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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von Jdyllen, Eclogen und Schäfer-Gedichten.

Geht, weidet nur vergnügt! so hub er traurig an;
Jhr übertrefft mich weit, und seyd viel besser dran.
Euch trennt kein harter Riß von eurer Mütter Ställen,
Jhr wisset nicht von Gram und trüben Unglücks-Fällen,
Wie der geplagte Mensch; seit dem die güldne Zeit
Die Welt verlassen hat, und lauter Dienstbarkeit
Den freyen Seelen droht. Hier sanck sein Cörper nieder,
Die Lämmer legten sich und käuten traurig wieder,
Und sahen, wie es schien, mit wehmuthvollem Blick
Den matten Schäfer an. Doch seht! zu allem Glück
War Damon, den er sich vor andern auserlesen,
Jndem er so geklagt, nicht weit davon gewesen.
Er hatte zugehört, wie sein betrübter Freund
Die Fügung des Geschicks beseufzet und beweint,
Und nahte sich nunmehr mit übereilten Schritten,
Der Boden rauschete bey seinen schnellen Tritten,
Weil das verwelckte Laub, der Bäume Schmuck und Haar,
Die Herbstlufft schon gefühlt und abgefallen war;
So daß Prutenio ihn freudig wahrgenommen,
Noch eh derselbe gantz zu seinem Sitz gekommen.

Du thust nicht wohl, o Freund, war Damons erstes Wort,
Daß du so traurig bist. Verbanne nur sofort
Den ungerechten Gram aus dem beklemmten Hertzen,
Verbanne was dich kränckt, und dämpfe Leid und Schmertzen.
Mir geht es fast wie dir; allein ich bin vergnügt,
Und nehm es frölich an, was mein Verhängniß fügt.
Und du, der du dich längst der Weisheit gantz ergeben,
Willst doch bekümmert seyn? willst voller Unruh leben?
Jst nicht die gantze Welt des Weisen Vaterland?
Und ist dirs nicht bewust, daß unser Hirtenstand,
Hier weit beglückter ist, als in dem armen Preußen?
Zudem Prutenio, was fehlt dir hier in Meißen?
Du lebst ja gantz vergnügt, kein Mangel, keine Noth
Bestürmet deine Ruh. Du hast dein täglich Brodt,
Du hast noch mehr als das, und darfst bey fremden Hütten,
Aus Niederträchtigkeit um keine Gabe bitten.
Du nährst dich deiner Kunst und guten Wissenschafft,
Man lobet dein Bemühn und deines Fleißes Krafft,
Und viele sind dir hold, die Witz und Tugend lieben.
Was soll/ dein Kummer denn? was willst du dich betrüben?
Sieh dieses Blat nur an, das ich nur gestern früh
Mit vieler Lust gemacht. Du liebst die Poesie,
Und solltest so wie ich, des Vaters Fest besingen,
Und ihm, wie ich gethan, ein Lied zum Opfer bringen.
Du
C c 5

Von Jdyllen, Eclogen und Schaͤfer-Gedichten.

Geht, weidet nur vergnuͤgt! ſo hub er traurig an;
Jhr uͤbertrefft mich weit, und ſeyd viel beſſer dran.
Euch trennt kein harter Riß von eurer Muͤtter Staͤllen,
Jhr wiſſet nicht von Gram und truͤben Ungluͤcks-Faͤllen,
Wie der geplagte Menſch; ſeit dem die guͤldne Zeit
Die Welt verlaſſen hat, und lauter Dienſtbarkeit
Den freyen Seelen droht. Hier ſanck ſein Coͤrper nieder,
Die Laͤmmer legten ſich und kaͤuten traurig wieder,
Und ſahen, wie es ſchien, mit wehmuthvollem Blick
Den matten Schaͤfer an. Doch ſeht! zu allem Gluͤck
War Damon, den er ſich vor andern auserleſen,
Jndem er ſo geklagt, nicht weit davon geweſen.
Er hatte zugehoͤrt, wie ſein betruͤbter Freund
Die Fuͤgung des Geſchicks beſeufzet und beweint,
Und nahte ſich nunmehr mit uͤbereilten Schritten,
Der Boden rauſchete bey ſeinen ſchnellen Tritten,
Weil das verwelckte Laub, der Baͤume Schmuck und Haar,
Die Herbſtlufft ſchon gefuͤhlt und abgefallen war;
So daß Prutenio ihn freudig wahrgenommen,
Noch eh derſelbe gantz zu ſeinem Sitz gekommen.

Du thuſt nicht wohl, o Freund, war Damons erſtes Wort,
Daß du ſo traurig biſt. Verbanne nur ſofort
Den ungerechten Gram aus dem beklemmten Hertzen,
Verbanne was dich kraͤnckt, und daͤmpfe Leid und Schmertzen.
Mir geht es faſt wie dir; allein ich bin vergnuͤgt,
Und nehm es froͤlich an, was mein Verhaͤngniß fuͤgt.
Und du, der du dich laͤngſt der Weisheit gantz ergeben,
Willſt doch bekuͤmmert ſeyn? willſt voller Unruh leben?
Jſt nicht die gantze Welt des Weiſen Vaterland?
Und iſt dirs nicht bewuſt, daß unſer Hirtenſtand,
Hier weit begluͤckter iſt, als in dem armen Preußen?
Zudem Prutenio, was fehlt dir hier in Meißen?
Du lebſt ja gantz vergnuͤgt, kein Mangel, keine Noth
Beſtuͤrmet deine Ruh. Du haſt dein taͤglich Brodt,
Du haſt noch mehr als das, und darfſt bey fremden Huͤtten,
Aus Niedertraͤchtigkeit um keine Gabe bitten.
Du naͤhrſt dich deiner Kunſt und guten Wiſſenſchafft,
Man lobet dein Bemuͤhn und deines Fleißes Krafft,
Und viele ſind dir hold, die Witz und Tugend lieben.
Was ſoll/ dein Kummer denn? was willſt du dich betruͤben?
Sieh dieſes Blat nur an, das ich nur geſtern fruͤh
Mit vieler Luſt gemacht. Du liebſt die Poeſie,
Und ſollteſt ſo wie ich, des Vaters Feſt beſingen,
Und ihm, wie ich gethan, ein Lied zum Opfer bringen.
Du
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[409/0437] Von Jdyllen, Eclogen und Schaͤfer-Gedichten. Geht, weidet nur vergnuͤgt! ſo hub er traurig an; Jhr uͤbertrefft mich weit, und ſeyd viel beſſer dran. Euch trennt kein harter Riß von eurer Muͤtter Staͤllen, Jhr wiſſet nicht von Gram und truͤben Ungluͤcks-Faͤllen, Wie der geplagte Menſch; ſeit dem die guͤldne Zeit Die Welt verlaſſen hat, und lauter Dienſtbarkeit Den freyen Seelen droht. Hier ſanck ſein Coͤrper nieder, Die Laͤmmer legten ſich und kaͤuten traurig wieder, Und ſahen, wie es ſchien, mit wehmuthvollem Blick Den matten Schaͤfer an. Doch ſeht! zu allem Gluͤck War Damon, den er ſich vor andern auserleſen, Jndem er ſo geklagt, nicht weit davon geweſen. Er hatte zugehoͤrt, wie ſein betruͤbter Freund Die Fuͤgung des Geſchicks beſeufzet und beweint, Und nahte ſich nunmehr mit uͤbereilten Schritten, Der Boden rauſchete bey ſeinen ſchnellen Tritten, Weil das verwelckte Laub, der Baͤume Schmuck und Haar, Die Herbſtlufft ſchon gefuͤhlt und abgefallen war; So daß Prutenio ihn freudig wahrgenommen, Noch eh derſelbe gantz zu ſeinem Sitz gekommen. Du thuſt nicht wohl, o Freund, war Damons erſtes Wort, Daß du ſo traurig biſt. Verbanne nur ſofort Den ungerechten Gram aus dem beklemmten Hertzen, Verbanne was dich kraͤnckt, und daͤmpfe Leid und Schmertzen. Mir geht es faſt wie dir; allein ich bin vergnuͤgt, Und nehm es froͤlich an, was mein Verhaͤngniß fuͤgt. Und du, der du dich laͤngſt der Weisheit gantz ergeben, Willſt doch bekuͤmmert ſeyn? willſt voller Unruh leben? Jſt nicht die gantze Welt des Weiſen Vaterland? Und iſt dirs nicht bewuſt, daß unſer Hirtenſtand, Hier weit begluͤckter iſt, als in dem armen Preußen? Zudem Prutenio, was fehlt dir hier in Meißen? Du lebſt ja gantz vergnuͤgt, kein Mangel, keine Noth Beſtuͤrmet deine Ruh. Du haſt dein taͤglich Brodt, Du haſt noch mehr als das, und darfſt bey fremden Huͤtten, Aus Niedertraͤchtigkeit um keine Gabe bitten. Du naͤhrſt dich deiner Kunſt und guten Wiſſenſchafft, Man lobet dein Bemuͤhn und deines Fleißes Krafft, Und viele ſind dir hold, die Witz und Tugend lieben. Was ſoll/ dein Kummer denn? was willſt du dich betruͤben? Sieh dieſes Blat nur an, das ich nur geſtern fruͤh Mit vieler Luſt gemacht. Du liebſt die Poeſie, Und ſollteſt ſo wie ich, des Vaters Feſt beſingen, Und ihm, wie ich gethan, ein Lied zum Opfer bringen. Du C c 5

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/437>, abgerufen am 24.11.2024.