Classe gewiß eins von den schönsten und erbaulichsten ist, die ich je gelesen habe.
Nichts ist übrig, als daß ich noch ein Wort von grossen Lob-Schrifften beyfüge. Von diesen gilt fast alles, was von den obigen gesagt worden. Opitz hat auf den König in Poh- len und Schweden, ingleichen auf den Hertzog zu Hollstein dergleichen gemacht, so uns zu Mustern dienen können. Sei- ne Lob-Gesänge auf den Mars und Bachus, ingleichen auf die Geburt Christi u. d. g. sind auch bekannt. Was sind nicht unter seinen und seiner Nachfolger, Flemmings, Dachs, Tschernings, Franckens, Bessers, Neukirchs, Amthors und Günthers Schrifften vor eine Menge solcher Poesien, darinn sie ausführliche Lob-Redner ihrer Helden abgeben. Alle diese poetische Stücke, sind nicht dem Jnnhalte, sondern nur der äußerlichen Form nach poetisch: Es wäre denn, daß sie auch in eine Fabel eingekleidet wären, oder hier und da durch poetische Zierrathe sehr ausstaffiret würden. Was dabey überhaupt zu beobachten ist, kan man mit wenig Worten sagen.
Zuförderst muß der, so jemanden loben will, wissen, was vor Eigenschafften eigentlich ein wahres Lob verdienen; denn sonst läuft er Gefahr, auch scheinbare Laster als grosse Tu- genden heraus zu streichen, und dadurch bey den Verständi- gen zum Gelächter zu werden; bey Unverständigen aber viel Schaden zu stifften. Zweytens muß man den Character derjenigen Person wohl kennen, die man loben will: damit man ihr nicht unrechte Eigenschafften beylege. Denn aus den allgemeinen Qvellen der Lob-Sprüche solche Schmeiche- leyen zu schöpfen, die sich auf hundert andere eben so wohl schicken, als auf den, so man nennet; das heißt kein rech- tes Lob, sondern eine niederträchtige Lobe-Sucht,
Da keiner Weisheit Spur, Kein Saltz noch Eßig ist, als bloß der Fuchs-Schwantz nur.
wie Rachelius sie beschreibt. Eine rechte Lob-Schrifft muß sich gantz sonderbar auf denjenigen Helden schicken, den man lobt, und auf keinen andern gebraucht werden können. Es ist Gratulanten-mäßig, wenn man auf alle seine Gönner gleich-
sam
K k 4
Von dogmatiſchen Poeſien.
Claſſe gewiß eins von den ſchoͤnſten und erbaulichſten iſt, die ich je geleſen habe.
Nichts iſt uͤbrig, als daß ich noch ein Wort von groſſen Lob-Schrifften beyfuͤge. Von dieſen gilt faſt alles, was von den obigen geſagt worden. Opitz hat auf den Koͤnig in Poh- len und Schweden, ingleichen auf den Hertzog zu Hollſtein dergleichen gemacht, ſo uns zu Muſtern dienen koͤnnen. Sei- ne Lob-Geſaͤnge auf den Mars und Bachus, ingleichen auf die Geburt Chriſti u. d. g. ſind auch bekannt. Was ſind nicht unter ſeinen und ſeiner Nachfolger, Flemmings, Dachs, Tſchernings, Franckens, Beſſers, Neukirchs, Amthors und Guͤnthers Schrifften vor eine Menge ſolcher Poeſien, darinn ſie ausfuͤhrliche Lob-Redner ihrer Helden abgeben. Alle dieſe poetiſche Stuͤcke, ſind nicht dem Jnnhalte, ſondern nur der aͤußerlichen Form nach poetiſch: Es waͤre denn, daß ſie auch in eine Fabel eingekleidet waͤren, oder hier und da durch poetiſche Zierrathe ſehr ausſtaffiret wuͤrden. Was dabey uͤberhaupt zu beobachten iſt, kan man mit wenig Worten ſagen.
Zufoͤrderſt muß der, ſo jemanden loben will, wiſſen, was vor Eigenſchafften eigentlich ein wahres Lob verdienen; denn ſonſt laͤuft er Gefahr, auch ſcheinbare Laſter als groſſe Tu- genden heraus zu ſtreichen, und dadurch bey den Verſtaͤndi- gen zum Gelaͤchter zu werden; bey Unverſtaͤndigen aber viel Schaden zu ſtifften. Zweytens muß man den Character derjenigen Perſon wohl kennen, die man loben will: damit man ihr nicht unrechte Eigenſchafften beylege. Denn aus den allgemeinen Qvellen der Lob-Spruͤche ſolche Schmeiche- leyen zu ſchoͤpfen, die ſich auf hundert andere eben ſo wohl ſchicken, als auf den, ſo man nennet; das heißt kein rech- tes Lob, ſondern eine niedertraͤchtige Lobe-Sucht,
Da keiner Weisheit Spur, Kein Saltz noch Eßig iſt, als bloß der Fuchs-Schwantz nur.
wie Rachelius ſie beſchreibt. Eine rechte Lob-Schrifft muß ſich gantz ſonderbar auf denjenigen Helden ſchicken, den man lobt, und auf keinen andern gebraucht werden koͤnnen. Es iſt Gratulanten-maͤßig, wenn man auf alle ſeine Goͤnner gleich-
ſam
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Von dogmatiſchen Poeſien.
Claſſe gewiß eins von den ſchoͤnſten und erbaulichſten iſt, die
ich je geleſen habe.
Nichts iſt uͤbrig, als daß ich noch ein Wort von groſſen
Lob-Schrifften beyfuͤge. Von dieſen gilt faſt alles, was von
den obigen geſagt worden. Opitz hat auf den Koͤnig in Poh-
len und Schweden, ingleichen auf den Hertzog zu Hollſtein
dergleichen gemacht, ſo uns zu Muſtern dienen koͤnnen. Sei-
ne Lob-Geſaͤnge auf den Mars und Bachus, ingleichen auf die
Geburt Chriſti u. d. g. ſind auch bekannt. Was ſind nicht
unter ſeinen und ſeiner Nachfolger, Flemmings, Dachs,
Tſchernings, Franckens, Beſſers, Neukirchs, Amthors und
Guͤnthers Schrifften vor eine Menge ſolcher Poeſien, darinn
ſie ausfuͤhrliche Lob-Redner ihrer Helden abgeben. Alle
dieſe poetiſche Stuͤcke, ſind nicht dem Jnnhalte, ſondern nur
der aͤußerlichen Form nach poetiſch: Es waͤre denn, daß ſie
auch in eine Fabel eingekleidet waͤren, oder hier und da durch
poetiſche Zierrathe ſehr ausſtaffiret wuͤrden. Was dabey
uͤberhaupt zu beobachten iſt, kan man mit wenig Worten
ſagen.
Zufoͤrderſt muß der, ſo jemanden loben will, wiſſen, was
vor Eigenſchafften eigentlich ein wahres Lob verdienen; denn
ſonſt laͤuft er Gefahr, auch ſcheinbare Laſter als groſſe Tu-
genden heraus zu ſtreichen, und dadurch bey den Verſtaͤndi-
gen zum Gelaͤchter zu werden; bey Unverſtaͤndigen aber viel
Schaden zu ſtifften. Zweytens muß man den Character
derjenigen Perſon wohl kennen, die man loben will: damit
man ihr nicht unrechte Eigenſchafften beylege. Denn aus
den allgemeinen Qvellen der Lob-Spruͤche ſolche Schmeiche-
leyen zu ſchoͤpfen, die ſich auf hundert andere eben ſo wohl
ſchicken, als auf den, ſo man nennet; das heißt kein rech-
tes Lob, ſondern eine niedertraͤchtige Lobe-Sucht,
Da keiner Weisheit Spur,
Kein Saltz noch Eßig iſt, als bloß der Fuchs-Schwantz nur.
wie Rachelius ſie beſchreibt. Eine rechte Lob-Schrifft muß
ſich gantz ſonderbar auf denjenigen Helden ſchicken, den man
lobt, und auf keinen andern gebraucht werden koͤnnen. Es iſt
Gratulanten-maͤßig, wenn man auf alle ſeine Goͤnner gleich-
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/547>, abgerufen am 22.11.2024.
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