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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von dogmatischen Poesien.
Wir gehn, indem sie spricht, allmählich weiter fort,
Doch ihre Sorgfalt zeigt mir immer Stell und Ort,
Wo jeder grosse wohnt, der mit am Ruder sitzet,
Dem weisen Fürsten dient, dem Vaterlande nützet.
Da nennt, da rühmt sie mir der grösten Räthe Zahl.
Printz Adolph, Watzdorff, Frieß und der von Löwendahl,
Zech, Seebach, Leipziger, von Bünau, sammt dem Sohne,
Die, spricht sie, merck es wohl! sind Seulen von dem Throne.
Sie eilt, indem die Zeit gantz unvermerckt verfloß,
Und leitet mich darauf ins Königliche Schloß.
Hier, heißt es, könnt ich dir des Fürsten Ställe weisen,
Und der Gewölber Pracht und Kostbarkeiten preisen;
Allein die Zeit verbeuts: Du solst was grössers sehn,
Zumahl den Augenblick ein Wettstreit wird geschehn.
Die Zahl der Tugenden, die Sachsens Haupt beleben,
Wird vor der Weisheit Thron nach Sieg und Kleinod streben.
Sogleich eröffnet sich des Zimmers hohe Thür,
Jch sehe nichts als Licht und Pracht und Glautz dafür.
Des Bodens Marmel gleißt, die hellen Spiegel-Wände
Entziehn dem starren Blick des Saals wahrhafftes Ende.
Das Oel der Ampeln ist in Silber angeflammt,
Des Thrones Stuffen deckt ein Gold-gestickter Sammt,
Er selbst ist Helfenbein und prangt mit theuern Steinen;
Die Weisheit soll darauf als Richterin erscheinen.
Sie kommt und nimmt ihn ein; Ein heller Sternen-Krantz
Umzirckt die heitre Stirn mit Schimmer, Blitz und Glantz,
Den Leib deckt ein Gewand von Himmelblauer Seide,
Ein Purpurfarbner Streif umgiebt den Saum vom Kleide,
Der Gürtel gleicht dem Schnee, die Rechte trägt den Stab,
Den das Verhängniß ihr zum Eigenthume gab.
Er ist ein feines Gold, doch streut an dessen Spitze,
Ein Hertz, das Augen hat, ringsum die schärfsten Blitze.
Bey solcher Majestät vertiefft das Auge sich,
Vergißt man seiner selbst! Was rührt, was blendet mich?
So schön sah Paris nicht die streitenden Göttinnen,
Vor seinem Thron bemüht den Apfel zu gewinnen;
So angenehm und hell zeigt sich Aurora nicht,
Wenn Phöbus aus dem Schoos der blauen Thetis bricht:
Als hier die Tugenden ins weite Zimmer kamen,
Und um der Weisheit Thron in Eil die Plätze nahmen.
Wir
Von dogmatiſchen Poeſien.
Wir gehn, indem ſie ſpricht, allmaͤhlich weiter fort,
Doch ihre Sorgfalt zeigt mir immer Stell und Ort,
Wo jeder groſſe wohnt, der mit am Ruder ſitzet,
Dem weiſen Fuͤrſten dient, dem Vaterlande nuͤtzet.
Da nennt, da ruͤhmt ſie mir der groͤſten Raͤthe Zahl.
Printz Adolph, Watzdorff, Frieß und der von Loͤwendahl,
Zech, Seebach, Leipziger, von Buͤnau, ſammt dem Sohne,
Die, ſpricht ſie, merck es wohl! ſind Seulen von dem Throne.
Sie eilt, indem die Zeit gantz unvermerckt verfloß,
Und leitet mich darauf ins Koͤnigliche Schloß.
Hier, heißt es, koͤnnt ich dir des Fuͤrſten Staͤlle weiſen,
Und der Gewoͤlber Pracht und Koſtbarkeiten preiſen;
Allein die Zeit verbeuts: Du ſolſt was groͤſſers ſehn,
Zumahl den Augenblick ein Wettſtreit wird geſchehn.
Die Zahl der Tugenden, die Sachſens Haupt beleben,
Wird vor der Weisheit Thron nach Sieg und Kleinod ſtreben.
Sogleich eroͤffnet ſich des Zimmers hohe Thuͤr,
Jch ſehe nichts als Licht und Pracht und Glautz dafuͤr.
Des Bodens Marmel gleißt, die hellen Spiegel-Waͤnde
Entziehn dem ſtarren Blick des Saals wahrhafftes Ende.
Das Oel der Ampeln iſt in Silber angeflammt,
Des Thrones Stuffen deckt ein Gold-geſtickter Sammt,
Er ſelbſt iſt Helfenbein und prangt mit theuern Steinen;
Die Weisheit ſoll darauf als Richterin erſcheinen.
Sie kommt und nimmt ihn ein; Ein heller Sternen-Krantz
Umzirckt die heitre Stirn mit Schimmer, Blitz und Glantz,
Den Leib deckt ein Gewand von Himmelblauer Seide,
Ein Purpurfarbner Streif umgiebt den Saum vom Kleide,
Der Guͤrtel gleicht dem Schnee, die Rechte traͤgt den Stab,
Den das Verhaͤngniß ihr zum Eigenthume gab.
Er iſt ein feines Gold, doch ſtreut an deſſen Spitze,
Ein Hertz, das Augen hat, ringsum die ſchaͤrfſten Blitze.
Bey ſolcher Majeſtaͤt vertiefft das Auge ſich,
Vergißt man ſeiner ſelbſt! Was ruͤhrt, was blendet mich?
So ſchoͤn ſah Paris nicht die ſtreitenden Goͤttinnen,
Vor ſeinem Thron bemuͤht den Apfel zu gewinnen;
So angenehm und hell zeigt ſich Aurora nicht,
Wenn Phoͤbus aus dem Schoos der blauen Thetis bricht:
Als hier die Tugenden ins weite Zimmer kamen,
Und um der Weisheit Thron in Eil die Plaͤtze nahmen.
Wir
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[523/0551] Von dogmatiſchen Poeſien. Wir gehn, indem ſie ſpricht, allmaͤhlich weiter fort, Doch ihre Sorgfalt zeigt mir immer Stell und Ort, Wo jeder groſſe wohnt, der mit am Ruder ſitzet, Dem weiſen Fuͤrſten dient, dem Vaterlande nuͤtzet. Da nennt, da ruͤhmt ſie mir der groͤſten Raͤthe Zahl. Printz Adolph, Watzdorff, Frieß und der von Loͤwendahl, Zech, Seebach, Leipziger, von Buͤnau, ſammt dem Sohne, Die, ſpricht ſie, merck es wohl! ſind Seulen von dem Throne. Sie eilt, indem die Zeit gantz unvermerckt verfloß, Und leitet mich darauf ins Koͤnigliche Schloß. Hier, heißt es, koͤnnt ich dir des Fuͤrſten Staͤlle weiſen, Und der Gewoͤlber Pracht und Koſtbarkeiten preiſen; Allein die Zeit verbeuts: Du ſolſt was groͤſſers ſehn, Zumahl den Augenblick ein Wettſtreit wird geſchehn. Die Zahl der Tugenden, die Sachſens Haupt beleben, Wird vor der Weisheit Thron nach Sieg und Kleinod ſtreben. Sogleich eroͤffnet ſich des Zimmers hohe Thuͤr, Jch ſehe nichts als Licht und Pracht und Glautz dafuͤr. Des Bodens Marmel gleißt, die hellen Spiegel-Waͤnde Entziehn dem ſtarren Blick des Saals wahrhafftes Ende. Das Oel der Ampeln iſt in Silber angeflammt, Des Thrones Stuffen deckt ein Gold-geſtickter Sammt, Er ſelbſt iſt Helfenbein und prangt mit theuern Steinen; Die Weisheit ſoll darauf als Richterin erſcheinen. Sie kommt und nimmt ihn ein; Ein heller Sternen-Krantz Umzirckt die heitre Stirn mit Schimmer, Blitz und Glantz, Den Leib deckt ein Gewand von Himmelblauer Seide, Ein Purpurfarbner Streif umgiebt den Saum vom Kleide, Der Guͤrtel gleicht dem Schnee, die Rechte traͤgt den Stab, Den das Verhaͤngniß ihr zum Eigenthume gab. Er iſt ein feines Gold, doch ſtreut an deſſen Spitze, Ein Hertz, das Augen hat, ringsum die ſchaͤrfſten Blitze. Bey ſolcher Majeſtaͤt vertiefft das Auge ſich, Vergißt man ſeiner ſelbſt! Was ruͤhrt, was blendet mich? So ſchoͤn ſah Paris nicht die ſtreitenden Goͤttinnen, Vor ſeinem Thron bemuͤht den Apfel zu gewinnen; So angenehm und hell zeigt ſich Aurora nicht, Wenn Phoͤbus aus dem Schoos der blauen Thetis bricht: Als hier die Tugenden ins weite Zimmer kamen, Und um der Weisheit Thron in Eil die Plaͤtze nahmen. Wir

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/551>, abgerufen am 22.11.2024.