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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von Satiren.

Thalia, lachst du noch? Ach schertze nicht mit mir!

Entferne dich vielmehr, mein Eifer räth es dir.
Verdammt sey jedes Blatt, das ich nach deinen Trieben,
Satirisch ausgedacht und schertzhafft aufgeschrieben.
Die Reue kommt bereits mit späten Schritten nach;
Denn da ich mir von dir nur Lust und Ruhm versprach,
So offt mein scharfer Kiel ein Straf-Lied ausgehecket,
So offt hast du mir nichts als Zorn und Haß erwecket.
So ernsthafft? fragst du mich. Soll ich nicht zornig seyn?
Gib acht, wie dringt die Schaar gereitzter Lästrer ein?
Sie hat es schon gemerckt daß ich Satiren liebe,
Drum schreyt sie: daß ich mich im Läster-Handwerck übe.
Wer hat nun Schuld als du? So heilig du dich stellst,
So hefftig schilt man dich, wenn du die Thoren prellst,
Dich nicht enthalten kanst die Laster aufzudecken,
Und öffentlich verlachst, was andre gern verstecken.
Kennst du Silvandern nicht? So ruft die Lindenstadt,
So bald mein freyer Kiel ein Blatt erfüllet hat:
Silvandern, der uns offt mit seinen Reimen quälet,
Und alles, was er weiß, der Welt im Druck erzehlet.
Hier ist ein Blatt von ihm, ein Blatt voll Spott und Hohn;
Wenn gleich sein Nahme fehlt, die Verße zeigens schon.
Er mustert jedermann, und schreibet keine Zeile,
Darinnen nicht ein Wort nach Art geschärfter Pfeile,
Bald den, bald jenen trifft. Sieh da, hier meynt er mich,
Dieß Beywort zielt auf den, und da kriegst du den Stich.
Leandern nennt er Mops, dort schilt er die Poeten,
Und dieser Ausdruck sticht auf Jungfer Margareten.
Was hat ihm immermehr das Frauenvolck gethan?
Bald schreyt er, daß es nicht die Bibel lesen kan,
Bald lacht er, daß sie nichts Caffee trincken können,
Bald will er Floren nicht die reichen Buhler gönnen.
Von deren Mildigkeit das Mädchen sich erhält,
Obgleich ihr die Person nicht sonderlich gefällt.
Nun will er, wie du siehst, den Weibern Regeln geben.
Als wüsten sie nicht schon galant und wohl zu leben!
Thalia, dieses ists, wozu du mich gelenckt,
Nachdem du mir den Trieb zur Besserung geschenckt,
Wodurch du den Horatz und Juvenal getrieben,
Durch den dein Persius und dein Despreaux geschrieben,
Den Canitz, und hernach Rachelius gefühlt,
Biß Günther uns zuletzt manch Straflied vorgespielt.
O hätt ich doch davon kein eintzig Blatt gelesen!
O wüst ich doch noch nichts von dem verhaßten Wesen,
Wie

Von Satiren.

Thalia, lachſt du noch? Ach ſchertze nicht mit mir!

Entferne dich vielmehr, mein Eifer raͤth es dir.
Verdammt ſey jedes Blatt, das ich nach deinen Trieben,
Satiriſch ausgedacht und ſchertzhafft aufgeſchrieben.
Die Reue kommt bereits mit ſpaͤten Schritten nach;
Denn da ich mir von dir nur Luſt und Ruhm verſprach,
So offt mein ſcharfer Kiel ein Straf-Lied ausgehecket,
So offt haſt du mir nichts als Zorn und Haß erwecket.
So ernſthafft? fragſt du mich. Soll ich nicht zornig ſeyn?
Gib acht, wie dringt die Schaar gereitzter Laͤſtrer ein?
Sie hat es ſchon gemerckt daß ich Satiren liebe,
Drum ſchreyt ſie: daß ich mich im Laͤſter-Handwerck uͤbe.
Wer hat nun Schuld als du? So heilig du dich ſtellſt,
So hefftig ſchilt man dich, wenn du die Thoren prellſt,
Dich nicht enthalten kanſt die Laſter aufzudecken,
Und oͤffentlich verlachſt, was andre gern verſtecken.
Kennſt du Silvandern nicht? So ruft die Lindenſtadt,
So bald mein freyer Kiel ein Blatt erfuͤllet hat:
Silvandern, der uns offt mit ſeinen Reimen quaͤlet,
Und alles, was er weiß, der Welt im Druck erzehlet.
Hier iſt ein Blatt von ihm, ein Blatt voll Spott und Hohn;
Wenn gleich ſein Nahme fehlt, die Verße zeigens ſchon.
Er muſtert jedermann, und ſchreibet keine Zeile,
Darinnen nicht ein Wort nach Art geſchaͤrfter Pfeile,
Bald den, bald jenen trifft. Sieh da, hier meynt er mich,
Dieß Beywort zielt auf den, und da kriegſt du den Stich.
Leandern nennt er Mops, dort ſchilt er die Poeten,
Und dieſer Ausdruck ſticht auf Jungfer Margareten.
Was hat ihm immermehr das Frauenvolck gethan?
Bald ſchreyt er, daß es nicht die Bibel leſen kan,
Bald lacht er, daß ſie nichts Caffee trincken koͤnnen,
Bald will er Floren nicht die reichen Buhler goͤnnen.
Von deren Mildigkeit das Maͤdchen ſich erhaͤlt,
Obgleich ihr die Perſon nicht ſonderlich gefaͤllt.
Nun will er, wie du ſiehſt, den Weibern Regeln geben.
Als wuͤſten ſie nicht ſchon galant und wohl zu leben!
Thalia, dieſes iſts, wozu du mich gelenckt,
Nachdem du mir den Trieb zur Beſſerung geſchenckt,
Wodurch du den Horatz und Juvenal getrieben,
Durch den dein Perſius und dein Deſpreaux geſchrieben,
Den Canitz, und hernach Rachelius gefuͤhlt,
Biß Guͤnther uns zuletzt manch Straflied vorgeſpielt.
O haͤtt ich doch davon kein eintzig Blatt geleſen!
O wuͤſt ich doch noch nichts von dem verhaßten Weſen,
Wie
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[477/0505] Von Satiren. Thalia, lachſt du noch? Ach ſchertze nicht mit mir! Entferne dich vielmehr, mein Eifer raͤth es dir. Verdammt ſey jedes Blatt, das ich nach deinen Trieben, Satiriſch ausgedacht und ſchertzhafft aufgeſchrieben. Die Reue kommt bereits mit ſpaͤten Schritten nach; Denn da ich mir von dir nur Luſt und Ruhm verſprach, So offt mein ſcharfer Kiel ein Straf-Lied ausgehecket, So offt haſt du mir nichts als Zorn und Haß erwecket. So ernſthafft? fragſt du mich. Soll ich nicht zornig ſeyn? Gib acht, wie dringt die Schaar gereitzter Laͤſtrer ein? Sie hat es ſchon gemerckt daß ich Satiren liebe, Drum ſchreyt ſie: daß ich mich im Laͤſter-Handwerck uͤbe. Wer hat nun Schuld als du? So heilig du dich ſtellſt, So hefftig ſchilt man dich, wenn du die Thoren prellſt, Dich nicht enthalten kanſt die Laſter aufzudecken, Und oͤffentlich verlachſt, was andre gern verſtecken. Kennſt du Silvandern nicht? So ruft die Lindenſtadt, So bald mein freyer Kiel ein Blatt erfuͤllet hat: Silvandern, der uns offt mit ſeinen Reimen quaͤlet, Und alles, was er weiß, der Welt im Druck erzehlet. Hier iſt ein Blatt von ihm, ein Blatt voll Spott und Hohn; Wenn gleich ſein Nahme fehlt, die Verße zeigens ſchon. Er muſtert jedermann, und ſchreibet keine Zeile, Darinnen nicht ein Wort nach Art geſchaͤrfter Pfeile, Bald den, bald jenen trifft. Sieh da, hier meynt er mich, Dieß Beywort zielt auf den, und da kriegſt du den Stich. Leandern nennt er Mops, dort ſchilt er die Poeten, Und dieſer Ausdruck ſticht auf Jungfer Margareten. Was hat ihm immermehr das Frauenvolck gethan? Bald ſchreyt er, daß es nicht die Bibel leſen kan, Bald lacht er, daß ſie nichts Caffee trincken koͤnnen, Bald will er Floren nicht die reichen Buhler goͤnnen. Von deren Mildigkeit das Maͤdchen ſich erhaͤlt, Obgleich ihr die Perſon nicht ſonderlich gefaͤllt. Nun will er, wie du ſiehſt, den Weibern Regeln geben. Als wuͤſten ſie nicht ſchon galant und wohl zu leben! Thalia, dieſes iſts, wozu du mich gelenckt, Nachdem du mir den Trieb zur Beſſerung geſchenckt, Wodurch du den Horatz und Juvenal getrieben, Durch den dein Perſius und dein Deſpreaux geſchrieben, Den Canitz, und hernach Rachelius gefuͤhlt, Biß Guͤnther uns zuletzt manch Straflied vorgeſpielt. O haͤtt ich doch davon kein eintzig Blatt geleſen! O wuͤſt ich doch noch nichts von dem verhaßten Weſen, Wie

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/505>, abgerufen am 22.11.2024.