keine grobe Zweydeutigkeiten und Fratzen leiden will, indem er solche Poeten auf die neue Brücke zu Paris verweiset, wo sie ihr Lumpenzeug dem daselbst versammleten Gesindel vor- spielen könnten: also giebt er auch hernach im IV. Gesange die Regel, einen guten Character von sich selbst bey den Lesern zu machen, und sich nicht in eine üble Meynung bey ihnen zu setzen. Er könne nehmlich diejenigen Scribenten nicht leiden, die in Verßen die Erbarkeit an den Nagel hiengen, und Ver- räther der Tugend würden: indem sie das Laster als liebens- würdig vorstelleten.
Que votre ame & vos meurs, peints dans tous vos ouvrages, N'offrent jamais de vous que de nobles images. Je ne puis estimer ces dangereux Auteurs, Qui de l'honneur en vers infames deserteurs, Trahiffant la vertu sur un papier coupable, Aux yeux de leurs Lecteurs rendent le vice aimable.
Und nachdem er sich in etlichen Verßen entschuldiget, daß er einem Poeten nicht eben verbieten wolle gar nichts verliebtes zu schreiben; wie denn wohl einige Scheinheilige auch Ro- derichs und Chimenens keusche Liebe nicht auf der Bühne leiden wollen: Sondern nur den unflätigen Ausdruck derselben wiederrathe; als ohne welchen auch die unzüchtigste Liebe keinen schamroth zu machen pflegt: So setzt er noch hinzu, daß der Poet selbst innerlich tugendhafft seyn müsse, wenn er allezeit keusch und rein schreiben wolle; weil er sich sonst un- versehens verrathen würde. Denn wes das Hertz voll ist, des geht der Mund über:
Un Auteur vertueux dans ses vers innocens, Ne corrompt point le coeur, en chatouillant les sens, Son feu n'allume point de criminelle flame, Aimez donc la vertu, nourrissez en votre ame. En vain l'esprit est plein d'une noble vigueut, Le vers se sent toujours des bassesses du Coeur.
Diese tugendhaffte Gemüthsart eines Poeten muß sich zu allerletzt auch darinn zeigen, daß er weder ein Schmeichler noch ein Lästerer werde. Beydes ist vor einen vernünftigen und rechtschaffenen Mann eine viel zu niederträchtige Be-
schäffti-
Von dem Charactere eines Poeten.
keine grobe Zweydeutigkeiten und Fratzen leiden will, indem er ſolche Poeten auf die neue Bruͤcke zu Paris verweiſet, wo ſie ihr Lumpenzeug dem daſelbſt verſammleten Geſindel vor- ſpielen koͤnnten: alſo giebt er auch hernach im IV. Geſange die Regel, einen guten Character von ſich ſelbſt bey den Leſern zu machen, und ſich nicht in eine uͤble Meynung bey ihnen zu ſetzen. Er koͤnne nehmlich diejenigen Scribenten nicht leiden, die in Verßen die Erbarkeit an den Nagel hiengen, und Ver- raͤther der Tugend wuͤrden: indem ſie das Laſter als liebens- wuͤrdig vorſtelleten.
Que votre ame & vos meurs, peints dans tous vos ouvrages, N’offrent jamais de vous que de nobles images. Je ne puis eſtimer ces dangereux Auteurs, Qui de l’honneur en vers infames deſerteurs, Trahiffant la vertu ſur un papier coupable, Aux yeux de leurs Lecteurs rendent le vice aimable.
Und nachdem er ſich in etlichen Verßen entſchuldiget, daß er einem Poeten nicht eben verbieten wolle gar nichts verliebtes zu ſchreiben; wie denn wohl einige Scheinheilige auch Ro- derichs und Chimenens keuſche Liebe nicht auf der Buͤhne leiden wollen: Sondern nur den unflaͤtigen Ausdruck derſelben wiederrathe; als ohne welchen auch die unzuͤchtigſte Liebe keinen ſchamroth zu machen pflegt: So ſetzt er noch hinzu, daß der Poet ſelbſt innerlich tugendhafft ſeyn muͤſſe, wenn er allezeit keuſch und rein ſchreiben wolle; weil er ſich ſonſt un- verſehens verrathen wuͤrde. Denn wes das Hertz voll iſt, des geht der Mund uͤber:
Un Auteur vertueux dans ſes vers innocens, Ne corrompt point le cœur, en chatouillant les ſens, Son feu n’allume point de criminelle flame, Aimez donc la vertu, nourriſſez en votre ame. En vain l’eſprit eſt plein d’une noble vigueut, Le vers ſe ſent toujours des baſſeſſes du Cœur.
Dieſe tugendhaffte Gemuͤthsart eines Poeten muß ſich zu allerletzt auch darinn zeigen, daß er weder ein Schmeichler noch ein Laͤſterer werde. Beydes iſt vor einen vernuͤnftigen und rechtſchaffenen Mann eine viel zu niedertraͤchtige Be-
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Von dem Charactere eines Poeten.
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er ſolche Poeten auf die neue Bruͤcke zu Paris verweiſet, wo
ſie ihr Lumpenzeug dem daſelbſt verſammleten Geſindel vor-
ſpielen koͤnnten: alſo giebt er auch hernach im IV. Geſange
die Regel, einen guten Character von ſich ſelbſt bey den Leſern
zu machen, und ſich nicht in eine uͤble Meynung bey ihnen zu
ſetzen. Er koͤnne nehmlich diejenigen Scribenten nicht leiden,
die in Verßen die Erbarkeit an den Nagel hiengen, und Ver-
raͤther der Tugend wuͤrden: indem ſie das Laſter als liebens-
wuͤrdig vorſtelleten.
Que votre ame & vos meurs, peints dans tous vos ouvrages,
N’offrent jamais de vous que de nobles images.
Je ne puis eſtimer ces dangereux Auteurs,
Qui de l’honneur en vers infames deſerteurs,
Trahiffant la vertu ſur un papier coupable,
Aux yeux de leurs Lecteurs rendent le vice aimable.
Und nachdem er ſich in etlichen Verßen entſchuldiget, daß er
einem Poeten nicht eben verbieten wolle gar nichts verliebtes
zu ſchreiben; wie denn wohl einige Scheinheilige auch Ro-
derichs und Chimenens keuſche Liebe nicht auf der Buͤhne
leiden wollen: Sondern nur den unflaͤtigen Ausdruck derſelben
wiederrathe; als ohne welchen auch die unzuͤchtigſte Liebe
keinen ſchamroth zu machen pflegt: So ſetzt er noch hinzu,
daß der Poet ſelbſt innerlich tugendhafft ſeyn muͤſſe, wenn er
allezeit keuſch und rein ſchreiben wolle; weil er ſich ſonſt un-
verſehens verrathen wuͤrde. Denn wes das Hertz voll iſt, des
geht der Mund uͤber:
Un Auteur vertueux dans ſes vers innocens,
Ne corrompt point le cœur, en chatouillant les ſens,
Son feu n’allume point de criminelle flame,
Aimez donc la vertu, nourriſſez en votre ame.
En vain l’eſprit eſt plein d’une noble vigueut,
Le vers ſe ſent toujours des baſſeſſes du Cœur.
Dieſe tugendhaffte Gemuͤthsart eines Poeten muß ſich zu
allerletzt auch darinn zeigen, daß er weder ein Schmeichler
noch ein Laͤſterer werde. Beydes iſt vor einen vernuͤnftigen
und rechtſchaffenen Mann eine viel zu niedertraͤchtige Be-
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/123>, abgerufen am 02.03.2025.
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