Noch eins so wohl begreift, als wenn sich dumme Köpfe, Die weder GOtt noch Welt, noch irgend ein Geschöpfft Mit Augen der Vernunft erkannt und angesehn, Doch in Geheimnissen zu forschen unterstehn. Kein Wunder ist es denn, daß euch Minerva krönet, Jhr habt das Vorurtheil der blinden Welt verhönet, Die unsers Glaubens-Bau mit lockerm Sande stützt, Und die Vernunft verwirft, die doch am meisten nützt. Glück zu! Geehrte Zwey! Betretet einst die Stuffen Dahin Verdienst und Glück Euch um die Wette ruffen. Das kluge Königsberg erwartet euer schon, Wie sehnlich hofft allda so mancher Musen-Sohn Auf eure Wiederkunft, die wohlgefaßten Lehren, Wie schon bisher geschehn, noch ferner anzuhören. Zu Mustern stellet euch ein theures Kleeblatt für, Die Lust Eusebiens, Minervens Schmuck und Zier, Wer find sie? Fragt ihr noch? Gantz Preussen wird sie kennen, Und Quandten, Lilienthal und meinen Kreuschner nennen.
Das sechste Capitel. Von Satiren oder Strafgedichten.
WJe die Poesie überhaupt von der Musie und den ersten Liedern ihren Ursprung hat, so ist es auch mit der Satirischen beschaffen. Man hat lange vor Homero spöttische und schimpfliche Gesänge gemacht, und abgesungen; folglich ist diese Art von Gedichten eben so neu nicht. Aristoteles, der uns dieses im IVten Cap. sei- ner Dichtkunst erzehlet, setzet hinzu, daß diese Lieder sehr unflätig und garstig gewesen, und daß Homerus sie zuerst von dieser Unart gesaubert, da er in jambischen Verßen auf den Margites eine Satire gemacht. Dieser Margi- tes, wie schon bey anderer Gelegenheit gedacht worden, mochte ein Müßiggänger gewesen seyn, der weder einen Schäfer, noch einen Ackermann, noch einen Wintzer ab- geb[e]n wollte, und also nach der damahligen Art ein unnü- tzes Glied der menschlichen Gesellschafft war. Auf diesen
machte
F f 5
Von poetiſchen Sendſchreiben.
Noch eins ſo wohl begreift, als wenn ſich dumme Koͤpfe, Die weder GOtt noch Welt, noch irgend ein Geſchoͤpfft Mit Augen der Vernunft erkannt und angeſehn, Doch in Geheimniſſen zu forſchen unterſtehn. Kein Wunder iſt es denn, daß euch Minerva kroͤnet, Jhr habt das Vorurtheil der blinden Welt verhoͤnet, Die unſers Glaubens-Bau mit lockerm Sande ſtuͤtzt, Und die Vernunft verwirft, die doch am meiſten nuͤtzt. Gluͤck zu! Geehrte Zwey! Betretet einſt die Stuffen Dahin Verdienſt und Gluͤck Euch um die Wette ruffen. Das kluge Koͤnigsberg erwartet euer ſchon, Wie ſehnlich hofft allda ſo mancher Muſen-Sohn Auf eure Wiederkunft, die wohlgefaßten Lehren, Wie ſchon bisher geſchehn, noch ferner anzuhoͤren. Zu Muſtern ſtellet euch ein theures Kleeblatt fuͤr, Die Luſt Euſebiens, Minervens Schmuck und Zier, Wer find ſie? Fragt ihr noch? Gantz Preuſſen wird ſie kennen, Und Quandten, Lilienthal und meinen Kreuſchner nennen.
Das ſechſte Capitel. Von Satiren oder Strafgedichten.
WJe die Poeſie uͤberhaupt von der Muſie und den erſten Liedern ihren Urſprung hat, ſo iſt es auch mit der Satiriſchen beſchaffen. Man hat lange vor Homero ſpoͤttiſche und ſchimpfliche Geſaͤnge gemacht, und abgeſungen; folglich iſt dieſe Art von Gedichten eben ſo neu nicht. Ariſtoteles, der uns dieſes im IVten Cap. ſei- ner Dichtkunſt erzehlet, ſetzet hinzu, daß dieſe Lieder ſehr unflaͤtig und garſtig geweſen, und daß Homerus ſie zuerſt von dieſer Unart geſaubert, da er in jambiſchen Verßen auf den Margites eine Satire gemacht. Dieſer Margi- tes, wie ſchon bey anderer Gelegenheit gedacht worden, mochte ein Muͤßiggaͤnger geweſen ſeyn, der weder einen Schaͤfer, noch einen Ackermann, noch einen Wintzer ab- geb[e]n wollte, und alſo nach der damahligen Art ein unnuͤ- tzes Glied der menſchlichen Geſellſchafft war. Auf dieſen
machte
F f 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><lgtype="poem"><lgn="41"><l><pbfacs="#f0485"n="457"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Von poetiſchen Sendſchreiben.</hi></fw></l><lb/><l>Noch eins ſo wohl begreift, als wenn ſich dumme Koͤpfe,</l><lb/><l>Die weder GOtt noch Welt, noch irgend ein Geſchoͤpfft</l><lb/><l>Mit Augen der Vernunft erkannt und angeſehn,</l><lb/><l>Doch in Geheimniſſen zu forſchen unterſtehn.</l><lb/><l>Kein Wunder iſt es denn, daß euch Minerva kroͤnet,</l><lb/><l>Jhr habt das Vorurtheil der blinden Welt verhoͤnet,</l><lb/><l>Die unſers Glaubens-Bau mit lockerm Sande ſtuͤtzt,</l><lb/><l>Und die Vernunft verwirft, die doch am meiſten nuͤtzt.</l><lb/><l>Gluͤck zu! Geehrte Zwey! Betretet einſt die Stuffen</l><lb/><l>Dahin Verdienſt und Gluͤck Euch um die Wette ruffen.</l><lb/><l>Das kluge Koͤnigsberg erwartet euer ſchon,</l><lb/><l>Wie ſehnlich hofft allda ſo mancher Muſen-Sohn</l><lb/><l>Auf eure Wiederkunft, die wohlgefaßten Lehren,</l><lb/><l>Wie ſchon bisher geſchehn, noch ferner anzuhoͤren.</l><lb/><l>Zu Muſtern ſtellet euch ein theures Kleeblatt fuͤr,</l><lb/><l>Die Luſt Euſebiens, Minervens Schmuck und Zier,</l><lb/><l>Wer find ſie? Fragt ihr noch? Gantz Preuſſen wird ſie kennen,</l><lb/><l>Und Quandten, Lilienthal und meinen Kreuſchner nennen.</l></lg></lg></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b">Das ſechſte Capitel.<lb/>
Von Satiren oder Strafgedichten.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">W</hi>Je die Poeſie uͤberhaupt von der Muſie und den<lb/>
erſten Liedern ihren Urſprung hat, ſo iſt es auch<lb/>
mit der Satiriſchen beſchaffen. Man hat lange<lb/>
vor Homero ſpoͤttiſche und ſchimpfliche Geſaͤnge gemacht,<lb/>
und abgeſungen; folglich iſt dieſe Art von Gedichten eben<lb/>ſo neu nicht. Ariſtoteles, der uns dieſes im <hirendition="#aq">IV</hi>ten Cap. ſei-<lb/>
ner Dichtkunſt erzehlet, ſetzet hinzu, daß dieſe Lieder ſehr<lb/>
unflaͤtig und garſtig geweſen, und daß Homerus ſie zuerſt<lb/>
von dieſer Unart geſaubert, da er in jambiſchen Verßen<lb/>
auf den Margites eine Satire gemacht. Dieſer Margi-<lb/>
tes, wie ſchon bey anderer Gelegenheit gedacht worden,<lb/>
mochte ein Muͤßiggaͤnger geweſen ſeyn, der weder einen<lb/>
Schaͤfer, noch einen Ackermann, noch einen Wintzer ab-<lb/>
geb<supplied>e</supplied>n wollte, und alſo nach der damahligen Art ein unnuͤ-<lb/>
tzes Glied der menſchlichen Geſellſchafft war. Auf dieſen<lb/><fwplace="bottom"type="sig">F f 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">machte</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[457/0485]
Von poetiſchen Sendſchreiben.
Noch eins ſo wohl begreift, als wenn ſich dumme Koͤpfe,
Die weder GOtt noch Welt, noch irgend ein Geſchoͤpfft
Mit Augen der Vernunft erkannt und angeſehn,
Doch in Geheimniſſen zu forſchen unterſtehn.
Kein Wunder iſt es denn, daß euch Minerva kroͤnet,
Jhr habt das Vorurtheil der blinden Welt verhoͤnet,
Die unſers Glaubens-Bau mit lockerm Sande ſtuͤtzt,
Und die Vernunft verwirft, die doch am meiſten nuͤtzt.
Gluͤck zu! Geehrte Zwey! Betretet einſt die Stuffen
Dahin Verdienſt und Gluͤck Euch um die Wette ruffen.
Das kluge Koͤnigsberg erwartet euer ſchon,
Wie ſehnlich hofft allda ſo mancher Muſen-Sohn
Auf eure Wiederkunft, die wohlgefaßten Lehren,
Wie ſchon bisher geſchehn, noch ferner anzuhoͤren.
Zu Muſtern ſtellet euch ein theures Kleeblatt fuͤr,
Die Luſt Euſebiens, Minervens Schmuck und Zier,
Wer find ſie? Fragt ihr noch? Gantz Preuſſen wird ſie kennen,
Und Quandten, Lilienthal und meinen Kreuſchner nennen.
Das ſechſte Capitel.
Von Satiren oder Strafgedichten.
WJe die Poeſie uͤberhaupt von der Muſie und den
erſten Liedern ihren Urſprung hat, ſo iſt es auch
mit der Satiriſchen beſchaffen. Man hat lange
vor Homero ſpoͤttiſche und ſchimpfliche Geſaͤnge gemacht,
und abgeſungen; folglich iſt dieſe Art von Gedichten eben
ſo neu nicht. Ariſtoteles, der uns dieſes im IVten Cap. ſei-
ner Dichtkunſt erzehlet, ſetzet hinzu, daß dieſe Lieder ſehr
unflaͤtig und garſtig geweſen, und daß Homerus ſie zuerſt
von dieſer Unart geſaubert, da er in jambiſchen Verßen
auf den Margites eine Satire gemacht. Dieſer Margi-
tes, wie ſchon bey anderer Gelegenheit gedacht worden,
mochte ein Muͤßiggaͤnger geweſen ſeyn, der weder einen
Schaͤfer, noch einen Ackermann, noch einen Wintzer ab-
geben wollte, und alſo nach der damahligen Art ein unnuͤ-
tzes Glied der menſchlichen Geſellſchafft war. Auf dieſen
machte
F f 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/485>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.