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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Wahrlich eine Erscheinung, wie sie nur die moderne, von tausend und tau¬
send Widersprüchen durchwogte Zeit hervorbringen kann.

Wir sind eben kein Partisan der politischen Ideen, für welche Fürst
Felix Lichnowsky seinen Degen umschnallte, und seine Verehrung für den
"König" Don Carlos findet bei uns so wenig Echo, als sie bei der Mehr¬
zahl der Zeitgenossen finden mag; aber darum können wir doch unsere
Theilnahme einem Manne nicht entziehen, der eine Sache für die er ge¬
fochten, auch nachdem sie schon verloren, mit offenem Wort und freiem
Muthe vertritt.

Lassen wir den Charakteren Gerechtigkeit widerfahren, und zerstören
wir uns nicht die Eindrücke einer ritterlichen Persönlichkeit, weil sie nicht
unter derselben Fahne mit uns steht. Der Schriftsteller Felix Lichnowsky ist
ohnstreitig eine anregende und glänzende Erscheinung. Eine blühende Dar¬
stellung, frische Phantasie, kecker Jugendmuth und ein hervorspringender
Hang zum Abentheuerlichen, Romantischen und Verwegenen sind die Eigen¬
schaften, die seinem Buche Reiz und Anziehungskraft geben. Ein Theil die¬
ser Erinnerungen ist in der allgemeinen Zeitung abgedruckt gewesen, allein
der Verfasser scheint vieles daran geändert zu haben; der journalistische
Stempel ist nirgends heraus zu finden. Vielmehr spricht aus dem Buche
ein Geist der Jugendlichkeit, als der vollständigste Gegensatz jenes diploma¬
tisch oder publizistisch steifen Redetons unserer Journalistik. Auf jeder Seite
sieht man hier einen erregten jungen Mann, der Freude an dem Leben,
an der Natur, an sich selbst hat. In einzelnen Kleinigkeiten kann man sich
sogar des Lächelns nicht enthalten. So z. B. wenn der Verfasser mit nai¬
vem behaglichem Wohlgefallen bei seiner jedesmaligen Toilette verweilt
und nie unterläßt, uns genau die Details derselben zu beschreiben.

"Am 5. Morgens vier Uhr weckte mich die Tochter meines Guiden
mit einer Tasse Chocolade. Dieß war der erste Vorgeschmack spanischer Kost.
Kurz darauf trat er selbst ein, mein neues Costüm unter dem Arme. Ich
fuhr in ein weites Beinkleid von Wollsammet, an der Hüfte durch eine breite
rothe Binde gehalten, zog dicke Buntschuhe, blaue Strümpfe und eine kurze
Jacke von braunem Tuche an und bedeckte mich mit dem berühmten baski-
schen Barette, Boina genannt. Die Boina, zur spanischen Hoftracht im 16.
Jahrhundert gehörig, war mir aus den Gemälden von Velasquez und Ti-
tian bekannt; sie ist seitdem nicht verändert; nun das Feldzeichen der Car-
listen, schien es mir eine Art feierlicher Investitur, als ich sie zuerst auf mein
Haupt drückte. - - -"

"Tags nach meiner Ankunft in Andoain begab ich mich in die Messe;
es war Sonntag den 12. März. Umgeben von Garden und Gefolge, am
Thore von der Geistlichkeit empfangen, trat der König in die Kirche und

Wahrlich eine Erscheinung, wie sie nur die moderne, von tausend und tau¬
send Widersprüchen durchwogte Zeit hervorbringen kann.

Wir sind eben kein Partisan der politischen Ideen, für welche Fürst
Felix Lichnowsky seinen Degen umschnallte, und seine Verehrung für den
„König“ Don Carlos findet bei uns so wenig Echo, als sie bei der Mehr¬
zahl der Zeitgenossen finden mag; aber darum können wir doch unsere
Theilnahme einem Manne nicht entziehen, der eine Sache für die er ge¬
fochten, auch nachdem sie schon verloren, mit offenem Wort und freiem
Muthe vertritt.

Lassen wir den Charakteren Gerechtigkeit widerfahren, und zerstören
wir uns nicht die Eindrücke einer ritterlichen Persönlichkeit, weil sie nicht
unter derselben Fahne mit uns steht. Der Schriftsteller Felix Lichnowsky ist
ohnstreitig eine anregende und glänzende Erscheinung. Eine blühende Dar¬
stellung, frische Phantasie, kecker Jugendmuth und ein hervorspringender
Hang zum Abentheuerlichen, Romantischen und Verwegenen sind die Eigen¬
schaften, die seinem Buche Reiz und Anziehungskraft geben. Ein Theil die¬
ser Erinnerungen ist in der allgemeinen Zeitung abgedruckt gewesen, allein
der Verfasser scheint vieles daran geändert zu haben; der journalistische
Stempel ist nirgends heraus zu finden. Vielmehr spricht aus dem Buche
ein Geist der Jugendlichkeit, als der vollständigste Gegensatz jenes diploma¬
tisch oder publizistisch steifen Redetons unserer Journalistik. Auf jeder Seite
sieht man hier einen erregten jungen Mann, der Freude an dem Leben,
an der Natur, an sich selbst hat. In einzelnen Kleinigkeiten kann man sich
sogar des Lächelns nicht enthalten. So z. B. wenn der Verfasser mit nai¬
vem behaglichem Wohlgefallen bei seiner jedesmaligen Toilette verweilt
und nie unterläßt, uns genau die Details derselben zu beschreiben.

„Am 5. Morgens vier Uhr weckte mich die Tochter meines Guiden
mit einer Tasse Chocolade. Dieß war der erste Vorgeschmack spanischer Kost.
Kurz darauf trat er selbst ein, mein neues Costüm unter dem Arme. Ich
fuhr in ein weites Beinkleid von Wollsammet, an der Hüfte durch eine breite
rothe Binde gehalten, zog dicke Buntschuhe, blaue Strümpfe und eine kurze
Jacke von braunem Tuche an und bedeckte mich mit dem berühmten baski-
schen Barette, Boina genannt. Die Boina, zur spanischen Hoftracht im 16.
Jahrhundert gehörig, war mir aus den Gemälden von Velasquez und Ti-
tian bekannt; sie ist seitdem nicht verändert; nun das Feldzeichen der Car-
listen, schien es mir eine Art feierlicher Investitur, als ich sie zuerst auf mein
Haupt drückte. – – –“

„Tags nach meiner Ankunft in Andoain begab ich mich in die Messe;
es war Sonntag den 12. März. Umgeben von Garden und Gefolge, am
Thore von der Geistlichkeit empfangen, trat der König in die Kirche und

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[120/0128] Wahrlich eine Erscheinung, wie sie nur die moderne, von tausend und tau¬ send Widersprüchen durchwogte Zeit hervorbringen kann. Wir sind eben kein Partisan der politischen Ideen, für welche Fürst Felix Lichnowsky seinen Degen umschnallte, und seine Verehrung für den „König“ Don Carlos findet bei uns so wenig Echo, als sie bei der Mehr¬ zahl der Zeitgenossen finden mag; aber darum können wir doch unsere Theilnahme einem Manne nicht entziehen, der eine Sache für die er ge¬ fochten, auch nachdem sie schon verloren, mit offenem Wort und freiem Muthe vertritt. Lassen wir den Charakteren Gerechtigkeit widerfahren, und zerstören wir uns nicht die Eindrücke einer ritterlichen Persönlichkeit, weil sie nicht unter derselben Fahne mit uns steht. Der Schriftsteller Felix Lichnowsky ist ohnstreitig eine anregende und glänzende Erscheinung. Eine blühende Dar¬ stellung, frische Phantasie, kecker Jugendmuth und ein hervorspringender Hang zum Abentheuerlichen, Romantischen und Verwegenen sind die Eigen¬ schaften, die seinem Buche Reiz und Anziehungskraft geben. Ein Theil die¬ ser Erinnerungen ist in der allgemeinen Zeitung abgedruckt gewesen, allein der Verfasser scheint vieles daran geändert zu haben; der journalistische Stempel ist nirgends heraus zu finden. Vielmehr spricht aus dem Buche ein Geist der Jugendlichkeit, als der vollständigste Gegensatz jenes diploma¬ tisch oder publizistisch steifen Redetons unserer Journalistik. Auf jeder Seite sieht man hier einen erregten jungen Mann, der Freude an dem Leben, an der Natur, an sich selbst hat. In einzelnen Kleinigkeiten kann man sich sogar des Lächelns nicht enthalten. So z. B. wenn der Verfasser mit nai¬ vem behaglichem Wohlgefallen bei seiner jedesmaligen Toilette verweilt und nie unterläßt, uns genau die Details derselben zu beschreiben. „Am 5. Morgens vier Uhr weckte mich die Tochter meines Guiden mit einer Tasse Chocolade. Dieß war der erste Vorgeschmack spanischer Kost. Kurz darauf trat er selbst ein, mein neues Costüm unter dem Arme. Ich fuhr in ein weites Beinkleid von Wollsammet, an der Hüfte durch eine breite rothe Binde gehalten, zog dicke Buntschuhe, blaue Strümpfe und eine kurze Jacke von braunem Tuche an und bedeckte mich mit dem berühmten baski- schen Barette, Boina genannt. Die Boina, zur spanischen Hoftracht im 16. Jahrhundert gehörig, war mir aus den Gemälden von Velasquez und Ti- tian bekannt; sie ist seitdem nicht verändert; nun das Feldzeichen der Car- listen, schien es mir eine Art feierlicher Investitur, als ich sie zuerst auf mein Haupt drückte. – – –“ „Tags nach meiner Ankunft in Andoain begab ich mich in die Messe; es war Sonntag den 12. März. Umgeben von Garden und Gefolge, am Thore von der Geistlichkeit empfangen, trat der König in die Kirche und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/128>, abgerufen am 24.11.2024.