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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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tagsprincip unfreundliche Tendenz auszuschließen. Welche von beiden Ursachen die vor¬
herrschende ist, wollen wir nicht untersuchen. Der Bundestag, so sehr sich auch einzelne
gegründete Einwendungen gegen seine Standpunkte erheben lassen, ist und bleibt im
Ganzen immerhin ein kräftiges organisches Institut zur Verwirklichung der deutschen
Einheit, und Niemand kann es abstreiten, daß er eine große Zukunft in seinem Schooße
trägt.

Zudem steht Frankfurts Verfassung unter der directen Ueberwachung des Bundes¬
tags, und dieser hat sogar auf das Stadtwesen schon Einflüsse ausgeübt, die liberaler
ausgefallen sind, als die Grundsätze der freien Stadt sie zuließen. Wir erinnern an
die Judenangelegenheit, wo es den Bemühungen des Bundestages gelungen ist, die Re¬
stauration des Ghetto zu hintertreiben. Seitdem ist der Sinn Frankfurts gegen die
Juden etwas gerechter geworden. Das pharaonische Gesetz der Ehebeschränkung hat
aufgehört, das Verhältniß der jüdischen Kaufleute zur jüdischen Bevölkerung darf ein
größeres sein, als das der christlichen Kaufleute zur christlichen, aber wie weit entfernt sind
noch alle ihre Verhältnisse von der Vorstellung, die man sich von den Bewohnern einer
Stadt macht, die sich die "freie" nennt. Und doch sind es die Juden keineswegs allein,
welche den Geist der Ausschließung zu fühlen haben. Der Zunftgeist lastet auf ande¬
ren Volksklassen mit noch viel herberem Drucke. Eine andere Klasse Staatsangehöriger,
die Beisassen (d. h. jene, welche nicht das Glück haben, Frankfurter Bollbürger
zu sein), ist so beschränkt, daß sie es kaum zu etwas höherem bringen kann, als zum
Ausläufer und Lohnbedienten, da sie von jedem Betrieb commercieller und gewerblicher,
so wie wissenschaftlicher Thätigkeit, ausgeschlossen sind. Die Bewohner der zu Frankfurt
gehörigen Ortschaften haben zwar einige Spuren staatsbürgerlicher Rechte, jedoch be¬
schränkt genug, um immer noch als Paria's gelten zu können.

Wahrlich, dieß ist eben kein gutes Beispiel, denjenigen gegeben, welche gegen Mu-
nicipalvorrechte und democratische Kraft so gerne zu Felde ziehen. Ohne den Principien
des Bundestages im Mindesten nahe zu treten, könnte Frankfurt ein leuchtendes Vorbild
in Deutschland fein, für Bürgerkraft und öffentlichen Geist, und wie vieles läßt es darin
zu wünschen übrig!

In Bezug auf Oeffentlichkeit war es sogar abermals der Bundestag, der einen, wenn
auch kleinen Anfang machte; die Protokolle der gesetzgebenden Versammlung erscheinen,
wie bekannt, in neuerer Zeit im Druck, allein, da sie nicht in den gewöhnlichen Journalen
abgedruckt, sondern von einer eigenen Expedition besorgt werden, so kann man kaum sa¬
gen, daß sie vor die Augen des Publikums kommen. Welche Bedeutung könnte die hie¬
sige Journalistik erhalten, wenn sie männlich und unabhängig ihrem Berufe folgte. Wir
meinen nicht etwa eine grämliche oder belfernde Oppositionsmacherei, sondern ein conse¬
quentes Festhalten und Verfolgen einer höhern politischen Idee, eines allgemeinen deut¬
schen Interesses. Bei der Verbreitung, welche das Frankfurter Journal und die Oberpost¬
amtszeitung genießen, welche wichtige Hebel könnten beide für die Entwickelung des Na¬
tionallebens und des Nationalbewußtseins werden. Nicht die Talente, nicht der Boden

tagsprincip unfreundliche Tendenz auszuschließen. Welche von beiden Ursachen die vor¬
herrschende ist, wollen wir nicht untersuchen. Der Bundestag, so sehr sich auch einzelne
gegründete Einwendungen gegen seine Standpunkte erheben lassen, ist und bleibt im
Ganzen immerhin ein kräftiges organisches Institut zur Verwirklichung der deutschen
Einheit, und Niemand kann es abstreiten, daß er eine große Zukunft in seinem Schooße
trägt.

Zudem steht Frankfurts Verfassung unter der directen Ueberwachung des Bundes¬
tags, und dieser hat sogar auf das Stadtwesen schon Einflüsse ausgeübt, die liberaler
ausgefallen sind, als die Grundsätze der freien Stadt sie zuließen. Wir erinnern an
die Judenangelegenheit, wo es den Bemühungen des Bundestages gelungen ist, die Re¬
stauration des Ghetto zu hintertreiben. Seitdem ist der Sinn Frankfurts gegen die
Juden etwas gerechter geworden. Das pharaonische Gesetz der Ehebeschränkung hat
aufgehört, das Verhältniß der jüdischen Kaufleute zur jüdischen Bevölkerung darf ein
größeres sein, als das der christlichen Kaufleute zur christlichen, aber wie weit entfernt sind
noch alle ihre Verhältnisse von der Vorstellung, die man sich von den Bewohnern einer
Stadt macht, die sich die „freie“ nennt. Und doch sind es die Juden keineswegs allein,
welche den Geist der Ausschließung zu fühlen haben. Der Zunftgeist lastet auf ande¬
ren Volksklassen mit noch viel herberem Drucke. Eine andere Klasse Staatsangehöriger,
die Beisassen (d. h. jene, welche nicht das Glück haben, Frankfurter Bollbürger
zu sein), ist so beschränkt, daß sie es kaum zu etwas höherem bringen kann, als zum
Ausläufer und Lohnbedienten, da sie von jedem Betrieb commercieller und gewerblicher,
so wie wissenschaftlicher Thätigkeit, ausgeschlossen sind. Die Bewohner der zu Frankfurt
gehörigen Ortschaften haben zwar einige Spuren staatsbürgerlicher Rechte, jedoch be¬
schränkt genug, um immer noch als Paria's gelten zu können.

Wahrlich, dieß ist eben kein gutes Beispiel, denjenigen gegeben, welche gegen Mu-
nicipalvorrechte und democratische Kraft so gerne zu Felde ziehen. Ohne den Principien
des Bundestages im Mindesten nahe zu treten, könnte Frankfurt ein leuchtendes Vorbild
in Deutschland fein, für Bürgerkraft und öffentlichen Geist, und wie vieles läßt es darin
zu wünschen übrig!

In Bezug auf Oeffentlichkeit war es sogar abermals der Bundestag, der einen, wenn
auch kleinen Anfang machte; die Protokolle der gesetzgebenden Versammlung erscheinen,
wie bekannt, in neuerer Zeit im Druck, allein, da sie nicht in den gewöhnlichen Journalen
abgedruckt, sondern von einer eigenen Expedition besorgt werden, so kann man kaum sa¬
gen, daß sie vor die Augen des Publikums kommen. Welche Bedeutung könnte die hie¬
sige Journalistik erhalten, wenn sie männlich und unabhängig ihrem Berufe folgte. Wir
meinen nicht etwa eine grämliche oder belfernde Oppositionsmacherei, sondern ein conse¬
quentes Festhalten und Verfolgen einer höhern politischen Idee, eines allgemeinen deut¬
schen Interesses. Bei der Verbreitung, welche das Frankfurter Journal und die Oberpost¬
amtszeitung genießen, welche wichtige Hebel könnten beide für die Entwickelung des Na¬
tionallebens und des Nationalbewußtseins werden. Nicht die Talente, nicht der Boden

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[98/0106] tagsprincip unfreundliche Tendenz auszuschließen. Welche von beiden Ursachen die vor¬ herrschende ist, wollen wir nicht untersuchen. Der Bundestag, so sehr sich auch einzelne gegründete Einwendungen gegen seine Standpunkte erheben lassen, ist und bleibt im Ganzen immerhin ein kräftiges organisches Institut zur Verwirklichung der deutschen Einheit, und Niemand kann es abstreiten, daß er eine große Zukunft in seinem Schooße trägt. Zudem steht Frankfurts Verfassung unter der directen Ueberwachung des Bundes¬ tags, und dieser hat sogar auf das Stadtwesen schon Einflüsse ausgeübt, die liberaler ausgefallen sind, als die Grundsätze der freien Stadt sie zuließen. Wir erinnern an die Judenangelegenheit, wo es den Bemühungen des Bundestages gelungen ist, die Re¬ stauration des Ghetto zu hintertreiben. Seitdem ist der Sinn Frankfurts gegen die Juden etwas gerechter geworden. Das pharaonische Gesetz der Ehebeschränkung hat aufgehört, das Verhältniß der jüdischen Kaufleute zur jüdischen Bevölkerung darf ein größeres sein, als das der christlichen Kaufleute zur christlichen, aber wie weit entfernt sind noch alle ihre Verhältnisse von der Vorstellung, die man sich von den Bewohnern einer Stadt macht, die sich die „freie“ nennt. Und doch sind es die Juden keineswegs allein, welche den Geist der Ausschließung zu fühlen haben. Der Zunftgeist lastet auf ande¬ ren Volksklassen mit noch viel herberem Drucke. Eine andere Klasse Staatsangehöriger, die Beisassen (d. h. jene, welche nicht das Glück haben, Frankfurter Bollbürger zu sein), ist so beschränkt, daß sie es kaum zu etwas höherem bringen kann, als zum Ausläufer und Lohnbedienten, da sie von jedem Betrieb commercieller und gewerblicher, so wie wissenschaftlicher Thätigkeit, ausgeschlossen sind. Die Bewohner der zu Frankfurt gehörigen Ortschaften haben zwar einige Spuren staatsbürgerlicher Rechte, jedoch be¬ schränkt genug, um immer noch als Paria's gelten zu können. Wahrlich, dieß ist eben kein gutes Beispiel, denjenigen gegeben, welche gegen Mu- nicipalvorrechte und democratische Kraft so gerne zu Felde ziehen. Ohne den Principien des Bundestages im Mindesten nahe zu treten, könnte Frankfurt ein leuchtendes Vorbild in Deutschland fein, für Bürgerkraft und öffentlichen Geist, und wie vieles läßt es darin zu wünschen übrig! In Bezug auf Oeffentlichkeit war es sogar abermals der Bundestag, der einen, wenn auch kleinen Anfang machte; die Protokolle der gesetzgebenden Versammlung erscheinen, wie bekannt, in neuerer Zeit im Druck, allein, da sie nicht in den gewöhnlichen Journalen abgedruckt, sondern von einer eigenen Expedition besorgt werden, so kann man kaum sa¬ gen, daß sie vor die Augen des Publikums kommen. Welche Bedeutung könnte die hie¬ sige Journalistik erhalten, wenn sie männlich und unabhängig ihrem Berufe folgte. Wir meinen nicht etwa eine grämliche oder belfernde Oppositionsmacherei, sondern ein conse¬ quentes Festhalten und Verfolgen einer höhern politischen Idee, eines allgemeinen deut¬ schen Interesses. Bei der Verbreitung, welche das Frankfurter Journal und die Oberpost¬ amtszeitung genießen, welche wichtige Hebel könnten beide für die Entwickelung des Na¬ tionallebens und des Nationalbewußtseins werden. Nicht die Talente, nicht der Boden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/106>, abgerufen am 21.11.2024.