Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.Des II Theils I Capitel Auf eines Anhalt-Zerbstischen Hof-Junckers von Kospoth Ableben in fremdem Nahmen. VErtiefft euch nur, verwehnte Seelen, Jm Schlamme schnöder Eitelkeit! Verbannt den Staub der Todten-Hölen Zu ewiger Vergessenheit! Die blasse Furcht vor Grab und Leichen Macht keinen von der Sichel frey: Morbona rufft: Es bleibt dabey! Jhr Menschenkinder müßt erbleichen! Es sey nun, daß in frohen Jahren Die Wangen voller Rosen stehn; Es sey, daß bey gebleichten Haaren Die Schenckel schwach und wanckend gehn; Es sey, daß Schönheit, Gold und Titel Das Vorrecht edler Seelen sind: Der Tod schlägt alles in den Wind, Und webt uns doch den Sterbekittel. Jhr Weisen! schreibt nur in die Bücher, Die Tugend mache Göttern gleich: Euch selbst bedecken Grabe-Tücher, Jhr selber müßt ins Toden-Reich. Die aufgelösten Geister dringen Jn das gewölbte Sternen-Zelt: Wer zweifelt dran? Doch in der Welt Muß sie vorher der Tod bezwingen. O träfen solche Trauer-Lieder Nur nicht bey Tugendhafften ein! So dürfften Kospoths kalte Glieder Kein Beyspiel dieser Wahrheit seyn: So dürften wir bey Gram und Thränen, Die uns sein Abschied ausgeprest, Bey seinem welchen Uberrest, Uns nicht nach unserm Freunde sehnen. Wer war, wie er, an Muth und Jugend, An Witz, Verstand und Anmuth reich? Wie herrlich sprach er von der Tugend? Wie liebt' er sie dabey zugleich? Wie that er noch vor wenig Wochen Jhr übergrosses Wesen kund, Jndem sein wohlbegabter Mund Jhr Himmelhohes Lob gesprochen. Jsts
Des II Theils I Capitel Auf eines Anhalt-Zerbſtiſchen Hof-Junckers von Koſpoth Ableben in fremdem Nahmen. VErtiefft euch nur, verwehnte Seelen, Jm Schlamme ſchnoͤder Eitelkeit! Verbannt den Staub der Todten-Hoͤlen Zu ewiger Vergeſſenheit! Die blaſſe Furcht vor Grab und Leichen Macht keinen von der Sichel frey: Morbona rufft: Es bleibt dabey! Jhr Menſchenkinder muͤßt erbleichen! Es ſey nun, daß in frohen Jahren Die Wangen voller Roſen ſtehn; Es ſey, daß bey gebleichten Haaren Die Schenckel ſchwach und wanckend gehn; Es ſey, daß Schoͤnheit, Gold und Titel Das Vorrecht edler Seelen ſind: Der Tod ſchlaͤgt alles in den Wind, Und webt uns doch den Sterbekittel. Jhr Weiſen! ſchreibt nur in die Buͤcher, Die Tugend mache Goͤttern gleich: Euch ſelbſt bedecken Grabe-Tuͤcher, Jhr ſelber muͤßt ins Toden-Reich. Die aufgeloͤſten Geiſter dringen Jn das gewoͤlbte Sternen-Zelt: Wer zweifelt dran? Doch in der Welt Muß ſie vorher der Tod bezwingen. O traͤfen ſolche Trauer-Lieder Nur nicht bey Tugendhafften ein! So duͤrfften Koſpoths kalte Glieder Kein Beyſpiel dieſer Wahrheit ſeyn: So duͤrften wir bey Gram und Thraͤnen, Die uns ſein Abſchied ausgepreſt, Bey ſeinem welchen Uberreſt, Uns nicht nach unſerm Freunde ſehnen. Wer war, wie er, an Muth und Jugend, An Witz, Verſtand und Anmuth reich? Wie herrlich ſprach er von der Tugend? Wie liebt’ er ſie dabey zugleich? Wie that er noch vor wenig Wochen Jhr uͤbergroſſes Weſen kund, Jndem ſein wohlbegabter Mund Jhr Himmelhohes Lob geſprochen. Jſts
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Des II Theils I Capitel
Auf eines Anhalt-Zerbſtiſchen Hof-Junckers von
Koſpoth Ableben in fremdem Nahmen.
VErtiefft euch nur, verwehnte Seelen,
Jm Schlamme ſchnoͤder Eitelkeit!
Verbannt den Staub der Todten-Hoͤlen
Zu ewiger Vergeſſenheit!
Die blaſſe Furcht vor Grab und Leichen
Macht keinen von der Sichel frey:
Morbona rufft: Es bleibt dabey!
Jhr Menſchenkinder muͤßt erbleichen!
Es ſey nun, daß in frohen Jahren
Die Wangen voller Roſen ſtehn;
Es ſey, daß bey gebleichten Haaren
Die Schenckel ſchwach und wanckend gehn;
Es ſey, daß Schoͤnheit, Gold und Titel
Das Vorrecht edler Seelen ſind:
Der Tod ſchlaͤgt alles in den Wind,
Und webt uns doch den Sterbekittel.
Jhr Weiſen! ſchreibt nur in die Buͤcher,
Die Tugend mache Goͤttern gleich:
Euch ſelbſt bedecken Grabe-Tuͤcher,
Jhr ſelber muͤßt ins Toden-Reich.
Die aufgeloͤſten Geiſter dringen
Jn das gewoͤlbte Sternen-Zelt:
Wer zweifelt dran? Doch in der Welt
Muß ſie vorher der Tod bezwingen.
O traͤfen ſolche Trauer-Lieder
Nur nicht bey Tugendhafften ein!
So duͤrfften Koſpoths kalte Glieder
Kein Beyſpiel dieſer Wahrheit ſeyn:
So duͤrften wir bey Gram und Thraͤnen,
Die uns ſein Abſchied ausgepreſt,
Bey ſeinem welchen Uberreſt,
Uns nicht nach unſerm Freunde ſehnen.
Wer war, wie er, an Muth und Jugend,
An Witz, Verſtand und Anmuth reich?
Wie herrlich ſprach er von der Tugend?
Wie liebt’ er ſie dabey zugleich?
Wie that er noch vor wenig Wochen
Jhr uͤbergroſſes Weſen kund,
Jndem ſein wohlbegabter Mund
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