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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von der poetischen Schreibart.
Ein Fuchs, der Bauren schuldger Diener,
Da, wenn es an ein Stehlen geht;
Stahl einem solchen viele Hüner,
Und machte sie im Huy labet.
Der Bauer suchte sich zu rächen
Und durfte doch kein Wörtlein sprechen.

Genug zur Probe aus unserm Nürnbergischen Phä-
drus. Das heißt ja abgeschmackt, und nicht natürlich, es
wäre denn, daß jenes auch gewissen Leuten in der Natur
steckte. Zum wenigsten aber würde es alsdann keine schö-
ne Natur seyn. Von Briefen beruffe ich mich auf Cani-
tzens Gedichte p. 122. der neuen Auflage. Es ist des Herrn
von Brand Antwort-Schreiben auf des Herrn von Canitz
unvergleichliches Schreiben vom Landleben, und hebt so
an:

Mein allerliebster Freund und werthester Herr Bruder,
Der du in Blumberg itzt versammlest deine Fuder,
Der du wie Tityrus, dort in dem Schatten liegst,
Und zehlest, was für Korn du in die Scheunen kriegst.
Du dürftest dich fürwahr so künstlich nicht bemühen
Mich durch ein schön Gedicht hinaus aufs Land zu ziehen.
Es braucht, willst du mich sehn, von dir ein einzig Wort,
Dein Landgut ist für mich ein allzulieber Ort,
Jch weiß schon wie man da die Stunden kan vertreiben,
Die Feldlust hättest du nicht nöthig zu beschreiben etc.

Das ist ja wohl gegen die Canitzische natürliche Schreib-
art lauter kaltes und ungesaltzenes Wasser, ich will sagen,
eine elende magre Prosa, die so nothdürftig in Sylbenmaaß
und Reime gebracht worden. Und so viel von der niedri-
gen oder natürlichen poetischen Schreibart.

Die andre Gattung ist die sinnreiche, erhabene, und
prächtige Schreibart; die aus lauter verblümten Redens-
arten, neuen Gedancken, sonderbaren Metaphoren, Gleich-
nissen und kurtzgefaßten scharfsinnigen Sprüchen bestehet;
die aber alle bey der Vernunft die Probe aushalten. Eine
solche Schreibart nun ist sehr künstlich, und kan daher kaum
in einer einzigen Gattung von Gedichten durchgehends herr-
schen. Gar zu viel Licht blendet die Augen; Gar zu star-

cke
T 3
Von der poetiſchen Schreibart.
Ein Fuchs, der Bauren ſchuldger Diener,
Da, wenn es an ein Stehlen geht;
Stahl einem ſolchen viele Huͤner,
Und machte ſie im Huy labet.
Der Bauer ſuchte ſich zu raͤchen
Und durfte doch kein Woͤrtlein ſprechen.

Genug zur Probe aus unſerm Nuͤrnbergiſchen Phaͤ-
drus. Das heißt ja abgeſchmackt, und nicht natuͤrlich, es
waͤre denn, daß jenes auch gewiſſen Leuten in der Natur
ſteckte. Zum wenigſten aber wuͤrde es alsdann keine ſchoͤ-
ne Natur ſeyn. Von Briefen beruffe ich mich auf Cani-
tzens Gedichte p. 122. der neuen Auflage. Es iſt des Herrn
von Brand Antwort-Schreiben auf des Herrn von Canitz
unvergleichliches Schreiben vom Landleben, und hebt ſo
an:

Mein allerliebſter Freund und wertheſter Herr Bruder,
Der du in Blumberg itzt verſammleſt deine Fuder,
Der du wie Tityrus, dort in dem Schatten liegſt,
Und zehleſt, was fuͤr Korn du in die Scheunen kriegſt.
Du duͤrfteſt dich fuͤrwahr ſo kuͤnſtlich nicht bemuͤhen
Mich durch ein ſchoͤn Gedicht hinaus aufs Land zu ziehen.
Es braucht, willſt du mich ſehn, von dir ein einzig Wort,
Dein Landgut iſt fuͤr mich ein allzulieber Ort,
Jch weiß ſchon wie man da die Stunden kan vertreiben,
Die Feldluſt haͤtteſt du nicht noͤthig zu beſchreiben ꝛc.

Das iſt ja wohl gegen die Canitziſche natuͤrliche Schreib-
art lauter kaltes und ungeſaltzenes Waſſer, ich will ſagen,
eine elende magre Proſa, die ſo nothduͤrftig in Sylbenmaaß
und Reime gebracht worden. Und ſo viel von der niedri-
gen oder natuͤrlichen poetiſchen Schreibart.

Die andre Gattung iſt die ſinnreiche, erhabene, und
praͤchtige Schreibart; die aus lauter verbluͤmten Redens-
arten, neuen Gedancken, ſonderbaren Metaphoren, Gleich-
niſſen und kurtzgefaßten ſcharfſinnigen Spruͤchen beſtehet;
die aber alle bey der Vernunft die Probe aushalten. Eine
ſolche Schreibart nun iſt ſehr kuͤnſtlich, und kan daher kaum
in einer einzigen Gattung von Gedichten durchgehends herr-
ſchen. Gar zu viel Licht blendet die Augen; Gar zu ſtar-

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[293/0321] Von der poetiſchen Schreibart. Ein Fuchs, der Bauren ſchuldger Diener, Da, wenn es an ein Stehlen geht; Stahl einem ſolchen viele Huͤner, Und machte ſie im Huy labet. Der Bauer ſuchte ſich zu raͤchen Und durfte doch kein Woͤrtlein ſprechen. Genug zur Probe aus unſerm Nuͤrnbergiſchen Phaͤ- drus. Das heißt ja abgeſchmackt, und nicht natuͤrlich, es waͤre denn, daß jenes auch gewiſſen Leuten in der Natur ſteckte. Zum wenigſten aber wuͤrde es alsdann keine ſchoͤ- ne Natur ſeyn. Von Briefen beruffe ich mich auf Cani- tzens Gedichte p. 122. der neuen Auflage. Es iſt des Herrn von Brand Antwort-Schreiben auf des Herrn von Canitz unvergleichliches Schreiben vom Landleben, und hebt ſo an: Mein allerliebſter Freund und wertheſter Herr Bruder, Der du in Blumberg itzt verſammleſt deine Fuder, Der du wie Tityrus, dort in dem Schatten liegſt, Und zehleſt, was fuͤr Korn du in die Scheunen kriegſt. Du duͤrfteſt dich fuͤrwahr ſo kuͤnſtlich nicht bemuͤhen Mich durch ein ſchoͤn Gedicht hinaus aufs Land zu ziehen. Es braucht, willſt du mich ſehn, von dir ein einzig Wort, Dein Landgut iſt fuͤr mich ein allzulieber Ort, Jch weiß ſchon wie man da die Stunden kan vertreiben, Die Feldluſt haͤtteſt du nicht noͤthig zu beſchreiben ꝛc. Das iſt ja wohl gegen die Canitziſche natuͤrliche Schreib- art lauter kaltes und ungeſaltzenes Waſſer, ich will ſagen, eine elende magre Proſa, die ſo nothduͤrftig in Sylbenmaaß und Reime gebracht worden. Und ſo viel von der niedri- gen oder natuͤrlichen poetiſchen Schreibart. Die andre Gattung iſt die ſinnreiche, erhabene, und praͤchtige Schreibart; die aus lauter verbluͤmten Redens- arten, neuen Gedancken, ſonderbaren Metaphoren, Gleich- niſſen und kurtzgefaßten ſcharfſinnigen Spruͤchen beſtehet; die aber alle bey der Vernunft die Probe aushalten. Eine ſolche Schreibart nun iſt ſehr kuͤnſtlich, und kan daher kaum in einer einzigen Gattung von Gedichten durchgehends herr- ſchen. Gar zu viel Licht blendet die Augen; Gar zu ſtar- cke T 3

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/321>, abgerufen am 29.05.2024.