Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.
Kurtz, 17 Jch geb es zu etc. Dacier will in seinen Anmerckungen über diese Stelle, dieses wären nicht Horatii Worte, sondern er habe sie im Nahmen seines Gegners vorgebracht. Allein ich sehe nicht warum. Horatz konnte wohl sagen: Ein Poet habe Macht nach Belieben zu dichten; da er sogleich die Bedingung hinzusetzt, daß es nur nicht wieder die Wahrscheinlichkeit laufen müsse. 21 Mit Edelsteinen. Jch hätte auch Purpurstreifen setzen können, welches dem Grund-Texte näher kömmt; aber wegen der alten Art der Römischen Klei- bung, die bey uns nicht mehr bekannt ist, habe ichs lieber so gemacht. Denn es ist nur auf einen übelangebrachten Zierrath angesehen. Dazu müssen nun unsern Poeten sonderlich die Diamanten und Rubinen, Schmaragden und Sapphire Carniolen und Amethisten dienen. 25 Das alles ist sehr gut. Dieses gehört vor die unendlichen Poetischen Mahler, die ihren Leser mit ihren ewigen Schildereyen bald zu Tode mahlen, wo er nicht aus Eckel und Uberdruß das Buch weglegt. Eine lebhaffte Beschreibung ist gut; aber lauter Bilder sind verdrüßlich zu lesen. 31 Dein stolzer Anfang etc. Es heißt eigentlich Gleichniß-weise nach Hrn
Eckardts Ubersetzung: Du willst ein groß Gefäß ausdeinem Thone treiben, Und dennoch kömmt zuletzt ein Töpflein von der Scheiben. Allein ich dachte daß es nützlicher wäre die darunter versteckte Wahrheit ungekün- stelt herauszusagen.
Kurtz, 17 Jch geb es zu ꝛc. Dacier will in ſeinen Anmerckungen uͤber dieſe Stelle, dieſes waͤren nicht Horatii Worte, ſondern er habe ſie im Nahmen ſeines Gegners vorgebracht. Allein ich ſehe nicht warum. Horatz konnte wohl ſagen: Ein Poet habe Macht nach Belieben zu dichten; da er ſogleich die Bedingung hinzuſetzt, daß es nur nicht wieder die Wahrſcheinlichkeit laufen muͤſſe. 21 Mit Edelſteinen. Jch haͤtte auch Purpurſtreifen ſetzen koͤnnen, welches dem Grund-Texte naͤher koͤmmt; aber wegen der alten Art der Roͤmiſchen Klei- bung, die bey uns nicht mehr bekannt iſt, habe ichs lieber ſo gemacht. Denn es iſt nur auf einen uͤbelangebrachten Zierrath angeſehen. Dazu muͤſſen nun unſern Poeten ſonderlich die Diamanten und Rubinen, Schmaragden und Sapphire Carniolen und Amethiſten dienen. 25 Das alles iſt ſehr gut. Dieſes gehoͤrt vor die unendlichen Poetiſchen Mahler, die ihren Leſer mit ihren ewigen Schildereyen bald zu Tode mahlen, wo er nicht aus Eckel und Uberdruß das Buch weglegt. Eine lebhaffte Beſchreibung iſt gut; aber lauter Bilder ſind verdruͤßlich zu leſen. 31 Dein ſtolzer Anfang ꝛc. Es heißt eigentlich Gleichniß-weiſe nach Hrn
Eckardts Uberſetzung: Du willſt ein groß Gefaͤß ausdeinem Thone treiben, Und dennoch koͤmmt zuletzt ein Toͤpflein von der Scheiben. Allein ich dachte daß es nuͤtzlicher waͤre die darunter verſteckte Wahrheit ungekuͤn- ſtelt herauszuſagen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l> <pb facs="#f0039" n="11"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Horatius von der Dicht-Kunſt.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Ein Mahler und Poet folgt ſeiner Phantaſey;<lb/><note place="left">15</note>Er kan ſich ſeiner Kunſt nach eigner Luſt bedienen,</l><lb/> <l>Und ſich durch Geiſt und Witz was ihm beliebt, erkuͤhnen.</l><lb/> <l>Gantz recht, ich geb es zu, und mach es ſelber ſo.</l><lb/> <l>Allein wer miſchet wohl das Feuer in das Stroh?</l><lb/> <l>Kein Tyger zeugt ein Lamm, kein Adler heckt ja Schlangen.<lb/><note place="left">20</note>Wie manches Dichters Schrifft wird praͤchtig angefangen,</l><lb/> <l>Man ſchmuͤckt ſie hin und her mit Edelſteinen aus,</l><lb/> <l>Beſchreibt Dianens Haͤyn, Altar und Goͤtter-Haus,</l><lb/> <l>Entwirft mit groſſer Kunſt des Rheinſtroms Waſſerwogen,</l><lb/> <l>Und mahlt der Farben Glantz im bunten Regenbogen.<lb/><note place="left">25</note>Das alles iſt ſehr gut; nur hier gehoͤrts nicht her.</l><lb/> <l>Dort ſtuͤrzt ein wilder Sturm den Schiffer in das Meer;</l><lb/> <l>Geſetzt du koͤnnteſt nun Cypreſſen-Waͤlder ſchildern,</l><lb/> <l>Was hilft dir dieſe Kunſt, wenn ſich in deinen Bildern</l><lb/> <l>Der Schiffbruch zeigen ſoll, den jener vor ſein Geld,<lb/><note place="left">30</note>Nach uͤberſtandner Noth, mit Fleiß bey dir beſtellt?</l><lb/> <l>Dein ſtoltzer Anfang prahlt von ſeltnen Wunder-Sachen,</l><lb/> <l>Wie reitzt uns denn hernach der magre Schluß zum Lachen?<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Kurtz,</fw><lb/><note place="foot" n="17"><hi rendition="#fr">Jch geb es zu ꝛc.</hi> Dacier will in ſeinen Anmerckungen uͤber dieſe Stelle,<lb/> dieſes waͤren nicht Horatii Worte, ſondern er habe ſie im Nahmen ſeines Gegners<lb/> vorgebracht. Allein ich ſehe nicht warum. Horatz konnte wohl ſagen: Ein Poet<lb/> habe Macht nach Belieben zu dichten; da er ſogleich die Bedingung hinzuſetzt, daß<lb/> es nur nicht wieder die Wahrſcheinlichkeit laufen muͤſſe.</note><lb/><note place="foot" n="21"><hi rendition="#fr">Mit Edelſteinen.</hi> Jch haͤtte auch Purpurſtreifen ſetzen koͤnnen, welches<lb/> dem Grund-Texte naͤher koͤmmt; aber wegen der alten Art der Roͤmiſchen Klei-<lb/> bung, die bey uns nicht mehr bekannt iſt, habe ichs lieber ſo gemacht. Denn es iſt<lb/> nur auf einen uͤbelangebrachten Zierrath angeſehen. Dazu muͤſſen nun unſern<lb/> Poeten ſonderlich die Diamanten und Rubinen, Schmaragden und Sapphire<lb/> Carniolen und Amethiſten dienen.</note><lb/><note place="foot" n="25"><hi rendition="#fr">Das alles iſt ſehr gut.</hi> Dieſes gehoͤrt vor die unendlichen Poetiſchen<lb/> Mahler, die ihren Leſer mit ihren ewigen Schildereyen bald zu Tode mahlen, wo<lb/> er nicht aus Eckel und Uberdruß das Buch weglegt. Eine lebhaffte Beſchreibung<lb/> iſt gut; aber lauter Bilder ſind verdruͤßlich zu leſen.</note><lb/><note place="foot" n="31"><hi rendition="#fr">Dein ſtolzer Anfang ꝛc.</hi> Es heißt eigentlich Gleichniß-weiſe nach Hrn<lb/> Eckardts Uberſetzung:<lb/><hi rendition="#et">Du willſt ein groß Gefaͤß ausdeinem Thone treiben,<lb/> Und dennoch koͤmmt zuletzt ein Toͤpflein von der Scheiben.</hi><lb/> Allein ich dachte daß es nuͤtzlicher waͤre die darunter verſteckte Wahrheit ungekuͤn-<lb/> ſtelt herauszuſagen.</note><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0039]
Horatius von der Dicht-Kunſt.
Ein Mahler und Poet folgt ſeiner Phantaſey;
Er kan ſich ſeiner Kunſt nach eigner Luſt bedienen,
Und ſich durch Geiſt und Witz was ihm beliebt, erkuͤhnen.
Gantz recht, ich geb es zu, und mach es ſelber ſo.
Allein wer miſchet wohl das Feuer in das Stroh?
Kein Tyger zeugt ein Lamm, kein Adler heckt ja Schlangen.
Wie manches Dichters Schrifft wird praͤchtig angefangen,
Man ſchmuͤckt ſie hin und her mit Edelſteinen aus,
Beſchreibt Dianens Haͤyn, Altar und Goͤtter-Haus,
Entwirft mit groſſer Kunſt des Rheinſtroms Waſſerwogen,
Und mahlt der Farben Glantz im bunten Regenbogen.
Das alles iſt ſehr gut; nur hier gehoͤrts nicht her.
Dort ſtuͤrzt ein wilder Sturm den Schiffer in das Meer;
Geſetzt du koͤnnteſt nun Cypreſſen-Waͤlder ſchildern,
Was hilft dir dieſe Kunſt, wenn ſich in deinen Bildern
Der Schiffbruch zeigen ſoll, den jener vor ſein Geld,
Nach uͤberſtandner Noth, mit Fleiß bey dir beſtellt?
Dein ſtoltzer Anfang prahlt von ſeltnen Wunder-Sachen,
Wie reitzt uns denn hernach der magre Schluß zum Lachen?
Kurtz,
17
21
25
31
17 Jch geb es zu ꝛc. Dacier will in ſeinen Anmerckungen uͤber dieſe Stelle,
dieſes waͤren nicht Horatii Worte, ſondern er habe ſie im Nahmen ſeines Gegners
vorgebracht. Allein ich ſehe nicht warum. Horatz konnte wohl ſagen: Ein Poet
habe Macht nach Belieben zu dichten; da er ſogleich die Bedingung hinzuſetzt, daß
es nur nicht wieder die Wahrſcheinlichkeit laufen muͤſſe.
21 Mit Edelſteinen. Jch haͤtte auch Purpurſtreifen ſetzen koͤnnen, welches
dem Grund-Texte naͤher koͤmmt; aber wegen der alten Art der Roͤmiſchen Klei-
bung, die bey uns nicht mehr bekannt iſt, habe ichs lieber ſo gemacht. Denn es iſt
nur auf einen uͤbelangebrachten Zierrath angeſehen. Dazu muͤſſen nun unſern
Poeten ſonderlich die Diamanten und Rubinen, Schmaragden und Sapphire
Carniolen und Amethiſten dienen.
25 Das alles iſt ſehr gut. Dieſes gehoͤrt vor die unendlichen Poetiſchen
Mahler, die ihren Leſer mit ihren ewigen Schildereyen bald zu Tode mahlen, wo
er nicht aus Eckel und Uberdruß das Buch weglegt. Eine lebhaffte Beſchreibung
iſt gut; aber lauter Bilder ſind verdruͤßlich zu leſen.
31 Dein ſtolzer Anfang ꝛc. Es heißt eigentlich Gleichniß-weiſe nach Hrn
Eckardts Uberſetzung:
Du willſt ein groß Gefaͤß ausdeinem Thone treiben,
Und dennoch koͤmmt zuletzt ein Toͤpflein von der Scheiben.
Allein ich dachte daß es nuͤtzlicher waͤre die darunter verſteckte Wahrheit ungekuͤn-
ſtelt herauszuſagen.
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