Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Des II Theils IV Capitel
Zwar viele fragen hier, wenn sie den Ort bedencken,
Daher der Bräutigam, daher die Braut entspriest:
Kan Amor denn ein Paar durch so viel Meilen lencken,
Als Preussens Weichselstrom von Meißens Saale fliest?
Hegt Danzigs Größe denn nicht angenehme Nymphen?
Jst hier in Sachsenland kein Freyer vor die Braut?
Und scheinen beyde nicht ihr Vaterland zu schimpfen,
Da man sie Beyderseits was Fremdes lieben schaut?
Ja freylich, scheint es so, bey denen, die nicht wissen,
Daß GOtt die Ehen schließt: Allein es scheint auch nur.
Denn wer es recht bedenckt, wird selbst gestehen müssen,
Dieß sey des Himmels Werck und seiner Vorsicht Spur.
Freund, wer dein Danzig kennt, in dessen starcken Wällen,
Die Edlen, Fürsten gleich, die Bürger edel sind;
Wo Lust und Höflichkeit und Reichthum sich gesellen,
Und wo man Glück und Pracht im Uberflusse findt:
Wer Straß' und Häuser kennt, wo tausend Töchter wohnen,
An welchen die Natur ein Meisterstück erwieß.
Der wird dein Vaterland mit diesem Vorwurf schonen,
Den dort die Neubegier von sich vernehmen ließ.
Verlangt man Artigkeit und angenehme Sitten,
Gelehrsamkeit, Verstand und fremder Sprachen Zier;
O! wer hat Danzig hier den Vorzug abgestritten?
Auch solche Schönen sind nicht unerhört allhier.
Ach Opitz! solltest du aus deiner Grufft erwachen,
Womit noch Danzig prangt, und die ich jüngst gesehn,
Du würdest manches Lied auf solche Schönen machen,
Wie sonst von deiner Kunst wohl hundert mahl geschehn.
Und doch must du, o Freund, in fremden Gräntzen finden,
Was deine Vaterstadt dir in der Nähe gab;
Kein Blick war starck genug dein freyes Hertz zu binden,
Nur Meißen nöthigt dir die ersten Seufzer ab.
Hier wurdest du besiegt, als deine Cölestine
Den allerersten Strahl nach deiner Jugend schoß.
Hier wirckte nur ein Blick, nur eine holde Mine,
Daß dein sonst kaltes Hertz in heißer Liebe floß.
Beschreibe selbst die Lust, die du dasmahl empfunden,
Als du zu allererst die schöne Hand geküßt;
Und sage, ob dich nicht ein einzig Wort gebunden,
Womit ihr kluger Mund dich dazumahl begrüßt.
Mich dünckt, du fühlst es noch; wiewohl mit größrer Freude,
Weil Wunsch und Hoffen sich in den Genuß verkehrt.
Und warlich! deine Braut, der treuen Augen Weide,
War deiner, werther Freund, so wie du ihrer werth.
Zwar
Des II Theils IV Capitel
Zwar viele fragen hier, wenn ſie den Ort bedencken,
Daher der Braͤutigam, daher die Braut entſprieſt:
Kan Amor denn ein Paar durch ſo viel Meilen lencken,
Als Preuſſens Weichſelſtrom von Meißens Saale flieſt?
Hegt Danzigs Groͤße denn nicht angenehme Nymphen?
Jſt hier in Sachſenland kein Freyer vor die Braut?
Und ſcheinen beyde nicht ihr Vaterland zu ſchimpfen,
Da man ſie Beyderſeits was Fremdes lieben ſchaut?
Ja freylich, ſcheint es ſo, bey denen, die nicht wiſſen,
Daß GOtt die Ehen ſchließt: Allein es ſcheint auch nur.
Denn wer es recht bedenckt, wird ſelbſt geſtehen muͤſſen,
Dieß ſey des Himmels Werck und ſeiner Vorſicht Spur.
Freund, wer dein Danzig kennt, in deſſen ſtarcken Waͤllen,
Die Edlen, Fuͤrſten gleich, die Buͤrger edel ſind;
Wo Luſt und Hoͤflichkeit und Reichthum ſich geſellen,
Und wo man Gluͤck und Pracht im Uberfluſſe findt:
Wer Straß’ und Haͤuſer kennt, wo tauſend Toͤchter wohnen,
An welchen die Natur ein Meiſterſtuͤck erwieß.
Der wird dein Vaterland mit dieſem Vorwurf ſchonen,
Den dort die Neubegier von ſich vernehmen ließ.
Verlangt man Artigkeit und angenehme Sitten,
Gelehrſamkeit, Verſtand und fremder Sprachen Zier;
O! wer hat Danzig hier den Vorzug abgeſtritten?
Auch ſolche Schoͤnen ſind nicht unerhoͤrt allhier.
Ach Opitz! ſollteſt du aus deiner Grufft erwachen,
Womit noch Danzig prangt, und die ich juͤngſt geſehn,
Du wuͤrdeſt manches Lied auf ſolche Schoͤnen machen,
Wie ſonſt von deiner Kunſt wohl hundert mahl geſchehn.
Und doch muſt du, o Freund, in fremden Graͤntzen finden,
Was deine Vaterſtadt dir in der Naͤhe gab;
Kein Blick war ſtarck genug dein freyes Hertz zu binden,
Nur Meißen noͤthigt dir die erſten Seufzer ab.
Hier wurdeſt du beſiegt, als deine Coͤleſtine
Den allererſten Strahl nach deiner Jugend ſchoß.
Hier wirckte nur ein Blick, nur eine holde Mine,
Daß dein ſonſt kaltes Hertz in heißer Liebe floß.
Beſchreibe ſelbſt die Luſt, die du dasmahl empfunden,
Als du zu allererſt die ſchoͤne Hand gekuͤßt;
Und ſage, ob dich nicht ein einzig Wort gebunden,
Womit ihr kluger Mund dich dazumahl begruͤßt.
Mich duͤnckt, du fuͤhlſt es noch; wiewohl mit groͤßrer Freude,
Weil Wunſch und Hoffen ſich in den Genuß verkehrt.
Und warlich! deine Braut, der treuen Augen Weide,
War deiner, werther Freund, ſo wie du ihrer werth.
Zwar
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0458" n="430"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Des <hi rendition="#aq">II</hi> Theils <hi rendition="#aq">IV</hi> Capitel</hi> </fw><lb/>
              <l>Zwar viele fragen hier, wenn &#x017F;ie den Ort bedencken,</l><lb/>
              <l>Daher der Bra&#x0364;utigam, daher die Braut ent&#x017F;prie&#x017F;t:</l><lb/>
              <l>Kan Amor denn ein Paar durch &#x017F;o viel Meilen lencken,</l><lb/>
              <l>Als Preu&#x017F;&#x017F;ens Weich&#x017F;el&#x017F;trom von Meißens Saale flie&#x017F;t?</l><lb/>
              <l>Hegt Danzigs Gro&#x0364;ße denn nicht angenehme Nymphen?</l><lb/>
              <l>J&#x017F;t hier in Sach&#x017F;enland kein Freyer vor die Braut?</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;cheinen beyde nicht ihr Vaterland zu &#x017F;chimpfen,</l><lb/>
              <l>Da man &#x017F;ie Beyder&#x017F;eits was Fremdes lieben &#x017F;chaut?</l><lb/>
              <l>Ja freylich, &#x017F;cheint es &#x017F;o, bey denen, die nicht wi&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Daß GOtt die Ehen &#x017F;chließt: Allein es &#x017F;cheint auch nur.</l><lb/>
              <l>Denn wer es recht bedenckt, wird &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;tehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Dieß &#x017F;ey des Himmels Werck und &#x017F;einer Vor&#x017F;icht Spur.</l><lb/>
              <l>Freund, wer dein Danzig kennt, in de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;tarcken Wa&#x0364;llen,</l><lb/>
              <l>Die Edlen, Fu&#x0364;r&#x017F;ten gleich, die Bu&#x0364;rger edel &#x017F;ind;</l><lb/>
              <l>Wo Lu&#x017F;t und Ho&#x0364;flichkeit und Reichthum &#x017F;ich ge&#x017F;ellen,</l><lb/>
              <l>Und wo man Glu&#x0364;ck und Pracht im Uberflu&#x017F;&#x017F;e findt:</l><lb/>
              <l>Wer Straß&#x2019; und Ha&#x0364;u&#x017F;er kennt, wo tau&#x017F;end To&#x0364;chter wohnen,</l><lb/>
              <l>An welchen die Natur ein Mei&#x017F;ter&#x017F;tu&#x0364;ck erwieß.</l><lb/>
              <l>Der wird dein Vaterland mit die&#x017F;em Vorwurf &#x017F;chonen,</l><lb/>
              <l>Den dort die Neubegier von &#x017F;ich vernehmen ließ.</l><lb/>
              <l>Verlangt man Artigkeit und angenehme Sitten,</l><lb/>
              <l>Gelehr&#x017F;amkeit, Ver&#x017F;tand und fremder Sprachen Zier;</l><lb/>
              <l>O! wer hat Danzig hier den Vorzug abge&#x017F;tritten?</l><lb/>
              <l>Auch &#x017F;olche Scho&#x0364;nen &#x017F;ind nicht unerho&#x0364;rt allhier.</l><lb/>
              <l>Ach Opitz! &#x017F;ollte&#x017F;t du aus deiner Grufft erwachen,</l><lb/>
              <l>Womit noch Danzig prangt, und die ich ju&#x0364;ng&#x017F;t ge&#x017F;ehn,</l><lb/>
              <l>Du wu&#x0364;rde&#x017F;t manches Lied auf &#x017F;olche Scho&#x0364;nen machen,</l><lb/>
              <l>Wie &#x017F;on&#x017F;t von deiner Kun&#x017F;t wohl hundert mahl ge&#x017F;chehn.</l><lb/>
              <l>Und doch mu&#x017F;t du, o Freund, in fremden Gra&#x0364;ntzen finden,</l><lb/>
              <l>Was deine Vater&#x017F;tadt dir in der Na&#x0364;he gab;</l><lb/>
              <l>Kein Blick war &#x017F;tarck genug dein freyes Hertz zu binden,</l><lb/>
              <l>Nur Meißen no&#x0364;thigt dir die er&#x017F;ten Seufzer ab.</l><lb/>
              <l>Hier wurde&#x017F;t du be&#x017F;iegt, als deine Co&#x0364;le&#x017F;tine</l><lb/>
              <l>Den allerer&#x017F;ten Strahl nach deiner Jugend &#x017F;choß.</l><lb/>
              <l>Hier wirckte nur ein Blick, nur eine holde Mine,</l><lb/>
              <l>Daß dein &#x017F;on&#x017F;t kaltes Hertz in heißer Liebe floß.</l><lb/>
              <l>Be&#x017F;chreibe &#x017F;elb&#x017F;t die Lu&#x017F;t, die du dasmahl empfunden,</l><lb/>
              <l>Als du zu allerer&#x017F;t die &#x017F;cho&#x0364;ne Hand geku&#x0364;ßt;</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;age, ob dich nicht ein einzig Wort gebunden,</l><lb/>
              <l>Womit ihr kluger Mund dich dazumahl begru&#x0364;ßt.</l><lb/>
              <l>Mich du&#x0364;nckt, du fu&#x0364;hl&#x017F;t es noch; wiewohl mit gro&#x0364;ßrer Freude,</l><lb/>
              <l>Weil Wun&#x017F;ch und Hoffen &#x017F;ich in den Genuß verkehrt.</l><lb/>
              <l>Und warlich! deine Braut, der treuen Augen Weide,</l><lb/>
              <l>War deiner, werther Freund, &#x017F;o wie du ihrer werth.</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Zwar</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[430/0458] Des II Theils IV Capitel Zwar viele fragen hier, wenn ſie den Ort bedencken, Daher der Braͤutigam, daher die Braut entſprieſt: Kan Amor denn ein Paar durch ſo viel Meilen lencken, Als Preuſſens Weichſelſtrom von Meißens Saale flieſt? Hegt Danzigs Groͤße denn nicht angenehme Nymphen? Jſt hier in Sachſenland kein Freyer vor die Braut? Und ſcheinen beyde nicht ihr Vaterland zu ſchimpfen, Da man ſie Beyderſeits was Fremdes lieben ſchaut? Ja freylich, ſcheint es ſo, bey denen, die nicht wiſſen, Daß GOtt die Ehen ſchließt: Allein es ſcheint auch nur. Denn wer es recht bedenckt, wird ſelbſt geſtehen muͤſſen, Dieß ſey des Himmels Werck und ſeiner Vorſicht Spur. Freund, wer dein Danzig kennt, in deſſen ſtarcken Waͤllen, Die Edlen, Fuͤrſten gleich, die Buͤrger edel ſind; Wo Luſt und Hoͤflichkeit und Reichthum ſich geſellen, Und wo man Gluͤck und Pracht im Uberfluſſe findt: Wer Straß’ und Haͤuſer kennt, wo tauſend Toͤchter wohnen, An welchen die Natur ein Meiſterſtuͤck erwieß. Der wird dein Vaterland mit dieſem Vorwurf ſchonen, Den dort die Neubegier von ſich vernehmen ließ. Verlangt man Artigkeit und angenehme Sitten, Gelehrſamkeit, Verſtand und fremder Sprachen Zier; O! wer hat Danzig hier den Vorzug abgeſtritten? Auch ſolche Schoͤnen ſind nicht unerhoͤrt allhier. Ach Opitz! ſollteſt du aus deiner Grufft erwachen, Womit noch Danzig prangt, und die ich juͤngſt geſehn, Du wuͤrdeſt manches Lied auf ſolche Schoͤnen machen, Wie ſonſt von deiner Kunſt wohl hundert mahl geſchehn. Und doch muſt du, o Freund, in fremden Graͤntzen finden, Was deine Vaterſtadt dir in der Naͤhe gab; Kein Blick war ſtarck genug dein freyes Hertz zu binden, Nur Meißen noͤthigt dir die erſten Seufzer ab. Hier wurdeſt du beſiegt, als deine Coͤleſtine Den allererſten Strahl nach deiner Jugend ſchoß. Hier wirckte nur ein Blick, nur eine holde Mine, Daß dein ſonſt kaltes Hertz in heißer Liebe floß. Beſchreibe ſelbſt die Luſt, die du dasmahl empfunden, Als du zu allererſt die ſchoͤne Hand gekuͤßt; Und ſage, ob dich nicht ein einzig Wort gebunden, Womit ihr kluger Mund dich dazumahl begruͤßt. Mich duͤnckt, du fuͤhlſt es noch; wiewohl mit groͤßrer Freude, Weil Wunſch und Hoffen ſich in den Genuß verkehrt. Und warlich! deine Braut, der treuen Augen Weide, War deiner, werther Freund, ſo wie du ihrer werth. Zwar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/458
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/458>, abgerufen am 22.11.2024.