Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.Des I Capitels II Theil Könnt ich doch die Seufzer zehlen, Die des Hofes Traurigkeit Jhrer Leiche schon geweyht: (Denn wer kan den Schmertz verhelen?) O so wollt ich - - - doch vergebens! Wehle dir, verirrter Kiel, Die Erblaßte selbst zum Ziel, Und den Vorzug ihres Lebens; Der, wenn man sie gleich begräbt, Doch in unsern Hertzen lebt. Treue Brüder der Poeten, Wahre Schüler der Natur, Kommt und helft und theilt euch nur, Jn die Pflichten unsrer Flöten. Mahlt der hohen Glieder Prangen, Mahlt den langen Cörper gantz, Mahlt der muntern Augen Glantz, Sammt den vollen Liljen-Wangen. Geist und Tugend soll allein Meiner Lieder Jnhalt seyn. Doch wer faßt so edle Gaben Jn ein allzuenges Blatt? Wer wie sie, nichts gleiches hat, Muß ein hohes Lob-Lied haben. König müste sie besingen, Dem, wenn er die Laute nimmt, Phöbus selbst die Seyten stimmt, Daß sie Wald und Felsen zwingen: Dann wollt ich mich unterstehn, Jhm von ferne nachzugehn. Aber nein! kein fremdes Loben, Keine Dichtkunst gnüget hier: Theurer Bünau! bloß von dir, Wird sie nach Verdienst erhoben. Wie dort Kanitz, reich an Trauren, Seiner Doris Aschen-Krug Singend ins Gewölbe trug, Jhren Abscheid zu bedauren: So bist du allein geschickt, Zu beklagen was dich drückt. Schlug
Des I Capitels II Theil Koͤnnt ich doch die Seufzer zehlen, Die des Hofes Traurigkeit Jhrer Leiche ſchon geweyht: (Denn wer kan den Schmertz verhelen?) O ſo wollt ich ‒ ‒ ‒ doch vergebens! Wehle dir, verirrter Kiel, Die Erblaßte ſelbſt zum Ziel, Und den Vorzug ihres Lebens; Der, wenn man ſie gleich begraͤbt, Doch in unſern Hertzen lebt. Treue Bruͤder der Poeten, Wahre Schuͤler der Natur, Kommt und helft und theilt euch nur, Jn die Pflichten unſrer Floͤten. Mahlt der hohen Glieder Prangen, Mahlt den langen Coͤrper gantz, Mahlt der muntern Augen Glantz, Sammt den vollen Liljen-Wangen. Geiſt und Tugend ſoll allein Meiner Lieder Jnhalt ſeyn. Doch wer faßt ſo edle Gaben Jn ein allzuenges Blatt? Wer wie ſie, nichts gleiches hat, Muß ein hohes Lob-Lied haben. Koͤnig muͤſte ſie beſingen, Dem, wenn er die Laute nimmt, Phoͤbus ſelbſt die Seyten ſtimmt, Daß ſie Wald und Felſen zwingen: Dann wollt ich mich unterſtehn, Jhm von ferne nachzugehn. Aber nein! kein fremdes Loben, Keine Dichtkunſt gnuͤget hier: Theurer Buͤnau! bloß von dir, Wird ſie nach Verdienſt erhoben. Wie dort Kanitz, reich an Trauren, Seiner Doris Aſchen-Krug Singend ins Gewoͤlbe trug, Jhren Abſcheid zu bedauren: So biſt du allein geſchickt, Zu beklagen was dich druͤckt. Schlug
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Des I Capitels II Theil
Koͤnnt ich doch die Seufzer zehlen,
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Jhrer Leiche ſchon geweyht:
(Denn wer kan den Schmertz verhelen?)
O ſo wollt ich ‒ ‒ ‒ doch vergebens!
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Die Erblaßte ſelbſt zum Ziel,
Und den Vorzug ihres Lebens;
Der, wenn man ſie gleich begraͤbt,
Doch in unſern Hertzen lebt.
Treue Bruͤder der Poeten,
Wahre Schuͤler der Natur,
Kommt und helft und theilt euch nur,
Jn die Pflichten unſrer Floͤten.
Mahlt der hohen Glieder Prangen,
Mahlt den langen Coͤrper gantz,
Mahlt der muntern Augen Glantz,
Sammt den vollen Liljen-Wangen.
Geiſt und Tugend ſoll allein
Meiner Lieder Jnhalt ſeyn.
Doch wer faßt ſo edle Gaben
Jn ein allzuenges Blatt?
Wer wie ſie, nichts gleiches hat,
Muß ein hohes Lob-Lied haben.
Koͤnig muͤſte ſie beſingen,
Dem, wenn er die Laute nimmt,
Phoͤbus ſelbſt die Seyten ſtimmt,
Daß ſie Wald und Felſen zwingen:
Dann wollt ich mich unterſtehn,
Jhm von ferne nachzugehn.
Aber nein! kein fremdes Loben,
Keine Dichtkunſt gnuͤget hier:
Theurer Buͤnau! bloß von dir,
Wird ſie nach Verdienſt erhoben.
Wie dort Kanitz, reich an Trauren,
Seiner Doris Aſchen-Krug
Singend ins Gewoͤlbe trug,
Jhren Abſcheid zu bedauren:
So biſt du allein geſchickt,
Zu beklagen was dich druͤckt.
Schlug
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