Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.
So hat kein Seufzen denn des Helden Brust bewegt, Kein Thränen-volles Volck den Vater-Sinn geregt: Jndem ein starcker Zug von Königlichen Trieben Sein grosses Hertz besiegt und unverrückt geblieben. Kein Wunder! Pohlens Staat, das Volck von edlem Blut, Fleht seinen Schutz-Gott an und dessen Helden-Muth, Und hofft, wenn er nur eilt dem Reiche vorzustehen, Der drohenden Gefahr beyzeiten zu entgehen. Wie, wenn bey rauhem Sturm der Wolcken trüber Dufft Den Tag in Nacht verkehrt, und die geschwärtzte Lufft Mit dickem Nebel füllt, die matten Schiffer zagen; Weil sie rings um sich sehn, die wilden Fluthen schlagen, Weil sich der Abgrund selbst von unten aufgedeckt, Von oben Blitz und Knall die blöden Sinne schreckt; Und wie sie gantz bestürtzt, mit aufgehabnen Händen, Zu GOtt um Hülfe schreyn, den Schiffbruch abzuwenden: So hat Sarmatien, das manche Noth gedrückt, Zu seinem Friederich die Seufzer abgeschickt, Das feste Knie gebeugt, mit Hand und Mund gebeten, Das hartbedrängte Reich als König zu vertreten. Was sollte nun der Held bey solchem Flehen thun? Sollt er sein Volck verschmähn? Sollt er gemächlich ruhn? Sollt er den rauhen Weg bey Wind und Wetter scheuen? Wer solchen Argwohn hegt, mag seinen Wahn bereuen: Er kennt den König nicht. O nein! der Held verlacht Den Schmertz der ihn gedrückt, die Glieder matt gemacht. Jhr Pohlen freuet euch! Er macht sich auf die Reise. Die Weichsel hebt ihr Haupt aus dem zerbrochnen Eise, Weil keine Last bey ihr die Freude hemmen mag. Sie lacht, und legt die Lust mit Jauchzen an den Tag: Komm, Landes-Vater! komm! Wen rührt dein Angesichte, Wen rührt dein Auge nicht mit seinem Götter-Lichte? Auf, Warschau! öffne dich! du Königlicher Sitz, Empfange deinen Held mit der Carthaunen Blitz, Entdecke deine Lust in frohen Lob-Gesängen, Laß deine Jugend sich mit Macht entgegen drängen, Des Königreiches Schmuck, die Hoffnung später Zeit. Dann magst du, edles Volck, mit reger Freudigkeit, Zu Hause manchen Krantz aus Lorber-Zweigen binden, Und sie des Fürsten Bild um Haupt und Schläfe winden. Und
So hat kein Seufzen denn des Helden Bruſt bewegt, Kein Thraͤnen-volles Volck den Vater-Sinn geregt: Jndem ein ſtarcker Zug von Koͤniglichen Trieben Sein groſſes Hertz beſiegt und unverruͤckt geblieben. Kein Wunder! Pohlens Staat, das Volck von edlem Blut, Fleht ſeinen Schutz-Gott an und deſſen Helden-Muth, Und hofft, wenn er nur eilt dem Reiche vorzuſtehen, Der drohenden Gefahr beyzeiten zu entgehen. Wie, wenn bey rauhem Sturm der Wolcken truͤber Dufft Den Tag in Nacht verkehrt, und die geſchwaͤrtzte Lufft Mit dickem Nebel fuͤllt, die matten Schiffer zagen; Weil ſie rings um ſich ſehn, die wilden Fluthen ſchlagen, Weil ſich der Abgrund ſelbſt von unten aufgedeckt, Von oben Blitz und Knall die bloͤden Sinne ſchreckt; Und wie ſie gantz beſtuͤrtzt, mit aufgehabnen Haͤnden, Zu GOtt um Huͤlfe ſchreyn, den Schiffbruch abzuwenden: So hat Sarmatien, das manche Noth gedruͤckt, Zu ſeinem Friederich die Seufzer abgeſchickt, Das feſte Knie gebeugt, mit Hand und Mund gebeten, Das hartbedraͤngte Reich als Koͤnig zu vertreten. Was ſollte nun der Held bey ſolchem Flehen thun? Sollt er ſein Volck verſchmaͤhn? Sollt er gemaͤchlich ruhn? Sollt er den rauhen Weg bey Wind und Wetter ſcheuen? Wer ſolchen Argwohn hegt, mag ſeinen Wahn bereuen: Er kennt den Koͤnig nicht. O nein! der Held verlacht Den Schmertz der ihn gedruͤckt, die Glieder matt gemacht. Jhr Pohlen freuet euch! Er macht ſich auf die Reiſe. Die Weichſel hebt ihr Haupt aus dem zerbrochnen Eiſe, Weil keine Laſt bey ihr die Freude hemmen mag. Sie lacht, und legt die Luſt mit Jauchzen an den Tag: Komm, Landes-Vater! komm! Wen ruͤhrt dein Angeſichte, Wen ruͤhrt dein Auge nicht mit ſeinem Goͤtter-Lichte? Auf, Warſchau! oͤffne dich! du Koͤniglicher Sitz, Empfange deinen Held mit der Carthaunen Blitz, Entdecke deine Luſt in frohen Lob-Geſaͤngen, Laß deine Jugend ſich mit Macht entgegen draͤngen, Des Koͤnigreiches Schmuck, die Hoffnung ſpaͤter Zeit. Dann magſt du, edles Volck, mit reger Freudigkeit, Zu Hauſe manchen Krantz aus Lorber-Zweigen binden, Und ſie des Fuͤrſten Bild um Haupt und Schlaͤfe winden. Und
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <lg n="10"> <l> <pb facs="#f0473" n="445"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von poetiſchen Sendſchreiben.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Wo alles klagt und bebt. Er zeucht aus Sachſen fort,</l><lb/> <l>Jndem der Winter tobt, und ſelbſt der kalte Nord</l><lb/> <l>Die edlen Roſſe ſpornt, bis ſie mit ſchnellen Fuͤſſen,</l><lb/> <l>Geſchwinden Tauben gleich, den Koͤnig hingeriſſen.</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>So hat kein Seufzen denn des Helden Bruſt bewegt,</l><lb/> <l>Kein Thraͤnen-volles Volck den Vater-Sinn geregt:</l><lb/> <l>Jndem ein ſtarcker Zug von Koͤniglichen Trieben</l><lb/> <l>Sein groſſes Hertz beſiegt und unverruͤckt geblieben.</l><lb/> <l>Kein Wunder! Pohlens Staat, das Volck von edlem Blut,</l><lb/> <l>Fleht ſeinen Schutz-Gott an und deſſen Helden-Muth,</l><lb/> <l>Und hofft, wenn er nur eilt dem Reiche vorzuſtehen,</l><lb/> <l>Der drohenden Gefahr beyzeiten zu entgehen.</l><lb/> <l>Wie, wenn bey rauhem Sturm der Wolcken truͤber Dufft</l><lb/> <l>Den Tag in Nacht verkehrt, und die geſchwaͤrtzte Lufft</l><lb/> <l>Mit dickem Nebel fuͤllt, die matten Schiffer zagen;</l><lb/> <l>Weil ſie rings um ſich ſehn, die wilden Fluthen ſchlagen,</l><lb/> <l>Weil ſich der Abgrund ſelbſt von unten aufgedeckt,</l><lb/> <l>Von oben Blitz und Knall die bloͤden Sinne ſchreckt;</l><lb/> <l>Und wie ſie gantz beſtuͤrtzt, mit aufgehabnen Haͤnden,</l><lb/> <l>Zu GOtt um Huͤlfe ſchreyn, den Schiffbruch abzuwenden:</l><lb/> <l>So hat Sarmatien, das manche Noth gedruͤckt,</l><lb/> <l>Zu ſeinem Friederich die Seufzer abgeſchickt,</l><lb/> <l>Das feſte Knie gebeugt, mit Hand und Mund gebeten,</l><lb/> <l>Das hartbedraͤngte Reich als Koͤnig zu vertreten.</l> </lg><lb/> <lg n="12"> <l>Was ſollte nun der Held bey ſolchem Flehen thun?</l><lb/> <l>Sollt er ſein Volck verſchmaͤhn? Sollt er gemaͤchlich ruhn?</l><lb/> <l>Sollt er den rauhen Weg bey Wind und Wetter ſcheuen?</l><lb/> <l>Wer ſolchen Argwohn hegt, mag ſeinen Wahn bereuen:</l><lb/> <l>Er kennt den Koͤnig nicht. O nein! der Held verlacht</l><lb/> <l>Den Schmertz der ihn gedruͤckt, die Glieder matt gemacht.</l><lb/> <l>Jhr Pohlen freuet euch! Er macht ſich auf die Reiſe.</l><lb/> <l>Die Weichſel hebt ihr Haupt aus dem zerbrochnen Eiſe,</l><lb/> <l>Weil keine Laſt bey ihr die Freude hemmen mag.</l><lb/> <l>Sie lacht, und legt die Luſt mit Jauchzen an den Tag:</l><lb/> <l>Komm, Landes-Vater! komm! Wen ruͤhrt dein Angeſichte,</l><lb/> <l>Wen ruͤhrt dein Auge nicht mit ſeinem Goͤtter-Lichte?</l><lb/> <l>Auf, Warſchau! oͤffne dich! du Koͤniglicher Sitz,</l><lb/> <l>Empfange deinen Held mit der Carthaunen Blitz,</l><lb/> <l>Entdecke deine Luſt in frohen Lob-Geſaͤngen,</l><lb/> <l>Laß deine Jugend ſich mit Macht entgegen draͤngen,</l><lb/> <l>Des Koͤnigreiches Schmuck, die Hoffnung ſpaͤter Zeit.</l><lb/> <l>Dann magſt du, edles Volck, mit reger Freudigkeit,</l><lb/> <l>Zu Hauſe manchen Krantz aus Lorber-Zweigen binden,</l><lb/> <l>Und ſie des Fuͤrſten Bild um Haupt und Schlaͤfe winden.<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [445/0473]
Von poetiſchen Sendſchreiben.
Wo alles klagt und bebt. Er zeucht aus Sachſen fort,
Jndem der Winter tobt, und ſelbſt der kalte Nord
Die edlen Roſſe ſpornt, bis ſie mit ſchnellen Fuͤſſen,
Geſchwinden Tauben gleich, den Koͤnig hingeriſſen.
So hat kein Seufzen denn des Helden Bruſt bewegt,
Kein Thraͤnen-volles Volck den Vater-Sinn geregt:
Jndem ein ſtarcker Zug von Koͤniglichen Trieben
Sein groſſes Hertz beſiegt und unverruͤckt geblieben.
Kein Wunder! Pohlens Staat, das Volck von edlem Blut,
Fleht ſeinen Schutz-Gott an und deſſen Helden-Muth,
Und hofft, wenn er nur eilt dem Reiche vorzuſtehen,
Der drohenden Gefahr beyzeiten zu entgehen.
Wie, wenn bey rauhem Sturm der Wolcken truͤber Dufft
Den Tag in Nacht verkehrt, und die geſchwaͤrtzte Lufft
Mit dickem Nebel fuͤllt, die matten Schiffer zagen;
Weil ſie rings um ſich ſehn, die wilden Fluthen ſchlagen,
Weil ſich der Abgrund ſelbſt von unten aufgedeckt,
Von oben Blitz und Knall die bloͤden Sinne ſchreckt;
Und wie ſie gantz beſtuͤrtzt, mit aufgehabnen Haͤnden,
Zu GOtt um Huͤlfe ſchreyn, den Schiffbruch abzuwenden:
So hat Sarmatien, das manche Noth gedruͤckt,
Zu ſeinem Friederich die Seufzer abgeſchickt,
Das feſte Knie gebeugt, mit Hand und Mund gebeten,
Das hartbedraͤngte Reich als Koͤnig zu vertreten.
Was ſollte nun der Held bey ſolchem Flehen thun?
Sollt er ſein Volck verſchmaͤhn? Sollt er gemaͤchlich ruhn?
Sollt er den rauhen Weg bey Wind und Wetter ſcheuen?
Wer ſolchen Argwohn hegt, mag ſeinen Wahn bereuen:
Er kennt den Koͤnig nicht. O nein! der Held verlacht
Den Schmertz der ihn gedruͤckt, die Glieder matt gemacht.
Jhr Pohlen freuet euch! Er macht ſich auf die Reiſe.
Die Weichſel hebt ihr Haupt aus dem zerbrochnen Eiſe,
Weil keine Laſt bey ihr die Freude hemmen mag.
Sie lacht, und legt die Luſt mit Jauchzen an den Tag:
Komm, Landes-Vater! komm! Wen ruͤhrt dein Angeſichte,
Wen ruͤhrt dein Auge nicht mit ſeinem Goͤtter-Lichte?
Auf, Warſchau! oͤffne dich! du Koͤniglicher Sitz,
Empfange deinen Held mit der Carthaunen Blitz,
Entdecke deine Luſt in frohen Lob-Geſaͤngen,
Laß deine Jugend ſich mit Macht entgegen draͤngen,
Des Koͤnigreiches Schmuck, die Hoffnung ſpaͤter Zeit.
Dann magſt du, edles Volck, mit reger Freudigkeit,
Zu Hauſe manchen Krantz aus Lorber-Zweigen binden,
Und ſie des Fuͤrſten Bild um Haupt und Schlaͤfe winden.
Und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/473 |
Zitationshilfe: | Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/473>, abgerufen am 28.06.2024. |