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Graßmann, Hermann: Die Wissenschaft der extensiven Grösse oder die Ausdehnungslehre, eine neue mathematische Disciplin. Bd. 1. Leipzig, 1844.

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Verwandtschaftsbeziehungen. § 171
ten, deren Summe aber nicht null sein darf, gegeben sind, die
harmonische Mitte jedesmal bestimmt ist. -- Die letzte Bestimmung
in diesen Sätzen, dass nämlich das feste System Q, dem jene har-
monischen Mitten eingeordnet sind, selbst als harmonische Mitte
erscheint, fehlt in der Poncelet-schen Darstellung, und es bieten
daher die hier gefundenen Ausdrucksformen, da die harmonische
Mitte nach § 167 leicht konstruirt werden kann, zugleich neue und
einfache geometrische Beziehungen dar.

§ 171. Ich will diese Darstellung mit einer der schönsten
Anwendungen schliessen, die sich von der behandelten Wissen-
schaft machen lässt, nämlich mit der Anwendung auf die Krystall-
gestalten. Doch will ich mich hier auf die Mittheilung der Resul-
tate beschränken, indem ich die Ableitung derselben dem Leser
überlasse. Bekanntlich stellen die Krystallgestalten jede ein Sy-
stem von Ebenen dar, welche ihrer Lage nach veränderlich, ihren
Richtungen nach aber konstant sind, d. h. statt jeder Ebene, die
an einer Krystallgestalt hervortritt, kann auch die ihr parallele her-
vortreten, ohne dass dadurch die Krystallgestalt als solche geändert
wird. Die Abhängigkeit, in welcher die Richtungen dieser Ebenen
unter einander stehen, können wir vermittelst der durch unsere
Wissenschaft festgestellten Begriffe so ausdrücken:

"Wenn man vier Flächen eines Krystalles ohne Aenderung
ihrer Richtungen so legt, dass sie einen Raum einschliessen*),
und die Stücke, welche dadurch von dreien derselben abge-
schnitten werden, zu Richtmassen macht, so lässt sich jede
andere Fläche des Krystalles als Vielfachensumme dieser Richt-
masse rational ausdrücken."

Darin, dass der Ausdruck ein rationaler ist, liegt, dass die Zeiger
sich als rationale Brüche, und also, da es nur auf ihr Verhältniss
ankommt, sich als ganze Zahlen darstellen lassen. Hierbei be-
merken wir noch, dass im Allgemeinen diejenigen Ebenen am häu-
figsten am Krystalle hervorzutreten pflegen, deren Zeiger sich durch
die kleinsten ganzen Zahlen ausdrücken lassen, und dass es schon
äusserst selten ist, wenn die Zeiger einer Krystallfläche sich nur

*) Hierin liegt schon, dass die Flächen keine parallelen Kanten haben
dürfen.

Verwandtschaftsbeziehungen. § 171
ten, deren Summe aber nicht null sein darf, gegeben sind, die
harmonische Mitte jedesmal bestimmt ist. — Die letzte Bestimmung
in diesen Sätzen, dass nämlich das feste System Q, dem jene har-
monischen Mitten eingeordnet sind, selbst als harmonische Mitte
erscheint, fehlt in der Poncelet-schen Darstellung, und es bieten
daher die hier gefundenen Ausdrucksformen, da die harmonische
Mitte nach § 167 leicht konstruirt werden kann, zugleich neue und
einfache geometrische Beziehungen dar.

§ 171. Ich will diese Darstellung mit einer der schönsten
Anwendungen schliessen, die sich von der behandelten Wissen-
schaft machen lässt, nämlich mit der Anwendung auf die Krystall-
gestalten. Doch will ich mich hier auf die Mittheilung der Resul-
tate beschränken, indem ich die Ableitung derselben dem Leser
überlasse. Bekanntlich stellen die Krystallgestalten jede ein Sy-
stem von Ebenen dar, welche ihrer Lage nach veränderlich, ihren
Richtungen nach aber konstant sind, d. h. statt jeder Ebene, die
an einer Krystallgestalt hervortritt, kann auch die ihr parallele her-
vortreten, ohne dass dadurch die Krystallgestalt als solche geändert
wird. Die Abhängigkeit, in welcher die Richtungen dieser Ebenen
unter einander stehen, können wir vermittelst der durch unsere
Wissenschaft festgestellten Begriffe so ausdrücken:

„Wenn man vier Flächen eines Krystalles ohne Aenderung
ihrer Richtungen so legt, dass sie einen Raum einschliessen*),
und die Stücke, welche dadurch von dreien derselben abge-
schnitten werden, zu Richtmassen macht, so lässt sich jede
andere Fläche des Krystalles als Vielfachensumme dieser Richt-
masse rational ausdrücken.“

Darin, dass der Ausdruck ein rationaler ist, liegt, dass die Zeiger
sich als rationale Brüche, und also, da es nur auf ihr Verhältniss
ankommt, sich als ganze Zahlen darstellen lassen. Hierbei be-
merken wir noch, dass im Allgemeinen diejenigen Ebenen am häu-
figsten am Krystalle hervorzutreten pflegen, deren Zeiger sich durch
die kleinsten ganzen Zahlen ausdrücken lassen, und dass es schon
äusserst selten ist, wenn die Zeiger einer Krystallfläche sich nur

*) Hierin liegt schon, dass die Flächen keine parallelen Kanten haben
dürfen.
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[262/0298] Verwandtschaftsbeziehungen. § 171 ten, deren Summe aber nicht null sein darf, gegeben sind, die harmonische Mitte jedesmal bestimmt ist. — Die letzte Bestimmung in diesen Sätzen, dass nämlich das feste System Q, dem jene har- monischen Mitten eingeordnet sind, selbst als harmonische Mitte erscheint, fehlt in der Poncelet-schen Darstellung, und es bieten daher die hier gefundenen Ausdrucksformen, da die harmonische Mitte nach § 167 leicht konstruirt werden kann, zugleich neue und einfache geometrische Beziehungen dar. § 171. Ich will diese Darstellung mit einer der schönsten Anwendungen schliessen, die sich von der behandelten Wissen- schaft machen lässt, nämlich mit der Anwendung auf die Krystall- gestalten. Doch will ich mich hier auf die Mittheilung der Resul- tate beschränken, indem ich die Ableitung derselben dem Leser überlasse. Bekanntlich stellen die Krystallgestalten jede ein Sy- stem von Ebenen dar, welche ihrer Lage nach veränderlich, ihren Richtungen nach aber konstant sind, d. h. statt jeder Ebene, die an einer Krystallgestalt hervortritt, kann auch die ihr parallele her- vortreten, ohne dass dadurch die Krystallgestalt als solche geändert wird. Die Abhängigkeit, in welcher die Richtungen dieser Ebenen unter einander stehen, können wir vermittelst der durch unsere Wissenschaft festgestellten Begriffe so ausdrücken: „Wenn man vier Flächen eines Krystalles ohne Aenderung ihrer Richtungen so legt, dass sie einen Raum einschliessen *), und die Stücke, welche dadurch von dreien derselben abge- schnitten werden, zu Richtmassen macht, so lässt sich jede andere Fläche des Krystalles als Vielfachensumme dieser Richt- masse rational ausdrücken.“ Darin, dass der Ausdruck ein rationaler ist, liegt, dass die Zeiger sich als rationale Brüche, und also, da es nur auf ihr Verhältniss ankommt, sich als ganze Zahlen darstellen lassen. Hierbei be- merken wir noch, dass im Allgemeinen diejenigen Ebenen am häu- figsten am Krystalle hervorzutreten pflegen, deren Zeiger sich durch die kleinsten ganzen Zahlen ausdrücken lassen, und dass es schon äusserst selten ist, wenn die Zeiger einer Krystallfläche sich nur *) Hierin liegt schon, dass die Flächen keine parallelen Kanten haben dürfen.

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Zitationshilfe: Graßmann, Hermann: Die Wissenschaft der extensiven Grösse oder die Ausdehnungslehre, eine neue mathematische Disciplin. Bd. 1. Leipzig, 1844, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grassmann_ausdehnungslehre_1844/298>, abgerufen am 22.11.2024.