Und hast ein redliches Gemüth, Das bloß auf wahre Tugend sieht, Den Geitz verdammt, den Hochmuth flieht, Auch nicht am Joch der Wollust zieht. Du bist kein Freund der Eitelkeit, Du wünschest dir kein prächtig Kleid, Kein eignes Haus, kein reiches Weib, Und bist vergnügt, wenn Geist und Leib Nur nichts von Schmertz und Kranckheit weiß, Wiewohl auch denn verdienst du Preis, Jndem auch mitten in dem Schmertz Dein starckes Philosophen-Hertz, Ein festgesetztes Wesen zeigt, So sich vor keinem Zufall beugt. Freund, dieser kurtzgefaßte Ruhm, Jst in der That dein Eigenthum, Der Grund, das zwischen uns der Ord'n, Der Freundschafft ist gestifftet word'n. Vier Jahre sinds, da sahst du mich, Und liebtst mich eher, als ich dich, Darüber ich in meinem Sinn, Mir selber noch gehäßig bin. Allein der Fehler ist ersetzt, Du weist wie hoch ich dich geschätzt, Wie deine Liebe mich ergetzt, Daß Leipzig ohne sie allein, Mir fast kein Leipzig würde seyn, Zumahl ichs, lehrts nicht Tullius? Vors höchste Gut erkennen muß, Wenn man ohn allen Heuchelschein, Mit Freuden kan vertraulich seyn.
Genug davon, das Blatt wird voll, Darauf mein Wunsch noch stehen soll. Doch, Werthester, was wünsch ich dir? Jch gönne dir so viel als mir, Das ist, so manches Gut und Glück, Als dir das himmlische Geschick, Nach seiner Weisheit zugedacht, Bevor es dich und mich gemacht. Jch weiß, du hast daran genug, Drum wär es wohl gewiß nicht klug, Wenn ich noch sonst was wünschen sollt, Was GOtt dir doch nicht geben wollt.
Wohl-
Des II Theils VII Capitel
Und haſt ein redliches Gemuͤth, Das bloß auf wahre Tugend ſieht, Den Geitz verdammt, den Hochmuth flieht, Auch nicht am Joch der Wolluſt zieht. Du biſt kein Freund der Eitelkeit, Du wuͤnſcheſt dir kein praͤchtig Kleid, Kein eignes Haus, kein reiches Weib, Und biſt vergnuͤgt, wenn Geiſt und Leib Nur nichts von Schmertz und Kranckheit weiß, Wiewohl auch denn verdienſt du Preis, Jndem auch mitten in dem Schmertz Dein ſtarckes Philoſophen-Hertz, Ein feſtgeſetztes Weſen zeigt, So ſich vor keinem Zufall beugt. Freund, dieſer kurtzgefaßte Ruhm, Jſt in der That dein Eigenthum, Der Grund, das zwiſchen uns der Ord’n, Der Freundſchafft iſt geſtifftet word’n. Vier Jahre ſinds, da ſahſt du mich, Und liebtſt mich eher, als ich dich, Daruͤber ich in meinem Sinn, Mir ſelber noch gehaͤßig bin. Allein der Fehler iſt erſetzt, Du weiſt wie hoch ich dich geſchaͤtzt, Wie deine Liebe mich ergetzt, Daß Leipzig ohne ſie allein, Mir faſt kein Leipzig wuͤrde ſeyn, Zumahl ichs, lehrts nicht Tullius? Vors hoͤchſte Gut erkennen muß, Wenn man ohn allen Heuchelſchein, Mit Freuden kan vertraulich ſeyn.
Genug davon, das Blatt wird voll, Darauf mein Wunſch noch ſtehen ſoll. Doch, Wertheſter, was wuͤnſch ich dir? Jch goͤnne dir ſo viel als mir, Das iſt, ſo manches Gut und Gluͤck, Als dir das himmliſche Geſchick, Nach ſeiner Weisheit zugedacht, Bevor es dich und mich gemacht. Jch weiß, du haſt daran genug, Drum waͤr es wohl gewiß nicht klug, Wenn ich noch ſonſt was wuͤnſchen ſollt, Was GOtt dir doch nicht geben wollt.
Wohl-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><lgtype="poem"><lgn="9"><l><pbfacs="#f0530"n="502"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Des <hirendition="#aq">II</hi> Theils <hirendition="#aq">VII</hi> Capitel</hi></fw></l><lb/><l>Und haſt ein redliches Gemuͤth,</l><lb/><l>Das bloß auf wahre Tugend ſieht,</l><lb/><l>Den Geitz verdammt, den Hochmuth flieht,</l><lb/><l>Auch nicht am Joch der Wolluſt zieht.</l><lb/><l>Du biſt kein Freund der Eitelkeit,</l><lb/><l>Du wuͤnſcheſt dir kein praͤchtig Kleid,</l><lb/><l>Kein eignes Haus, kein reiches Weib,</l><lb/><l>Und biſt vergnuͤgt, wenn Geiſt und Leib</l><lb/><l>Nur nichts von Schmertz und Kranckheit weiß,</l><lb/><l>Wiewohl auch denn verdienſt du Preis,</l><lb/><l>Jndem auch mitten in dem Schmertz</l><lb/><l>Dein ſtarckes Philoſophen-Hertz,</l><lb/><l>Ein feſtgeſetztes Weſen zeigt,</l><lb/><l>So ſich vor keinem Zufall beugt.</l><lb/><l>Freund, dieſer kurtzgefaßte Ruhm,</l><lb/><l>Jſt in der That dein Eigenthum,</l><lb/><l>Der Grund, das zwiſchen uns der Ord’n,</l><lb/><l>Der Freundſchafft iſt geſtifftet word’n.</l><lb/><l>Vier Jahre ſinds, da ſahſt du mich,</l><lb/><l>Und liebtſt mich eher, als ich dich,</l><lb/><l>Daruͤber ich in meinem Sinn,</l><lb/><l>Mir ſelber noch gehaͤßig bin.</l><lb/><l>Allein der Fehler iſt erſetzt,</l><lb/><l>Du weiſt wie hoch ich dich geſchaͤtzt,</l><lb/><l>Wie deine Liebe mich ergetzt,</l><lb/><l>Daß Leipzig ohne ſie allein,</l><lb/><l>Mir faſt kein Leipzig wuͤrde ſeyn,</l><lb/><l>Zumahl ichs, lehrts nicht Tullius?</l><lb/><l>Vors hoͤchſte Gut erkennen muß,</l><lb/><l>Wenn man ohn allen Heuchelſchein,</l><lb/><l>Mit Freuden kan vertraulich ſeyn.</l></lg><lb/><lgn="10"><l>Genug davon, das Blatt wird voll,</l><lb/><l>Darauf mein Wunſch noch ſtehen ſoll.</l><lb/><l>Doch, Wertheſter, was wuͤnſch ich dir?</l><lb/><l>Jch goͤnne dir ſo viel als mir,</l><lb/><l>Das iſt, ſo manches Gut und Gluͤck,</l><lb/><l>Als dir das himmliſche Geſchick,</l><lb/><l>Nach ſeiner Weisheit zugedacht,</l><lb/><l>Bevor es dich und mich gemacht.</l><lb/><l>Jch weiß, du haſt daran genug,</l><lb/><l>Drum waͤr es wohl gewiß nicht klug,</l><lb/><l>Wenn ich noch ſonſt was wuͤnſchen ſollt,</l><lb/><l>Was GOtt dir doch nicht geben wollt.<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Wohl-</fw><lb/></l></lg></lg></div></div></div></body></text></TEI>
[502/0530]
Des II Theils VII Capitel
Und haſt ein redliches Gemuͤth,
Das bloß auf wahre Tugend ſieht,
Den Geitz verdammt, den Hochmuth flieht,
Auch nicht am Joch der Wolluſt zieht.
Du biſt kein Freund der Eitelkeit,
Du wuͤnſcheſt dir kein praͤchtig Kleid,
Kein eignes Haus, kein reiches Weib,
Und biſt vergnuͤgt, wenn Geiſt und Leib
Nur nichts von Schmertz und Kranckheit weiß,
Wiewohl auch denn verdienſt du Preis,
Jndem auch mitten in dem Schmertz
Dein ſtarckes Philoſophen-Hertz,
Ein feſtgeſetztes Weſen zeigt,
So ſich vor keinem Zufall beugt.
Freund, dieſer kurtzgefaßte Ruhm,
Jſt in der That dein Eigenthum,
Der Grund, das zwiſchen uns der Ord’n,
Der Freundſchafft iſt geſtifftet word’n.
Vier Jahre ſinds, da ſahſt du mich,
Und liebtſt mich eher, als ich dich,
Daruͤber ich in meinem Sinn,
Mir ſelber noch gehaͤßig bin.
Allein der Fehler iſt erſetzt,
Du weiſt wie hoch ich dich geſchaͤtzt,
Wie deine Liebe mich ergetzt,
Daß Leipzig ohne ſie allein,
Mir faſt kein Leipzig wuͤrde ſeyn,
Zumahl ichs, lehrts nicht Tullius?
Vors hoͤchſte Gut erkennen muß,
Wenn man ohn allen Heuchelſchein,
Mit Freuden kan vertraulich ſeyn.
Genug davon, das Blatt wird voll,
Darauf mein Wunſch noch ſtehen ſoll.
Doch, Wertheſter, was wuͤnſch ich dir?
Jch goͤnne dir ſo viel als mir,
Das iſt, ſo manches Gut und Gluͤck,
Als dir das himmliſche Geſchick,
Nach ſeiner Weisheit zugedacht,
Bevor es dich und mich gemacht.
Jch weiß, du haſt daran genug,
Drum waͤr es wohl gewiß nicht klug,
Wenn ich noch ſonſt was wuͤnſchen ſollt,
Was GOtt dir doch nicht geben wollt.
Wohl-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/530>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.