="#b">Der Advocat.</hi> </speaker><lb/> <p>O! daran zweifele ich nicht. <stage>(Beyſeits:)</stage> Das<lb/> iſt ein Spitzbube!</p> </sp><lb/> <sp who="#SCHEIN"> <speaker> <hi rendition="#b">Herr Scheinfromm.</hi> </speaker><lb/> <p>Mich duͤnckt, ſie haben ſich uͤber die Puncte<lb/> dieſes Contracts gewundert.</p> </sp><lb/> <sp who="#ADV"> <speaker> <hi rendition="#b">Der Advocat.</hi> </speaker><lb/> <p>Es iſt wahr; aber weil ſie mir ſagten, daß die<lb/> Frau Glaubeleichtin alles uͤbergeben haͤtte, ſo habe<lb/> ich auch nichts darwider zu ſagen.</p> </sp><lb/> <sp who="#SCHEIN"> <speaker> <hi rendition="#b">Herr Scheinfromm.</hi> </speaker><lb/> <p>Ach! ſie werden ſehen, daß ſie es nicht einmahl<lb/> leſen wird. Ubrigens habe ichs ihnen ſchon ge-<lb/> ſagt, daß ichs nicht aus Eigennutz thue.</p> </sp><lb/> <sp who="#ADV"> <speaker> <hi rendition="#b">Der Advocat.</hi> </speaker><lb/> <p>Das glaube ich wohl! Sie ſind zu gottsfuͤrchtig.</p> </sp><lb/> <sp who="#SCHEIN"> <speaker> <hi rendition="#b">Herr Scheinfromm.</hi> </speaker><lb/> <p>Ja! die Erfahrung hat michs gelehrt, daß auch<lb/> zuweilen tugendhaffte Leute ihr Geld uͤbel anwenden,<lb/> und dadurch verdammt werden: Deßwegen bin<lb/> ich auf den Entſchluß gekommen.</p> </sp><lb/> <sp who="#ADV"> <speaker> <hi rendition="#b">Der Advocat.</hi> </speaker><lb/> <p>Das kann wohl ſeyn.</p> </sp><lb/> <sp who="#SCHEIN"> <speaker> <hi rendition="#b">Herr Scheinfromm.</hi> </speaker><lb/> <p>Unter dem Schein des Ranges verfallen ſie in<lb/> Pracht und Hoffart.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Der</hi> </fw> </sp><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [140/0160]
Die Pietiſterey
Herr Scheinfromm.
Sie wiſſen, was ich ihnen verſprochen habe:
Sie ſollen ſchon zufrieden ſeyn.
Der Advocat.
O! daran zweifele ich nicht. (Beyſeits:) Das
iſt ein Spitzbube!
Herr Scheinfromm.
Mich duͤnckt, ſie haben ſich uͤber die Puncte
dieſes Contracts gewundert.
Der Advocat.
Es iſt wahr; aber weil ſie mir ſagten, daß die
Frau Glaubeleichtin alles uͤbergeben haͤtte, ſo habe
ich auch nichts darwider zu ſagen.
Herr Scheinfromm.
Ach! ſie werden ſehen, daß ſie es nicht einmahl
leſen wird. Ubrigens habe ichs ihnen ſchon ge-
ſagt, daß ichs nicht aus Eigennutz thue.
Der Advocat.
Das glaube ich wohl! Sie ſind zu gottsfuͤrchtig.
Herr Scheinfromm.
Ja! die Erfahrung hat michs gelehrt, daß auch
zuweilen tugendhaffte Leute ihr Geld uͤbel anwenden,
und dadurch verdammt werden: Deßwegen bin
ich auf den Entſchluß gekommen.
Der Advocat.
Das kann wohl ſeyn.
Herr Scheinfromm.
Unter dem Schein des Ranges verfallen ſie in
Pracht und Hoffart.
Der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_pietisterey_1736 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_pietisterey_1736/160 |
Zitationshilfe: | Gottsched, Luise Adelgunde Victorie: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Rostock, 1736, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_pietisterey_1736/160>, abgerufen am 16.02.2025. |