standen, welche er hier und da zu künstlich und gleißend vor Schäfer gemacht: sonst aber doch gewiesen, daß er auch ihren wahren Character wohl treffen könne. Herr Fontenelle, dem ich diese Anmerckungen abborge, gesteht auch von sich selbst, daß er seine Schäfer-Gedichte eher gemacht, als er sich um die Regeln derselben bekümmert gehabt. Er erkennet aber bey der Unbeständigkeit des Geschmackes seiner Zeiten, es sey besser sich an die Regeln zu halten, und den wahrhafften Begriffen von einer Sache zu folgen.
Jn der That hat er seine Schäfer zu scharfsinnigen Pa- risern gemacht. Sie sind offt so sinnreich als Herr Fontenelle selbst, und einige neuere Critici haben nicht unrecht, wenn sie es ihm vorrücken, daß er seine Hirten eine Metaphysic über Liebes-Sachen gelehret habe. Vielleicht hat er auch bloß in der Absicht diesen Fehler zu entschuldigen, gesagt; die Schä- fer der Eclogen müsten gleichsam seidene Kleider haben, die nur Schäfer-mäßig zugeschnitten wären. Sonst sehe ich aus seiner vernünftigen Critic über andre, daß er in dieser Art von Gedichten unverbesserlich würde geworden seyn, wenn er sich nicht eher an diese Arbeit gemacht hätte, bis er sich die wahre Natur derselben besser bekannt gemacht gehabt. Wir haben einen ausführlichen Tractat davon im Franzöfischen, den der Abt Genest geschrieben, und den man bey Fenelons Gedancken von der Redekunst und Poesie 1717 zu Amster- dam gedruckt hat.
Unter den Engelländern hat sich sonderlich Philips und Spencer in dieser Art von Gedichten gewiesen. Richard Steele macht in seinem Gardian sehr viel von ihnen, und hält sie allein würdig dem Theocritus und Virgil an die Seite ge- setzt zu werden. Es ist nicht zu leugnen, daß nicht dieser ge- lehrte Scribent eine gute Einsicht in die Eigenschafften dieser Gedichte erwiesen habe. Sein 28stes, 30stes und 32sten Blatt des Isten Theils, handeln ausführlich davon, und son- derlich ist das letzte merckwürdig, wo er alle seine Gedancken von Schäfer-Gedichten, in einer Fabel von dem Schäfer Damon und seiner Tochter Amaryllis vorgetragen. Man kan den Gvardian auch Deutsch lesen, sonst wollte ich einen
Aus-
Des II Theils III Capitel
ſtanden, welche er hier und da zu kuͤnſtlich und gleißend vor Schaͤfer gemacht: ſonſt aber doch gewieſen, daß er auch ihren wahren Character wohl treffen koͤnne. Herr Fontenelle, dem ich dieſe Anmerckungen abborge, geſteht auch von ſich ſelbſt, daß er ſeine Schaͤfer-Gedichte eher gemacht, als er ſich um die Regeln derſelben bekuͤmmert gehabt. Er erkennet aber bey der Unbeſtaͤndigkeit des Geſchmackes ſeiner Zeiten, es ſey beſſer ſich an die Regeln zu halten, und den wahrhafften Begriffen von einer Sache zu folgen.
Jn der That hat er ſeine Schaͤfer zu ſcharfſinnigen Pa- riſern gemacht. Sie ſind offt ſo ſinnreich als Herr Fontenelle ſelbſt, und einige neuere Critici haben nicht unrecht, wenn ſie es ihm vorruͤcken, daß er ſeine Hirten eine Metaphyſic uͤber Liebes-Sachen gelehret habe. Vielleicht hat er auch bloß in der Abſicht dieſen Fehler zu entſchuldigen, geſagt; die Schaͤ- fer der Eclogen muͤſten gleichſam ſeidene Kleider haben, die nur Schaͤfer-maͤßig zugeſchnitten waͤren. Sonſt ſehe ich aus ſeiner vernuͤnftigen Critic uͤber andre, daß er in dieſer Art von Gedichten unverbeſſerlich wuͤrde geworden ſeyn, wenn er ſich nicht eher an dieſe Arbeit gemacht haͤtte, bis er ſich die wahre Natur derſelben beſſer bekannt gemacht gehabt. Wir haben einen ausfuͤhrlichen Tractat davon im Franzoͤfiſchen, den der Abt Geneſt geſchrieben, und den man bey Fenelons Gedancken von der Redekunſt und Poeſie 1717 zu Amſter- dam gedruckt hat.
Unter den Engellaͤndern hat ſich ſonderlich Philips und Spencer in dieſer Art von Gedichten gewieſen. Richard Steele macht in ſeinem Gardian ſehr viel von ihnen, und haͤlt ſie allein wuͤrdig dem Theocritus und Virgil an die Seite ge- ſetzt zu werden. Es iſt nicht zu leugnen, daß nicht dieſer ge- lehrte Scribent eine gute Einſicht in die Eigenſchafften dieſer Gedichte erwieſen habe. Sein 28ſtes, 30ſtes und 32ſten Blatt des Iſten Theils, handeln ausfuͤhrlich davon, und ſon- derlich iſt das letzte merckwuͤrdig, wo er alle ſeine Gedancken von Schaͤfer-Gedichten, in einer Fabel von dem Schaͤfer Damon und ſeiner Tochter Amaryllis vorgetragen. Man kan den Gvardian auch Deutſch leſen, ſonſt wollte ich einen
Aus-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0416"n="388"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Des <hirendition="#aq">II</hi> Theils <hirendition="#aq">III</hi> Capitel</hi></fw><lb/>ſtanden, welche er hier und da zu kuͤnſtlich und gleißend vor<lb/>
Schaͤfer gemacht: ſonſt aber doch gewieſen, daß er auch ihren<lb/>
wahren Character wohl treffen koͤnne. Herr Fontenelle,<lb/>
dem ich dieſe Anmerckungen abborge, geſteht auch von ſich<lb/>ſelbſt, daß er ſeine Schaͤfer-Gedichte eher gemacht, als er ſich<lb/>
um die Regeln derſelben bekuͤmmert gehabt. Er erkennet<lb/>
aber bey der Unbeſtaͤndigkeit des Geſchmackes ſeiner Zeiten,<lb/>
es ſey beſſer ſich an die Regeln zu halten, und den wahrhafften<lb/>
Begriffen von einer Sache zu folgen.</p><lb/><p>Jn der That hat er ſeine Schaͤfer zu ſcharfſinnigen Pa-<lb/>
riſern gemacht. Sie ſind offt ſo ſinnreich als Herr Fontenelle<lb/>ſelbſt, und einige neuere Critici haben nicht unrecht, wenn ſie<lb/>
es ihm vorruͤcken, daß er ſeine Hirten eine Metaphyſic uͤber<lb/>
Liebes-Sachen gelehret habe. Vielleicht hat er auch bloß in<lb/>
der Abſicht dieſen Fehler zu entſchuldigen, geſagt; die Schaͤ-<lb/>
fer der Eclogen muͤſten gleichſam ſeidene Kleider haben, die<lb/>
nur Schaͤfer-maͤßig zugeſchnitten waͤren. Sonſt ſehe ich<lb/>
aus ſeiner vernuͤnftigen Critic uͤber andre, daß er in dieſer Art<lb/>
von Gedichten unverbeſſerlich wuͤrde geworden ſeyn, wenn er<lb/>ſich nicht eher an dieſe Arbeit gemacht haͤtte, bis er ſich die<lb/>
wahre Natur derſelben beſſer bekannt gemacht gehabt. Wir<lb/>
haben einen ausfuͤhrlichen Tractat davon im Franzoͤfiſchen,<lb/>
den der Abt Geneſt geſchrieben, und den man bey Fenelons<lb/>
Gedancken von der Redekunſt und Poeſie 1717 zu Amſter-<lb/>
dam gedruckt hat.</p><lb/><p>Unter den Engellaͤndern hat ſich ſonderlich Philips und<lb/>
Spencer in dieſer Art von Gedichten gewieſen. Richard<lb/>
Steele macht in ſeinem Gardian ſehr viel von ihnen, und haͤlt<lb/>ſie allein wuͤrdig dem Theocritus und Virgil an die Seite ge-<lb/>ſetzt zu werden. Es iſt nicht zu leugnen, daß nicht dieſer ge-<lb/>
lehrte Scribent eine gute Einſicht in die Eigenſchafften dieſer<lb/>
Gedichte erwieſen habe. Sein 28ſtes, 30ſtes und 32ſten<lb/>
Blatt des <hirendition="#aq">I</hi>ſten Theils, handeln ausfuͤhrlich davon, und ſon-<lb/>
derlich iſt das letzte merckwuͤrdig, wo er alle ſeine Gedancken<lb/>
von Schaͤfer-Gedichten, in einer Fabel von dem Schaͤfer<lb/>
Damon und ſeiner Tochter Amaryllis vorgetragen. Man<lb/>
kan den Gvardian auch Deutſch leſen, ſonſt wollte ich einen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Aus-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[388/0416]
Des II Theils III Capitel
ſtanden, welche er hier und da zu kuͤnſtlich und gleißend vor
Schaͤfer gemacht: ſonſt aber doch gewieſen, daß er auch ihren
wahren Character wohl treffen koͤnne. Herr Fontenelle,
dem ich dieſe Anmerckungen abborge, geſteht auch von ſich
ſelbſt, daß er ſeine Schaͤfer-Gedichte eher gemacht, als er ſich
um die Regeln derſelben bekuͤmmert gehabt. Er erkennet
aber bey der Unbeſtaͤndigkeit des Geſchmackes ſeiner Zeiten,
es ſey beſſer ſich an die Regeln zu halten, und den wahrhafften
Begriffen von einer Sache zu folgen.
Jn der That hat er ſeine Schaͤfer zu ſcharfſinnigen Pa-
riſern gemacht. Sie ſind offt ſo ſinnreich als Herr Fontenelle
ſelbſt, und einige neuere Critici haben nicht unrecht, wenn ſie
es ihm vorruͤcken, daß er ſeine Hirten eine Metaphyſic uͤber
Liebes-Sachen gelehret habe. Vielleicht hat er auch bloß in
der Abſicht dieſen Fehler zu entſchuldigen, geſagt; die Schaͤ-
fer der Eclogen muͤſten gleichſam ſeidene Kleider haben, die
nur Schaͤfer-maͤßig zugeſchnitten waͤren. Sonſt ſehe ich
aus ſeiner vernuͤnftigen Critic uͤber andre, daß er in dieſer Art
von Gedichten unverbeſſerlich wuͤrde geworden ſeyn, wenn er
ſich nicht eher an dieſe Arbeit gemacht haͤtte, bis er ſich die
wahre Natur derſelben beſſer bekannt gemacht gehabt. Wir
haben einen ausfuͤhrlichen Tractat davon im Franzoͤfiſchen,
den der Abt Geneſt geſchrieben, und den man bey Fenelons
Gedancken von der Redekunſt und Poeſie 1717 zu Amſter-
dam gedruckt hat.
Unter den Engellaͤndern hat ſich ſonderlich Philips und
Spencer in dieſer Art von Gedichten gewieſen. Richard
Steele macht in ſeinem Gardian ſehr viel von ihnen, und haͤlt
ſie allein wuͤrdig dem Theocritus und Virgil an die Seite ge-
ſetzt zu werden. Es iſt nicht zu leugnen, daß nicht dieſer ge-
lehrte Scribent eine gute Einſicht in die Eigenſchafften dieſer
Gedichte erwieſen habe. Sein 28ſtes, 30ſtes und 32ſten
Blatt des Iſten Theils, handeln ausfuͤhrlich davon, und ſon-
derlich iſt das letzte merckwuͤrdig, wo er alle ſeine Gedancken
von Schaͤfer-Gedichten, in einer Fabel von dem Schaͤfer
Damon und ſeiner Tochter Amaryllis vorgetragen. Man
kan den Gvardian auch Deutſch leſen, ſonſt wollte ich einen
Aus-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/416>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.