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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Immer trägt jedoch die Vergangenheit Verpflichtungen für die Zukunft in
sich und kein Augenblick des Menschenlebens, der einmal vorbei ist, läßt
sich zurückrufen. Wir verschmähen aus dieser Vergleichung der na¬
türlichen mit der religiösen Familie irgend ein Vertheidigungsmittel für
letztere zu ziehen; denn das Gelübde der Ehegatten steht unter dem Schutze
des Code penal, während das Mönchsgelübde blos unter dem des Ge¬
wissens steht, das heißt: die Unauflöslichkeit der Ehe wird durch äußere Ge¬
walt, die des klösterlichen Bandes nur durch die Freiheit erhalten. Wird
der Mönch des Klosterlebens satt, so kann er gehn. Was hält ihn zurück?
Blos sein Wille, das freiwillige Versprechen, das er jeden Tag
wiederholt, seine standhafte Liebe zu Gott. Es ist wahr, sein Gelübde ist
ein Gesetz, das ihn bindet, aber dies Gesetz hat er selbst gemacht, und
er gehorcht ihm nur so lange, als er will. Selbst ein Gesetz machen
und ihm freiwillig gehorchen -- ist das nicht der höchste Ausdruck der
Freiheit?"

"Wenn das Gelübde schon darum unverletzlich ist, weil es ein seinem
Ursprunge nach freier Act ist, so ist es noch geheiligter durch seine We¬
senheit. Denn von diesem Gesichtspunkte betrachtet, ist es eine in¬
nige Beziehung der Seele zu Gott, ein Act des Glaubens. Wem kann
man es versagen, von freien Stücken in ein Verhältniß zu Gott zutreten?
Das Gelübde ist, wie gesagt, ein Act des Glaubens, wobei die Seele
glaubt, Gott etwas zu versprechen und daß Gott das Versprechen angenom¬
men habe. Man nehme den Glauben hinweg, der doch immer widerrufen
werden kann, und siehe da das Gelübde hört auch auf, den
Menschen zu verpflichten. Ein Act der lauten würde: "Wir Endesunter¬
zeichneten machen unsre Habe gemeinschaftlich, versprechen zusammen zu le¬
ben, so lange es uns gefällt und das Vermögen des Austretenden oder
Sterbenden fällt denen zu, die in der Gemeinschaft bleiben und uns über¬
leben," so wird Niemand gegen die Gültigkeit eines solchen Actes einen Ein¬
wand erheben. Aber wie das eine Wörtchen hinzukommt: "Wir verpflich¬
ten uns gegen Gott" so soll der Vertrag gesetzwidrig sein, weil ein Gedanke
an Gott dabei vorherrschend war! -- -- --"

"Das Gelübde verpflichtet den, der es leistet, zur Armuth, zur Keusch¬
heit, zum Gehorsam; d. h. er soll, so viel an ihm liegt, auf Erden die
heißesten Wünsche der edelsten, aufrichtigsten Menschenfreunde und die kühnsten
Träume begeisterter Politiker verwirklichen! Was wünscht der Mensch,
der seine Nebenmenschen liebt, anders, als daß alle seine Brüder durch
ihre Arbeit ihr tägliches Brod verdienen, dnß die Ehe ihnen nicht Elend
und Schande für ihre Nachkommenschaft bringe und daß eine weise Regie¬
rung ihnen einen Frieden schaffe, den sie nicht mit Sclaverei zu bezahlen

Immer trägt jedoch die Vergangenheit Verpflichtungen für die Zukunft in
sich und kein Augenblick des Menschenlebens, der einmal vorbei ist, läßt
sich zurückrufen. Wir verschmähen aus dieser Vergleichung der na¬
türlichen mit der religiösen Familie irgend ein Vertheidigungsmittel für
letztere zu ziehen; denn das Gelübde der Ehegatten steht unter dem Schutze
des Code penal, während das Mönchsgelübde blos unter dem des Ge¬
wissens steht, das heißt: die Unauflöslichkeit der Ehe wird durch äußere Ge¬
walt, die des klösterlichen Bandes nur durch die Freiheit erhalten. Wird
der Mönch des Klosterlebens satt, so kann er gehn. Was hält ihn zurück?
Blos sein Wille, das freiwillige Versprechen, das er jeden Tag
wiederholt, seine standhafte Liebe zu Gott. Es ist wahr, sein Gelübde ist
ein Gesetz, das ihn bindet, aber dies Gesetz hat er selbst gemacht, und
er gehorcht ihm nur so lange, als er will. Selbst ein Gesetz machen
und ihm freiwillig gehorchen — ist das nicht der höchste Ausdruck der
Freiheit?“

„Wenn das Gelübde schon darum unverletzlich ist, weil es ein seinem
Ursprunge nach freier Act ist, so ist es noch geheiligter durch seine We¬
senheit. Denn von diesem Gesichtspunkte betrachtet, ist es eine in¬
nige Beziehung der Seele zu Gott, ein Act des Glaubens. Wem kann
man es versagen, von freien Stücken in ein Verhältniß zu Gott zutreten?
Das Gelübde ist, wie gesagt, ein Act des Glaubens, wobei die Seele
glaubt, Gott etwas zu versprechen und daß Gott das Versprechen angenom¬
men habe. Man nehme den Glauben hinweg, der doch immer widerrufen
werden kann, und siehe da das Gelübde hört auch auf, den
Menschen zu verpflichten. Ein Act der lauten würde: „Wir Endesunter¬
zeichneten machen unsre Habe gemeinschaftlich, versprechen zusammen zu le¬
ben, so lange es uns gefällt und das Vermögen des Austretenden oder
Sterbenden fällt denen zu, die in der Gemeinschaft bleiben und uns über¬
leben,“ so wird Niemand gegen die Gültigkeit eines solchen Actes einen Ein¬
wand erheben. Aber wie das eine Wörtchen hinzukommt: „Wir verpflich¬
ten uns gegen Gott“ so soll der Vertrag gesetzwidrig sein, weil ein Gedanke
an Gott dabei vorherrschend war! — — —“

„Das Gelübde verpflichtet den, der es leistet, zur Armuth, zur Keusch¬
heit, zum Gehorsam; d. h. er soll, so viel an ihm liegt, auf Erden die
heißesten Wünsche der edelsten, aufrichtigsten Menschenfreunde und die kühnsten
Träume begeisterter Politiker verwirklichen! Was wünscht der Mensch,
der seine Nebenmenschen liebt, anders, als daß alle seine Brüder durch
ihre Arbeit ihr tägliches Brod verdienen, dnß die Ehe ihnen nicht Elend
und Schande für ihre Nachkommenschaft bringe und daß eine weise Regie¬
rung ihnen einen Frieden schaffe, den sie nicht mit Sclaverei zu bezahlen

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[146/0154] Immer trägt jedoch die Vergangenheit Verpflichtungen für die Zukunft in sich und kein Augenblick des Menschenlebens, der einmal vorbei ist, läßt sich zurückrufen. Wir verschmähen aus dieser Vergleichung der na¬ türlichen mit der religiösen Familie irgend ein Vertheidigungsmittel für letztere zu ziehen; denn das Gelübde der Ehegatten steht unter dem Schutze des Code penal, während das Mönchsgelübde blos unter dem des Ge¬ wissens steht, das heißt: die Unauflöslichkeit der Ehe wird durch äußere Ge¬ walt, die des klösterlichen Bandes nur durch die Freiheit erhalten. Wird der Mönch des Klosterlebens satt, so kann er gehn. Was hält ihn zurück? Blos sein Wille, das freiwillige Versprechen, das er jeden Tag wiederholt, seine standhafte Liebe zu Gott. Es ist wahr, sein Gelübde ist ein Gesetz, das ihn bindet, aber dies Gesetz hat er selbst gemacht, und er gehorcht ihm nur so lange, als er will. Selbst ein Gesetz machen und ihm freiwillig gehorchen — ist das nicht der höchste Ausdruck der Freiheit?“ „Wenn das Gelübde schon darum unverletzlich ist, weil es ein seinem Ursprunge nach freier Act ist, so ist es noch geheiligter durch seine We¬ senheit. Denn von diesem Gesichtspunkte betrachtet, ist es eine in¬ nige Beziehung der Seele zu Gott, ein Act des Glaubens. Wem kann man es versagen, von freien Stücken in ein Verhältniß zu Gott zutreten? Das Gelübde ist, wie gesagt, ein Act des Glaubens, wobei die Seele glaubt, Gott etwas zu versprechen und daß Gott das Versprechen angenom¬ men habe. Man nehme den Glauben hinweg, der doch immer widerrufen werden kann, und siehe da das Gelübde hört auch auf, den Menschen zu verpflichten. Ein Act der lauten würde: „Wir Endesunter¬ zeichneten machen unsre Habe gemeinschaftlich, versprechen zusammen zu le¬ ben, so lange es uns gefällt und das Vermögen des Austretenden oder Sterbenden fällt denen zu, die in der Gemeinschaft bleiben und uns über¬ leben,“ so wird Niemand gegen die Gültigkeit eines solchen Actes einen Ein¬ wand erheben. Aber wie das eine Wörtchen hinzukommt: „Wir verpflich¬ ten uns gegen Gott“ so soll der Vertrag gesetzwidrig sein, weil ein Gedanke an Gott dabei vorherrschend war! — — —“ „Das Gelübde verpflichtet den, der es leistet, zur Armuth, zur Keusch¬ heit, zum Gehorsam; d. h. er soll, so viel an ihm liegt, auf Erden die heißesten Wünsche der edelsten, aufrichtigsten Menschenfreunde und die kühnsten Träume begeisterter Politiker verwirklichen! Was wünscht der Mensch, der seine Nebenmenschen liebt, anders, als daß alle seine Brüder durch ihre Arbeit ihr tägliches Brod verdienen, dnß die Ehe ihnen nicht Elend und Schande für ihre Nachkommenschaft bringe und daß eine weise Regie¬ rung ihnen einen Frieden schaffe, den sie nicht mit Sclaverei zu bezahlen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/154>, abgerufen am 21.11.2024.