Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Das IX. Capitel

Einige neuere Lehrer der Wohlredenheit haben mit
grossem Eifer wieder den Unterricht von Figuren, der in
allen Rhetoricken vorkommt, geschrieben. Sie haben da-
vor gehalten: Man könnte diese gantze Lehre ersparen, und
dörfe die Jugend mit so vielen Griechischen Nahmen nicht
plagen; zumahl sie daraus nichts mehr lernte, als wie man
eine Sache, die auch dem einfältigsten Pöbel bekannt wä-
re, benennen könnte. Man giebt es zu, daß viele Schul-
lehrer der Sache zuviel gethan, und sich gar zu lange da-
bey aufgehalten haben. Man giebt auch zu, daß die Grie-
chischen Nahmen offt eine unnöthige Schwierigkeit verur-
sachen, und daß man besser thäte, wenn man an ihrer
Stelle Deutsche einführete. Man gesteht auch endlich,
daß die Natur selbst lebhaffte Leute in Figuren reden leh-
ret, die sonst ihr lebenlang keine Anleitung dazu bekommen
haben. Aber aus dem allen folget noch nicht, daß die
Lehre von Figuren aus den Anweisungen zur Wohlreden-
heit gar zu verbannen sey. Wenn man etwa ein kleines
Capitel dazu widmet; wenn man sich bemühet, die Nah-
men derselben leicht und deutlich zu machen; wenn man
endlich ihren Gebrauch und Mißbrauch unterscheiden leh-
ret: so ist man meines Erachtens wohl nicht zu schelten.
Zu geschweigen, daß nur die muntersten Köpfe von sich
selbst auf die Figuren gerathen, wenn sie wovon reden oder
schreiben. Die andern, die nicht so viel Feuer haben, wür-
den sich darauf nicht besinnen; wenn man ihnen nicht auf
die Spur helfen wollte. Wenn man ihnen aber gute
Exempel davon vorlegt, und die Schönheit derselben em-
pfindlich macht: So werden sie auch entzündet, und sie be-
mühen sich hernach ihre schläfrige Schreibart auch ein we-
nig zu erwecken und anzufeuren.

Es giebt aber zweyerley Figuren. Einige bestehen nur
in einzelnen Worten, andre aber in gantzen Sprüchen oder
Sätzen; daher hätte ich von den erstern schon nach dem
sechsten Capitel handeln können. Wir wollen sie hier durch
einander nennen, beschreiben und mit Exempeln aus unsern
Poeten erläutern. Jch will der Ordnung des berühmten

P.
Das IX. Capitel

Einige neuere Lehrer der Wohlredenheit haben mit
groſſem Eifer wieder den Unterricht von Figuren, der in
allen Rhetoricken vorkommt, geſchrieben. Sie haben da-
vor gehalten: Man koͤnnte dieſe gantze Lehre erſparen, und
doͤrfe die Jugend mit ſo vielen Griechiſchen Nahmen nicht
plagen; zumahl ſie daraus nichts mehr lernte, als wie man
eine Sache, die auch dem einfaͤltigſten Poͤbel bekannt waͤ-
re, benennen koͤnnte. Man giebt es zu, daß viele Schul-
lehrer der Sache zuviel gethan, und ſich gar zu lange da-
bey aufgehalten haben. Man giebt auch zu, daß die Grie-
chiſchen Nahmen offt eine unnoͤthige Schwierigkeit verur-
ſachen, und daß man beſſer thaͤte, wenn man an ihrer
Stelle Deutſche einfuͤhrete. Man geſteht auch endlich,
daß die Natur ſelbſt lebhaffte Leute in Figuren reden leh-
ret, die ſonſt ihr lebenlang keine Anleitung dazu bekommen
haben. Aber aus dem allen folget noch nicht, daß die
Lehre von Figuren aus den Anweiſungen zur Wohlreden-
heit gar zu verbannen ſey. Wenn man etwa ein kleines
Capitel dazu widmet; wenn man ſich bemuͤhet, die Nah-
men derſelben leicht und deutlich zu machen; wenn man
endlich ihren Gebrauch und Mißbrauch unterſcheiden leh-
ret: ſo iſt man meines Erachtens wohl nicht zu ſchelten.
Zu geſchweigen, daß nur die munterſten Koͤpfe von ſich
ſelbſt auf die Figuren gerathen, wenn ſie wovon reden oder
ſchreiben. Die andern, die nicht ſo viel Feuer haben, wuͤr-
den ſich darauf nicht beſinnen; wenn man ihnen nicht auf
die Spur helfen wollte. Wenn man ihnen aber gute
Exempel davon vorlegt, und die Schoͤnheit derſelben em-
pfindlich macht: So werden ſie auch entzuͤndet, und ſie be-
muͤhen ſich hernach ihre ſchlaͤfrige Schreibart auch ein we-
nig zu erwecken und anzufeuren.

Es giebt aber zweyerley Figuren. Einige beſtehen nur
in einzelnen Worten, andre aber in gantzen Spruͤchen oder
Saͤtzen; daher haͤtte ich von den erſtern ſchon nach dem
ſechſten Capitel handeln koͤnnen. Wir wollen ſie hier durch
einander nennen, beſchreiben und mit Exempeln aus unſern
Poeten erlaͤutern. Jch will der Ordnung des beruͤhmten

P.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0286" n="258"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das <hi rendition="#aq">IX.</hi> Capitel</hi> </fw><lb/>
          <p>Einige neuere Lehrer der Wohlredenheit haben mit<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;em Eifer wieder den Unterricht von Figuren, der in<lb/>
allen Rhetoricken vorkommt, ge&#x017F;chrieben. Sie haben da-<lb/>
vor gehalten: Man ko&#x0364;nnte die&#x017F;e gantze Lehre er&#x017F;paren, und<lb/>
do&#x0364;rfe die Jugend mit &#x017F;o vielen Griechi&#x017F;chen Nahmen nicht<lb/>
plagen; zumahl &#x017F;ie daraus nichts mehr lernte, als wie man<lb/>
eine Sache, die auch dem einfa&#x0364;ltig&#x017F;ten Po&#x0364;bel bekannt wa&#x0364;-<lb/>
re, benennen ko&#x0364;nnte. Man giebt es zu, daß viele Schul-<lb/>
lehrer der Sache zuviel gethan, und &#x017F;ich gar zu lange da-<lb/>
bey aufgehalten haben. Man giebt auch zu, daß die Grie-<lb/>
chi&#x017F;chen Nahmen offt eine unno&#x0364;thige Schwierigkeit verur-<lb/>
&#x017F;achen, und daß man be&#x017F;&#x017F;er tha&#x0364;te, wenn man an ihrer<lb/>
Stelle Deut&#x017F;che einfu&#x0364;hrete. Man ge&#x017F;teht auch endlich,<lb/>
daß die Natur &#x017F;elb&#x017F;t lebhaffte Leute in Figuren reden leh-<lb/>
ret, die &#x017F;on&#x017F;t ihr lebenlang keine Anleitung dazu bekommen<lb/>
haben. Aber aus dem allen folget noch nicht, daß die<lb/>
Lehre von Figuren aus den Anwei&#x017F;ungen zur Wohlreden-<lb/>
heit gar zu verbannen &#x017F;ey. Wenn man etwa ein kleines<lb/>
Capitel dazu widmet; wenn man &#x017F;ich bemu&#x0364;het, die Nah-<lb/>
men der&#x017F;elben leicht und deutlich zu machen; wenn man<lb/>
endlich ihren Gebrauch und Mißbrauch unter&#x017F;cheiden leh-<lb/>
ret: &#x017F;o i&#x017F;t man meines Erachtens wohl nicht zu &#x017F;chelten.<lb/>
Zu ge&#x017F;chweigen, daß nur die munter&#x017F;ten Ko&#x0364;pfe von &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t auf die Figuren gerathen, wenn &#x017F;ie wovon reden oder<lb/>
&#x017F;chreiben. Die andern, die nicht &#x017F;o viel Feuer haben, wu&#x0364;r-<lb/>
den &#x017F;ich darauf nicht be&#x017F;innen; wenn man ihnen nicht auf<lb/>
die Spur helfen wollte. Wenn man ihnen aber gute<lb/>
Exempel davon vorlegt, und die Scho&#x0364;nheit der&#x017F;elben em-<lb/>
pfindlich macht: So werden &#x017F;ie auch entzu&#x0364;ndet, und &#x017F;ie be-<lb/>
mu&#x0364;hen &#x017F;ich hernach ihre &#x017F;chla&#x0364;frige Schreibart auch ein we-<lb/>
nig zu erwecken und anzufeuren.</p><lb/>
          <p>Es giebt aber zweyerley Figuren. Einige be&#x017F;tehen nur<lb/>
in einzelnen Worten, andre aber in gantzen Spru&#x0364;chen oder<lb/>
Sa&#x0364;tzen; daher ha&#x0364;tte ich von den er&#x017F;tern &#x017F;chon nach dem<lb/>
&#x017F;ech&#x017F;ten Capitel handeln ko&#x0364;nnen. Wir wollen &#x017F;ie hier durch<lb/>
einander nennen, be&#x017F;chreiben und mit Exempeln aus un&#x017F;ern<lb/>
Poeten erla&#x0364;utern. Jch will der Ordnung des beru&#x0364;hmten<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">P.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0286] Das IX. Capitel Einige neuere Lehrer der Wohlredenheit haben mit groſſem Eifer wieder den Unterricht von Figuren, der in allen Rhetoricken vorkommt, geſchrieben. Sie haben da- vor gehalten: Man koͤnnte dieſe gantze Lehre erſparen, und doͤrfe die Jugend mit ſo vielen Griechiſchen Nahmen nicht plagen; zumahl ſie daraus nichts mehr lernte, als wie man eine Sache, die auch dem einfaͤltigſten Poͤbel bekannt waͤ- re, benennen koͤnnte. Man giebt es zu, daß viele Schul- lehrer der Sache zuviel gethan, und ſich gar zu lange da- bey aufgehalten haben. Man giebt auch zu, daß die Grie- chiſchen Nahmen offt eine unnoͤthige Schwierigkeit verur- ſachen, und daß man beſſer thaͤte, wenn man an ihrer Stelle Deutſche einfuͤhrete. Man geſteht auch endlich, daß die Natur ſelbſt lebhaffte Leute in Figuren reden leh- ret, die ſonſt ihr lebenlang keine Anleitung dazu bekommen haben. Aber aus dem allen folget noch nicht, daß die Lehre von Figuren aus den Anweiſungen zur Wohlreden- heit gar zu verbannen ſey. Wenn man etwa ein kleines Capitel dazu widmet; wenn man ſich bemuͤhet, die Nah- men derſelben leicht und deutlich zu machen; wenn man endlich ihren Gebrauch und Mißbrauch unterſcheiden leh- ret: ſo iſt man meines Erachtens wohl nicht zu ſchelten. Zu geſchweigen, daß nur die munterſten Koͤpfe von ſich ſelbſt auf die Figuren gerathen, wenn ſie wovon reden oder ſchreiben. Die andern, die nicht ſo viel Feuer haben, wuͤr- den ſich darauf nicht beſinnen; wenn man ihnen nicht auf die Spur helfen wollte. Wenn man ihnen aber gute Exempel davon vorlegt, und die Schoͤnheit derſelben em- pfindlich macht: So werden ſie auch entzuͤndet, und ſie be- muͤhen ſich hernach ihre ſchlaͤfrige Schreibart auch ein we- nig zu erwecken und anzufeuren. Es giebt aber zweyerley Figuren. Einige beſtehen nur in einzelnen Worten, andre aber in gantzen Spruͤchen oder Saͤtzen; daher haͤtte ich von den erſtern ſchon nach dem ſechſten Capitel handeln koͤnnen. Wir wollen ſie hier durch einander nennen, beſchreiben und mit Exempeln aus unſern Poeten erlaͤutern. Jch will der Ordnung des beruͤhmten P.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/286
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/286>, abgerufen am 25.11.2024.