eines Hirschen. Benungich, vergnügt, öffen, vor eröff- nen; kecklichen, vor behertzt etc. doch genug, denn sonst mü- ste ich ein gantz Wörterbuch machen. Man sieht es wohl, daß von allen diesen Worten theils die Bedeutung, theils die Endigung, theils die Rechtschreibung altfränckisch ist: einige auch gantz und gar ungewöhnlich worden. Zuweilen ist auch wohl das Geschlecht verändert, als wenn z. E. im Theuerdanck steht das Jeiaid, anstatt daß wir itzo die Jagd sagen. Wenn man aber in noch ältere Zeiten zurücke geht, so findet man gar unverständliche Wörter, die man auch im Zusammenhange nicht errathen kan. Was heist z. E. in fol- genden Zeilen das letzte Wort?
Vnnd mit gantzen trewen Warnen Jhr müst die Königin erarnen. Theurd.
Unzehlicher andrer, die im Ottfried, Willerom, Stricker, Winsbeck und dergleichen alten Schrifften vorkommen, zu geschweigen, die man in Schilters Wercke nachsehen kan.
Hier fragt sichs nun, ob ein Poet sich solcher alten Wör- ter noch bedienen könne. Von der letzten Art kan man wohl kein Bedencken tragen mit Nein zu antworten. Denn was einen unverständlich machet, das muß man mit Fleiß vermei- den. Von den ersten aber ist es ebenfalls nicht anders. Durch die seltsame Figur, die solche Wörter itzo in unsern Augen machen, würde ein Gedichte nur lächerlich werden, oder, wenn sie offt vorkämen, würde ein Vers nur rauh und grob davon aussehen. Jch habe einen Geistlichen gekannt, der sich aus D. Luthers Schrifften dergleichen allerälte- sten Wörter und Redensarten anmerckte, und seine Predig- ten damit ausstaffirte. Seine Meynung war dabey, sich als einen eifrigen Schüler Lutheri zu bezeigen: aber, eine so seltsame Nachahmung machte ihn nicht nur unverständlich, sondern auch lächerlich. Einem Poeten würde es nicht bes- ser gehen, wenn er dergleichen thun wollte; Es wäre denn, daß er mit Fleiß die Schreibart der Alten, in einem soge- nannten Knittelreime nachahmen wollte; da es denn nicht nur erlaubt, sondern auch eine Schönheit seyn würde, alles recht altfränckisch zu machen.
Soviel
Von poetiſchen Worten.
eines Hirſchen. Benungich, vergnuͤgt, oͤffen, vor eroͤff- nen; kecklichen, vor behertzt ꝛc. doch genug, denn ſonſt muͤ- ſte ich ein gantz Woͤrterbuch machen. Man ſieht es wohl, daß von allen dieſen Worten theils die Bedeutung, theils die Endigung, theils die Rechtſchreibung altfraͤnckiſch iſt: einige auch gantz und gar ungewoͤhnlich worden. Zuweilen iſt auch wohl das Geſchlecht veraͤndert, als wenn z. E. im Theuerdanck ſteht das Jeiaid, anſtatt daß wir itzo die Jagd ſagen. Wenn man aber in noch aͤltere Zeiten zuruͤcke geht, ſo findet man gar unverſtaͤndliche Woͤrter, die man auch im Zuſammenhange nicht errathen kan. Was heiſt z. E. in fol- genden Zeilen das letzte Wort?
Vnnd mit gantzen trewen Warnen Jhr muͤſt die Koͤnigin erarnen. Theurd.
Unzehlicher andrer, die im Ottfried, Willerom, Stricker, Winsbeck und dergleichen alten Schrifften vorkommen, zu geſchweigen, die man in Schilters Wercke nachſehen kan.
Hier fragt ſichs nun, ob ein Poet ſich ſolcher alten Woͤr- ter noch bedienen koͤnne. Von der letzten Art kan man wohl kein Bedencken tragen mit Nein zu antworten. Denn was einen unverſtaͤndlich machet, das muß man mit Fleiß vermei- den. Von den erſten aber iſt es ebenfalls nicht anders. Durch die ſeltſame Figur, die ſolche Woͤrter itzo in unſern Augen machen, wuͤrde ein Gedichte nur laͤcherlich werden, oder, wenn ſie offt vorkaͤmen, wuͤrde ein Vers nur rauh und grob davon ausſehen. Jch habe einen Geiſtlichen gekannt, der ſich aus D. Luthers Schrifften dergleichen alleraͤlte- ſten Woͤrter und Redensarten anmerckte, und ſeine Predig- ten damit ausſtaffirte. Seine Meynung war dabey, ſich als einen eifrigen Schuͤler Lutheri zu bezeigen: aber, eine ſo ſeltſame Nachahmung machte ihn nicht nur unverſtaͤndlich, ſondern auch laͤcherlich. Einem Poeten wuͤrde es nicht beſ- ſer gehen, wenn er dergleichen thun wollte; Es waͤre denn, daß er mit Fleiß die Schreibart der Alten, in einem ſoge- nannten Knittelreime nachahmen wollte; da es denn nicht nur erlaubt, ſondern auch eine Schoͤnheit ſeyn wuͤrde, alles recht altfraͤnckiſch zu machen.
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Von poetiſchen Worten.
eines Hirſchen. Benungich, vergnuͤgt, oͤffen, vor eroͤff-
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ſte ich ein gantz Woͤrterbuch machen. Man ſieht es wohl,
daß von allen dieſen Worten theils die Bedeutung, theils
die Endigung, theils die Rechtſchreibung altfraͤnckiſch iſt:
einige auch gantz und gar ungewoͤhnlich worden. Zuweilen
iſt auch wohl das Geſchlecht veraͤndert, als wenn z. E. im
Theuerdanck ſteht das Jeiaid, anſtatt daß wir itzo die Jagd
ſagen. Wenn man aber in noch aͤltere Zeiten zuruͤcke geht,
ſo findet man gar unverſtaͤndliche Woͤrter, die man auch im
Zuſammenhange nicht errathen kan. Was heiſt z. E. in fol-
genden Zeilen das letzte Wort?
Vnnd mit gantzen trewen Warnen
Jhr muͤſt die Koͤnigin erarnen.
Theurd.
Unzehlicher andrer, die im Ottfried, Willerom, Stricker,
Winsbeck und dergleichen alten Schrifften vorkommen, zu
geſchweigen, die man in Schilters Wercke nachſehen kan.
Hier fragt ſichs nun, ob ein Poet ſich ſolcher alten Woͤr-
ter noch bedienen koͤnne. Von der letzten Art kan man wohl
kein Bedencken tragen mit Nein zu antworten. Denn was
einen unverſtaͤndlich machet, das muß man mit Fleiß vermei-
den. Von den erſten aber iſt es ebenfalls nicht anders.
Durch die ſeltſame Figur, die ſolche Woͤrter itzo in unſern
Augen machen, wuͤrde ein Gedichte nur laͤcherlich werden,
oder, wenn ſie offt vorkaͤmen, wuͤrde ein Vers nur rauh und
grob davon ausſehen. Jch habe einen Geiſtlichen gekannt,
der ſich aus D. Luthers Schrifften dergleichen alleraͤlte-
ſten Woͤrter und Redensarten anmerckte, und ſeine Predig-
ten damit ausſtaffirte. Seine Meynung war dabey, ſich
als einen eifrigen Schuͤler Lutheri zu bezeigen: aber, eine ſo
ſeltſame Nachahmung machte ihn nicht nur unverſtaͤndlich,
ſondern auch laͤcherlich. Einem Poeten wuͤrde es nicht beſ-
ſer gehen, wenn er dergleichen thun wollte; Es waͤre denn,
daß er mit Fleiß die Schreibart der Alten, in einem ſoge-
nannten Knittelreime nachahmen wollte; da es denn nicht nur
erlaubt, ſondern auch eine Schoͤnheit ſeyn wuͤrde, alles recht
altfraͤnckiſch zu machen.
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/217>, abgerufen am 21.11.2024.
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