Fescenninischen Lieder und Stachel-Gesänge Mode worden. Das Land-Volck belustigte sich an seinen Fest-Tagen noch zu Augusti Zeiten daran; und diese mögen wohl dem Lu- cilius die erste Veranlassung zur Erfindung der Lateinischen Satire gegeben haben. Diese ist von der Griechischen in der Art von Verßen gantz unterschieden. Denn da jene sich der Jambischen bedienet hatten, so schrieb sie Lucilius in Alexandrinischen Verßen; und zwar mit solchem Erfolg, daß alle seine Nachfolger, Horatz, Juvenal und Persius auch da- bey geblieben. Diese drey haben auch in Satirischen Ge- dichten die höchste Vollkommenheit erreicht, und sie müssen wir uns zu Mustern nehmen, wenn wir darinn was rech- tes thun wollen.
Unter den heutigen Völckern hat sich keine Nation mehr darinn hervorgethan, als die Frantzösische. Regnier und Boileau sind ihre beyde gröste Satiren-Schreiber, denen unter den neuern Rousseau mit gutem Glücke gefolget ist. Unter den Jtalienern hat sich Aretin, so wie in Engelland der Graf Rochester, durch seine Satiren einen Nahmen gemacht; unzehlicher andern, die nicht so berühmt sind, zu geschweigen. Bey uns Deutschen hat zwar Opitz in sei- nen Gedichten hier und da viel Satirische Stellen mit ein- fliessen lassen: aber ich finde kein einziges Stücke von ihm, so er eine Satire geheißen hätte. Rachelius war der er- ste, der sich durch zehn Satiren ans Licht wagte, und sich gleichsam dadurch als unsern Lucilius erwieß. Er ver- dient diesen Nahmen nicht nur wegen seiner sehr hefftigen und beissenden Schreibart, sondern auch wegen der unrei- nen und harten Verße, die Horatius jenem Römischen vor- gerücket. Er verdient indessen gelesen zu werden, weil er überall eine gesunde Vernunft, eine gute Moral, und einen feinen Geschmack zeiget; wie aus so vielen Stellen, die ich schon aus ihm angeführet, zur Gnüge erhellen kan. Weit reiner und artiger sind Canitzens Satiren gerathen: und das war kein Wunder, da er bey Hofe lebte, und sonst in bessern Umständen war, als jener. Hunold, der sonst Me- nantes heißt, hat sich auch durch satirische Gedichte weisen
wol-
Von Satiren.
Feſcenniniſchen Lieder und Stachel-Geſaͤnge Mode worden. Das Land-Volck beluſtigte ſich an ſeinen Feſt-Tagen noch zu Auguſti Zeiten daran; und dieſe moͤgen wohl dem Lu- cilius die erſte Veranlaſſung zur Erfindung der Lateiniſchen Satire gegeben haben. Dieſe iſt von der Griechiſchen in der Art von Verßen gantz unterſchieden. Denn da jene ſich der Jambiſchen bedienet hatten, ſo ſchrieb ſie Lucilius in Alexandriniſchen Verßen; und zwar mit ſolchem Erfolg, daß alle ſeine Nachfolger, Horatz, Juvenal und Perſius auch da- bey geblieben. Dieſe drey haben auch in Satiriſchen Ge- dichten die hoͤchſte Vollkommenheit erreicht, und ſie muͤſſen wir uns zu Muſtern nehmen, wenn wir darinn was rech- tes thun wollen.
Unter den heutigen Voͤlckern hat ſich keine Nation mehr darinn hervorgethan, als die Frantzoͤſiſche. Regnier und Boileau ſind ihre beyde groͤſte Satiren-Schreiber, denen unter den neuern Rouſſeau mit gutem Gluͤcke gefolget iſt. Unter den Jtalienern hat ſich Aretin, ſo wie in Engelland der Graf Rocheſter, durch ſeine Satiren einen Nahmen gemacht; unzehlicher andern, die nicht ſo beruͤhmt ſind, zu geſchweigen. Bey uns Deutſchen hat zwar Opitz in ſei- nen Gedichten hier und da viel Satiriſche Stellen mit ein- flieſſen laſſen: aber ich finde kein einziges Stuͤcke von ihm, ſo er eine Satire geheißen haͤtte. Rachelius war der er- ſte, der ſich durch zehn Satiren ans Licht wagte, und ſich gleichſam dadurch als unſern Lucilius erwieß. Er ver- dient dieſen Nahmen nicht nur wegen ſeiner ſehr hefftigen und beiſſenden Schreibart, ſondern auch wegen der unrei- nen und harten Verße, die Horatius jenem Roͤmiſchen vor- geruͤcket. Er verdient indeſſen geleſen zu werden, weil er uͤberall eine geſunde Vernunft, eine gute Moral, und einen feinen Geſchmack zeiget; wie aus ſo vielen Stellen, die ich ſchon aus ihm angefuͤhret, zur Gnuͤge erhellen kan. Weit reiner und artiger ſind Canitzens Satiren gerathen: und das war kein Wunder, da er bey Hofe lebte, und ſonſt in beſſern Umſtaͤnden war, als jener. Hunold, der ſonſt Me- nantes heißt, hat ſich auch durch ſatiriſche Gedichte weiſen
wol-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0487"n="459"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Von Satiren.</hi></fw><lb/>
Feſcenniniſchen Lieder und Stachel-Geſaͤnge Mode worden.<lb/>
Das Land-Volck beluſtigte ſich an ſeinen Feſt-Tagen noch<lb/>
zu Auguſti Zeiten daran; und dieſe moͤgen wohl dem Lu-<lb/>
cilius die erſte Veranlaſſung zur Erfindung der Lateiniſchen<lb/>
Satire gegeben haben. Dieſe iſt von der Griechiſchen in<lb/>
der Art von Verßen gantz unterſchieden. Denn da jene<lb/>ſich der Jambiſchen bedienet hatten, ſo ſchrieb ſie Lucilius in<lb/>
Alexandriniſchen Verßen; und zwar mit ſolchem Erfolg, daß<lb/>
alle ſeine Nachfolger, Horatz, Juvenal und Perſius auch da-<lb/>
bey geblieben. Dieſe drey haben auch in Satiriſchen Ge-<lb/>
dichten die hoͤchſte Vollkommenheit erreicht, und ſie muͤſſen<lb/>
wir uns zu Muſtern nehmen, wenn wir darinn was rech-<lb/>
tes thun wollen.</p><lb/><p>Unter den heutigen Voͤlckern hat ſich keine Nation mehr<lb/>
darinn hervorgethan, als die Frantzoͤſiſche. Regnier und<lb/>
Boileau ſind ihre beyde groͤſte Satiren-Schreiber, denen<lb/>
unter den neuern Rouſſeau mit gutem Gluͤcke gefolget iſt.<lb/>
Unter den Jtalienern hat ſich Aretin, ſo wie in Engelland<lb/>
der Graf Rocheſter, durch ſeine Satiren einen Nahmen<lb/>
gemacht; unzehlicher andern, die nicht ſo beruͤhmt ſind, zu<lb/>
geſchweigen. Bey uns Deutſchen hat zwar Opitz in ſei-<lb/>
nen Gedichten hier und da viel Satiriſche Stellen mit ein-<lb/>
flieſſen laſſen: aber ich finde kein einziges Stuͤcke von ihm,<lb/>ſo er eine Satire geheißen haͤtte. Rachelius war der er-<lb/>ſte, der ſich durch zehn Satiren ans Licht wagte, und ſich<lb/>
gleichſam dadurch als unſern Lucilius erwieß. Er ver-<lb/>
dient dieſen Nahmen nicht nur wegen ſeiner ſehr hefftigen<lb/>
und beiſſenden Schreibart, ſondern auch wegen der unrei-<lb/>
nen und harten Verße, die Horatius jenem Roͤmiſchen vor-<lb/>
geruͤcket. Er verdient indeſſen geleſen zu werden, weil er<lb/>
uͤberall eine geſunde Vernunft, eine gute Moral, und einen<lb/>
feinen Geſchmack zeiget; wie aus ſo vielen Stellen, die ich<lb/>ſchon aus ihm angefuͤhret, zur Gnuͤge erhellen kan. Weit<lb/>
reiner und artiger ſind Canitzens Satiren gerathen: und<lb/>
das war kein Wunder, da er bey Hofe lebte, und ſonſt in<lb/>
beſſern Umſtaͤnden war, als jener. Hunold, der ſonſt Me-<lb/>
nantes heißt, hat ſich auch durch ſatiriſche Gedichte weiſen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">wol-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[459/0487]
Von Satiren.
Feſcenniniſchen Lieder und Stachel-Geſaͤnge Mode worden.
Das Land-Volck beluſtigte ſich an ſeinen Feſt-Tagen noch
zu Auguſti Zeiten daran; und dieſe moͤgen wohl dem Lu-
cilius die erſte Veranlaſſung zur Erfindung der Lateiniſchen
Satire gegeben haben. Dieſe iſt von der Griechiſchen in
der Art von Verßen gantz unterſchieden. Denn da jene
ſich der Jambiſchen bedienet hatten, ſo ſchrieb ſie Lucilius in
Alexandriniſchen Verßen; und zwar mit ſolchem Erfolg, daß
alle ſeine Nachfolger, Horatz, Juvenal und Perſius auch da-
bey geblieben. Dieſe drey haben auch in Satiriſchen Ge-
dichten die hoͤchſte Vollkommenheit erreicht, und ſie muͤſſen
wir uns zu Muſtern nehmen, wenn wir darinn was rech-
tes thun wollen.
Unter den heutigen Voͤlckern hat ſich keine Nation mehr
darinn hervorgethan, als die Frantzoͤſiſche. Regnier und
Boileau ſind ihre beyde groͤſte Satiren-Schreiber, denen
unter den neuern Rouſſeau mit gutem Gluͤcke gefolget iſt.
Unter den Jtalienern hat ſich Aretin, ſo wie in Engelland
der Graf Rocheſter, durch ſeine Satiren einen Nahmen
gemacht; unzehlicher andern, die nicht ſo beruͤhmt ſind, zu
geſchweigen. Bey uns Deutſchen hat zwar Opitz in ſei-
nen Gedichten hier und da viel Satiriſche Stellen mit ein-
flieſſen laſſen: aber ich finde kein einziges Stuͤcke von ihm,
ſo er eine Satire geheißen haͤtte. Rachelius war der er-
ſte, der ſich durch zehn Satiren ans Licht wagte, und ſich
gleichſam dadurch als unſern Lucilius erwieß. Er ver-
dient dieſen Nahmen nicht nur wegen ſeiner ſehr hefftigen
und beiſſenden Schreibart, ſondern auch wegen der unrei-
nen und harten Verße, die Horatius jenem Roͤmiſchen vor-
geruͤcket. Er verdient indeſſen geleſen zu werden, weil er
uͤberall eine geſunde Vernunft, eine gute Moral, und einen
feinen Geſchmack zeiget; wie aus ſo vielen Stellen, die ich
ſchon aus ihm angefuͤhret, zur Gnuͤge erhellen kan. Weit
reiner und artiger ſind Canitzens Satiren gerathen: und
das war kein Wunder, da er bey Hofe lebte, und ſonſt in
beſſern Umſtaͤnden war, als jener. Hunold, der ſonſt Me-
nantes heißt, hat ſich auch durch ſatiriſche Gedichte weiſen
wol-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/487>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.