Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.Von Jdyllen, Eclogen oder Schäfer-Gedichten. und ihre güldene Freyheit allem Pracht der Städte weit vor-ziehen. Da es aber angeht auch allegorische Eclogen zu ma- chen: so kan man freylich auch unsre Könige und Fürsten in Schäfer-Gedichte bringen. Virgil hat solches in seiner ersten Ecloge gethan, wo er von Augusti Freygebigkeit gegen den Schäfer Titirus handelt. Er redet daselbst durchgehends von dem Käyser als von einem Gotte; weil er wohl sahe, daß sich der Nahme eines Fürsten vor Schäfer nicht schickte. Allein ich wollte lieber daß er diese so hoch getriebene Schmei- cheley vermieden, und den Käyser als den reichsten, klügsten und ansehnlichsten Schäfer in der gantzen Gegend beschrie- ben hätte. Dieses würde eine weit angenehmere Abbildung von demselben gemacht haben; Und wir haben um destomehr Ursache unsre Regenten unter solchen Bildern vorzustellen, da sie selbst in der Schrifft als Hirten ihres Volckes beschrie- ben werden. Wegen der Nahmen in Schäfer-Gedichten fragt sichs, fall B b 5
Von Jdyllen, Eclogen oder Schaͤfer-Gedichten. und ihre guͤldene Freyheit allem Pracht der Staͤdte weit vor-ziehen. Da es aber angeht auch allegoriſche Eclogen zu ma- chen: ſo kan man freylich auch unſre Koͤnige und Fuͤrſten in Schaͤfer-Gedichte bringen. Virgil hat ſolches in ſeiner erſten Ecloge gethan, wo er von Auguſti Freygebigkeit gegen den Schaͤfer Titirus handelt. Er redet daſelbſt durchgehends von dem Kaͤyſer als von einem Gotte; weil er wohl ſahe, daß ſich der Nahme eines Fuͤrſten vor Schaͤfer nicht ſchickte. Allein ich wollte lieber daß er dieſe ſo hoch getriebene Schmei- cheley vermieden, und den Kaͤyſer als den reichſten, kluͤgſten und anſehnlichſten Schaͤfer in der gantzen Gegend beſchrie- ben haͤtte. Dieſes wuͤrde eine weit angenehmere Abbildung von demſelben gemacht haben; Und wir haben um deſtomehr Urſache unſre Regenten unter ſolchen Bildern vorzuſtellen, da ſie ſelbſt in der Schrifft als Hirten ihres Volckes beſchrie- ben werden. Wegen der Nahmen in Schaͤfer-Gedichten fragt ſichs, fall B b 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0421" n="393"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von Jdyllen, Eclogen oder Schaͤfer-Gedichten.</hi></fw><lb/> und ihre guͤldene Freyheit allem Pracht der Staͤdte weit vor-<lb/> ziehen. Da es aber angeht auch allegoriſche Eclogen zu ma-<lb/> chen: ſo kan man freylich auch unſre Koͤnige und Fuͤrſten in<lb/> Schaͤfer-Gedichte bringen. Virgil hat ſolches in ſeiner erſten<lb/> Ecloge gethan, wo er von Auguſti Freygebigkeit gegen den<lb/> Schaͤfer Titirus handelt. Er redet daſelbſt durchgehends<lb/> von dem Kaͤyſer als von einem Gotte; weil er wohl ſahe, daß<lb/> ſich der Nahme eines Fuͤrſten vor Schaͤfer nicht ſchickte.<lb/> Allein ich wollte lieber daß er dieſe ſo hoch getriebene Schmei-<lb/> cheley vermieden, und den Kaͤyſer als den reichſten, kluͤgſten<lb/> und anſehnlichſten Schaͤfer in der gantzen Gegend beſchrie-<lb/> ben haͤtte. Dieſes wuͤrde eine weit angenehmere Abbildung<lb/> von demſelben gemacht haben; Und wir haben um deſtomehr<lb/> Urſache unſre Regenten unter ſolchen Bildern vorzuſtellen,<lb/> da ſie ſelbſt in der Schrifft als Hirten ihres Volckes beſchrie-<lb/> ben werden.</p><lb/> <p>Wegen der Nahmen in Schaͤfer-Gedichten fragt ſichs,<lb/> ob man die alten griechiſchen brauchen, oder ſeinen Hirten<lb/> heutige, die auf dem Lande gewoͤhnlich ſind, geben ſolle.<lb/> Richard Steele iſt der letztern Meynung zugethan, und er<lb/> glaubt gar, man muͤſſe die Schaͤfer-Gedichte in einer baͤuri-<lb/> ſchen Mundart machen; ſo wie Theocritus ſich im Griechi-<lb/> ſchen des Doriſchen Dialects bedienet hat. Allein ich halte<lb/> es mit denen, die in den alten Schaͤfer-Nahmen was edlers<lb/> finden als in den heutigen. Dieſe wuͤrden zu verſtehen geben,<lb/> daß man von itzigen Bauren, wie wir ſie auf unſern Doͤrfern<lb/> haben, reden wolle; welche gewiß zu poetiſchen Eclogen viel<lb/> zu grob ſind. Jene hergegen zeigen ſogleich an, daß man von<lb/> gantz andern Schaͤfern als die heutigen ſind, reden wolle. Mit<lb/> der Doriſchen Mundart war es auch gantz ein anders, als mit<lb/> unſrer heutigen Bauer-Sprache. Jene hatte ihre gewiſſe<lb/> Regeln, und herrſchte in einem groſſen Theile von Griechen-<lb/> land ſowohl in Staͤdten als auf dem Lande. Unſre Bauer-<lb/> ſprache aber iſt auf allen Doͤrfern anders. Selbſt die Nie-<lb/> derſaͤchſiſche ſchicket ſich nicht dazu, da ſie ſelbſt in Staͤdten<lb/> ſich alle zwey oder drey Meilen aͤndert, und alſo zu keiner Ge-<lb/> wißheit zu bringen iſt. Wer indeſſen nur ſeines Ortes Bey-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">B b 5</fw><fw place="bottom" type="catch">fall</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [393/0421]
Von Jdyllen, Eclogen oder Schaͤfer-Gedichten.
und ihre guͤldene Freyheit allem Pracht der Staͤdte weit vor-
ziehen. Da es aber angeht auch allegoriſche Eclogen zu ma-
chen: ſo kan man freylich auch unſre Koͤnige und Fuͤrſten in
Schaͤfer-Gedichte bringen. Virgil hat ſolches in ſeiner erſten
Ecloge gethan, wo er von Auguſti Freygebigkeit gegen den
Schaͤfer Titirus handelt. Er redet daſelbſt durchgehends
von dem Kaͤyſer als von einem Gotte; weil er wohl ſahe, daß
ſich der Nahme eines Fuͤrſten vor Schaͤfer nicht ſchickte.
Allein ich wollte lieber daß er dieſe ſo hoch getriebene Schmei-
cheley vermieden, und den Kaͤyſer als den reichſten, kluͤgſten
und anſehnlichſten Schaͤfer in der gantzen Gegend beſchrie-
ben haͤtte. Dieſes wuͤrde eine weit angenehmere Abbildung
von demſelben gemacht haben; Und wir haben um deſtomehr
Urſache unſre Regenten unter ſolchen Bildern vorzuſtellen,
da ſie ſelbſt in der Schrifft als Hirten ihres Volckes beſchrie-
ben werden.
Wegen der Nahmen in Schaͤfer-Gedichten fragt ſichs,
ob man die alten griechiſchen brauchen, oder ſeinen Hirten
heutige, die auf dem Lande gewoͤhnlich ſind, geben ſolle.
Richard Steele iſt der letztern Meynung zugethan, und er
glaubt gar, man muͤſſe die Schaͤfer-Gedichte in einer baͤuri-
ſchen Mundart machen; ſo wie Theocritus ſich im Griechi-
ſchen des Doriſchen Dialects bedienet hat. Allein ich halte
es mit denen, die in den alten Schaͤfer-Nahmen was edlers
finden als in den heutigen. Dieſe wuͤrden zu verſtehen geben,
daß man von itzigen Bauren, wie wir ſie auf unſern Doͤrfern
haben, reden wolle; welche gewiß zu poetiſchen Eclogen viel
zu grob ſind. Jene hergegen zeigen ſogleich an, daß man von
gantz andern Schaͤfern als die heutigen ſind, reden wolle. Mit
der Doriſchen Mundart war es auch gantz ein anders, als mit
unſrer heutigen Bauer-Sprache. Jene hatte ihre gewiſſe
Regeln, und herrſchte in einem groſſen Theile von Griechen-
land ſowohl in Staͤdten als auf dem Lande. Unſre Bauer-
ſprache aber iſt auf allen Doͤrfern anders. Selbſt die Nie-
derſaͤchſiſche ſchicket ſich nicht dazu, da ſie ſelbſt in Staͤdten
ſich alle zwey oder drey Meilen aͤndert, und alſo zu keiner Ge-
wißheit zu bringen iſt. Wer indeſſen nur ſeines Ortes Bey-
fall
B b 5
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |