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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Vom Charactere eines Poeten.
Der ein erkauftes Lob bis an den Himmel traͤgt,
Den wir durch ſolche Peſt ſo offt zum Zorne reitzen,
Und oͤffter noch vielleicht als ſich die Sterne ſchneutzen.
Daß mehrentheils die Welt in traͤger Luſt verdirbt,
Und ſich um wahren Ruhm ſo ſelten mehr bewirbt,
Jſt der Poeten Schuld. Der Weyhrauch wird verſchwendet,
Und manchem Leib und Seel, um die Gebuͤhr, verpfaͤndet,
Daß die Unſterblichkeit ihm gar nicht fehlen kan,
Der als ein Erdenſchwamm ſich kaum hervorgethan,
Und den ſonſt anders nichts vom Poͤbel unterſcheidet,
Als daß ein bloͤder Fuͤrſt ihn an der Seite leidet,
Da er fuͤr jedes Loth, das ihm an Tugend fehlt,
Ein Pfund des eiteln Gluͤcks und ſchnoͤden Goldes zehlt.
Canitz Sat. von der Poeſie.

So groß nun die Niedertraͤchtigkeit der Schmeichler iſt; eben
ſo groß iſt die Bosheit der Laͤſterer. Jene wollen das Laſter
zur Tugend; wie dieſe die Tugend zum Laſter machen. Sie
folgen nicht der Billigkeit und Vernunft in Beurtheilung
der menſchlichen Eigenſchafften: ſondern ihrem Neide, ihrer
Rachgier, oder wohl gar eigennuͤtzigen Abſichten; wenn ſie
nehmlich ihre Feder zum Dienſte neidiſcher oder rachgieriger
Leute mißbrauchen. Sie werden dadurch Tageloͤhner der
Bosheit, und Feinde der Tugend: wiewohl ſie ſelten im
Stande ſind, derſelben wircklich zu ſchaden. Es iſt ein gantz an-
der Werck mit der ſatiriſchen Poeſie. Dieſe iſt die Frucht einer
gruͤndlichen Sittenlehre, und hat ordentlich die Liebe der Tu-
gend zur Mutter, und den Haß der Laſter zum Vater. Die
wahre Satire greift alſo nicht unſchuldige, ſondern ſchuldige
Leute an: ja ſie ſtrafet das Boͤſe an ſich, ohne die Perſonen
ſo es an ſich haben zu nennen, oder auf eine anzuͤgliche Art zu
beſchimpfen. Eben der Homerus, der ein ſo herrlich Talent
zum Loben gehabt, hat auch, nach dem Berichte Ariſtotelis,
auf einen gewiſſen Margites eine Satire gemacht, der weder
ein Ackersmann noch ein Wintzer noch ein Schaͤfer, das iſt,
gar kein nuͤtzliches Glied der menſchlichen Geſellſchafft war.
Denn auf die drey Lebensarten legte ſich bey der damahligen
Einfalt der Welt alles, was ſein Brodt ehrlich erwerben
wollte. Ein Menſch alſo, der keines von allen trieb, war ein
Muͤßiggaͤnger, und verdiente freylich wohl eine Satire. Daß

ein
G

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/125>, abgerufen am 02.03.2025.