Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.Von dogmatischen Poesien. Wettstreit der Tugenden an Seine Königl. Maj. in Poh- So ist es denn umsonst, daß ich bißher gezagt, Wenn mancher sich zu frech an Pohlens Thron gewagt; Umsonst, daß Brust und Arm und Schenckel mir gebebet; Wenn andern Sachsens Held den schwachen Blick belebet; Umsonst, daß Mund und Hand bißher, aus Blödigkeit, Des deutschen Herculs Lob und Lorber nicht entweyht, Und seiner Thaten Preis den Dichtern aufgetragen, Die Phöbus selbst erhitzt ein solches Werck zu wagen. Jetzt reitzet mich ein Zug zu grössrer Kühnheit an, Ein Zug, den Scheu und Furcht nicht ferner dämpfen kan. Die Musen scheinen selbst den Wiederstand zu schwächen, Dem blöden Geiste Krafft und Beystand zu versprechen. Wohlan! ich folge dann: Regiert mir Mund und Kiel, Und stimmt mit eigner Hand mein rauhes Seyten-Spiel; Damit der Pohlen Haupt, der Schmuck der Deutschen Erde, Nicht schlecht, nicht ungeschickt, nicht matt besungen werde. Hier bin ich, führt mich an, laßt mich den König sehn! Jch fühle schon die Lufft um Haar und Schultern wehn: Kein Adler schiesst so schnell, wenn die geschwungnen Flügel Des leichten Cörpers Flug den Spitzen aller Hügel, Ja dem Gesicht entziehn; und ihn dahin erhöhn, Allwo zur Sommers-Zeit die weissen Wolcken stehn; Als mich Calliope ihr nachzufolgen zwinget, Und an den fetten Rand der breiten Elbe bringet. Jch sehe Stadt und Land und Wasser unter mir, Da wohnt ein sichres Volck, der Landmann ackert hier, Dort gehn zu tausenden die Trifften in den Auen, Hier läßt der Wintzer sich auf steilen Bergen schauen, Der Elbstrom schleichet dort durch Felsen, Wald und Thal, Da schwimmt des Schuppen-Volcks unendlich grosse Zahl, Hier prangt bey Felß und Schloß die lange Meißner-Brücke; Bis ich von ferne schon die Residentz erblicke. Ein K k 5
Von dogmatiſchen Poeſien. Wettſtreit der Tugenden an Seine Koͤnigl. Maj. in Poh- So iſt es denn umſonſt, daß ich bißher gezagt, Wenn mancher ſich zu frech an Pohlens Thron gewagt; Umſonſt, daß Bruſt und Arm und Schenckel mir gebebet; Wenn andern Sachſens Held den ſchwachen Blick belebet; Umſonſt, daß Mund und Hand bißher, aus Bloͤdigkeit, Des deutſchen Herculs Lob und Lorber nicht entweyht, Und ſeiner Thaten Preis den Dichtern aufgetragen, Die Phoͤbus ſelbſt erhitzt ein ſolches Werck zu wagen. Jetzt reitzet mich ein Zug zu groͤſſrer Kuͤhnheit an, Ein Zug, den Scheu und Furcht nicht ferner daͤmpfen kan. Die Muſen ſcheinen ſelbſt den Wiederſtand zu ſchwaͤchen, Dem bloͤden Geiſte Krafft und Beyſtand zu verſprechen. Wohlan! ich folge dann: Regiert mir Mund und Kiel, Und ſtimmt mit eigner Hand mein rauhes Seyten-Spiel; Damit der Pohlen Haupt, der Schmuck der Deutſchen Erde, Nicht ſchlecht, nicht ungeſchickt, nicht matt beſungen werde. Hier bin ich, fuͤhrt mich an, laßt mich den Koͤnig ſehn! Jch fuͤhle ſchon die Lufft um Haar und Schultern wehn: Kein Adler ſchieſſt ſo ſchnell, wenn die geſchwungnen Fluͤgel Des leichten Coͤrpers Flug den Spitzen aller Huͤgel, Ja dem Geſicht entziehn; und ihn dahin erhoͤhn, Allwo zur Sommers-Zeit die weiſſen Wolcken ſtehn; Als mich Calliope ihr nachzufolgen zwinget, Und an den fetten Rand der breiten Elbe bringet. Jch ſehe Stadt und Land und Waſſer unter mir, Da wohnt ein ſichres Volck, der Landmann ackert hier, Dort gehn zu tauſenden die Trifften in den Auen, Hier laͤßt der Wintzer ſich auf ſteilen Bergen ſchauen, Der Elbſtrom ſchleichet dort durch Felſen, Wald und Thal, Da ſchwimmt des Schuppen-Volcks unendlich groſſe Zahl, Hier prangt bey Felß und Schloß die lange Meißner-Bruͤcke; Bis ich von ferne ſchon die Reſidentz erblicke. Ein K k 5
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Von dogmatiſchen Poeſien.
Wettſtreit der Tugenden an Seine Koͤnigl. Maj. in Poh-
len und Churfuͤrſtl. Durchl. zu Sachſen Friedrich Auguſts
hohem Geburths-Tage. 1728. in einem Gedichte entworfen,
welches in der deutſchen Geſellſchafft zu Leipzig den er-
ſten Preis der Poeſie erhalten.
So iſt es denn umſonſt, daß ich bißher gezagt,
Wenn mancher ſich zu frech an Pohlens Thron gewagt;
Umſonſt, daß Bruſt und Arm und Schenckel mir gebebet;
Wenn andern Sachſens Held den ſchwachen Blick belebet;
Umſonſt, daß Mund und Hand bißher, aus Bloͤdigkeit,
Des deutſchen Herculs Lob und Lorber nicht entweyht,
Und ſeiner Thaten Preis den Dichtern aufgetragen,
Die Phoͤbus ſelbſt erhitzt ein ſolches Werck zu wagen.
Jetzt reitzet mich ein Zug zu groͤſſrer Kuͤhnheit an,
Ein Zug, den Scheu und Furcht nicht ferner daͤmpfen kan.
Die Muſen ſcheinen ſelbſt den Wiederſtand zu ſchwaͤchen,
Dem bloͤden Geiſte Krafft und Beyſtand zu verſprechen.
Wohlan! ich folge dann: Regiert mir Mund und Kiel,
Und ſtimmt mit eigner Hand mein rauhes Seyten-Spiel;
Damit der Pohlen Haupt, der Schmuck der Deutſchen Erde,
Nicht ſchlecht, nicht ungeſchickt, nicht matt beſungen werde.
Hier bin ich, fuͤhrt mich an, laßt mich den Koͤnig ſehn!
Jch fuͤhle ſchon die Lufft um Haar und Schultern wehn:
Kein Adler ſchieſſt ſo ſchnell, wenn die geſchwungnen Fluͤgel
Des leichten Coͤrpers Flug den Spitzen aller Huͤgel,
Ja dem Geſicht entziehn; und ihn dahin erhoͤhn,
Allwo zur Sommers-Zeit die weiſſen Wolcken ſtehn;
Als mich Calliope ihr nachzufolgen zwinget,
Und an den fetten Rand der breiten Elbe bringet.
Jch ſehe Stadt und Land und Waſſer unter mir,
Da wohnt ein ſichres Volck, der Landmann ackert hier,
Dort gehn zu tauſenden die Trifften in den Auen,
Hier laͤßt der Wintzer ſich auf ſteilen Bergen ſchauen,
Der Elbſtrom ſchleichet dort durch Felſen, Wald und Thal,
Da ſchwimmt des Schuppen-Volcks unendlich groſſe Zahl,
Hier prangt bey Felß und Schloß die lange Meißner-Bruͤcke;
Bis ich von ferne ſchon die Reſidentz erblicke.
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