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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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ses Officiers machte, ließen mich einen Herrn von vorgerücktem Alter und
strengen Zügen erwarten. Wie war ich überrascht, einen jungen freund¬
lichen Mann zu finden, von ohngefähr 34 Jahren, der mit der liebens¬
würdigsten Zuvorkommenheit jene würdige Sicherheit verbindet, die immer
das Kennzeichen überlegener Naturen ist. Nachdem er einen flüchtigen Blick
auf das Papier, welches ich ihm überreichte, geworfen hatte, redete er
mich sogleich Deutsch an. Ich war nicht weniger erstaunt, einen Mann zu
finden, der den reinsten französischen Ausdruck so plötzlich mit dem Deutschen
vertauschte, als ich erfreut war, mein schlechtes Französisch diesem überlegenen
Manne gegenüber nicht brauchen zu müssen, sondern meiner guten flüssigen
Muttersprache mich bedienen zu dürfen. Ich hörte später, daß Herr Major
B**** eben so geläufig das Englische wie das Holländische spricht. Die Ge¬
wandtheit dieses seltenen Officiers in den klassischen Sprachen hatte ich Gelegen¬
heit selbst zu bewundern, da er fast bei jeder Wendung des Gesprächs ein
griechisches oder lateinisches Citat bei der Hand hatte. Und dabei ist die¬
ser Mann, den man mit vollständigem Rechte einen Gelehrten nennen kann,
Kommandant des Geniekorps, also ein geborner Mathematiker! Wahr¬
lich, die belgische Armee kann sich glücklich schätzen, grade auf diesem Po¬
sten von einem solchen Repräsentanten vertreten zu sein, auf diesem Posten,
wo der Zudrang neugieriger Fremden so oft den Kommandanten dem
Reisenden gegenüber bringt. Ein Fremder, der das belgische Heer von
dieser Seite kennen lernt, wird in seiner Heimath gewiß mit Bewunderung
davon erzählen.

Das gastfreundliche Entgegenkommen dieses Herrn machte es mir mög¬
lich, die Citadelle in seiner Begleitung zu besichtigen. Als wir an Ort
und Stelle angekommen waren, und von dem höchsten Standpunkte aus die
Schelde, die mächtige Nebenbuhlerin unseres deutschen Rheines, den stolzen
Strom, der so viel Blut schon getrunken und dennoch mit ruhigem nieder¬
ländischen Phlegma so breit dahinwallt, sahen, da überfiel mich ein leises Zittern.
Unser edler Führer entwickelte uns den ganzen Plan der letzten Belagerung,
jenes unglaublichen Kriegsspieles, das zu Weihnachten im Jahre 1831 das
ruhige Europa aus seinem Schlafe aufstörte, wo die beiden alten Knaben,
die Generale Chasse und Gerard mit einander stritten, wer besser sein Pen¬
sum in der Schule ihres Meisters Napoleon gelernt habe. Herr Major
B**** hatte den Feldzug im Belagerungsheere mitgemacht, und gab uns
über Alles die genauesten Details, indem er uns zugleich mit vielen That¬
sachen bekannt machte, die wohl werth wären, der Geschichte übergeben zu
werden. Ueber den Herzog von Orleans war er des Lobes voll, und sprach
mit Wärme von dem kriegerischen Muth, und doch menschenfreundlichen
Wesen des französischen Thronerben. Es war die erste königliche Weih-

ses Officiers machte, ließen mich einen Herrn von vorgerücktem Alter und
strengen Zügen erwarten. Wie war ich überrascht, einen jungen freund¬
lichen Mann zu finden, von ohngefähr 34 Jahren, der mit der liebens¬
würdigsten Zuvorkommenheit jene würdige Sicherheit verbindet, die immer
das Kennzeichen überlegener Naturen ist. Nachdem er einen flüchtigen Blick
auf das Papier, welches ich ihm überreichte, geworfen hatte, redete er
mich sogleich Deutsch an. Ich war nicht weniger erstaunt, einen Mann zu
finden, der den reinsten französischen Ausdruck so plötzlich mit dem Deutschen
vertauschte, als ich erfreut war, mein schlechtes Französisch diesem überlegenen
Manne gegenüber nicht brauchen zu müssen, sondern meiner guten flüssigen
Muttersprache mich bedienen zu dürfen. Ich hörte später, daß Herr Major
B**** eben so geläufig das Englische wie das Holländische spricht. Die Ge¬
wandtheit dieses seltenen Officiers in den klassischen Sprachen hatte ich Gelegen¬
heit selbst zu bewundern, da er fast bei jeder Wendung des Gesprächs ein
griechisches oder lateinisches Citat bei der Hand hatte. Und dabei ist die¬
ser Mann, den man mit vollständigem Rechte einen Gelehrten nennen kann,
Kommandant des Geniekorps, also ein geborner Mathematiker! Wahr¬
lich, die belgische Armee kann sich glücklich schätzen, grade auf diesem Po¬
sten von einem solchen Repräsentanten vertreten zu sein, auf diesem Posten,
wo der Zudrang neugieriger Fremden so oft den Kommandanten dem
Reisenden gegenüber bringt. Ein Fremder, der das belgische Heer von
dieser Seite kennen lernt, wird in seiner Heimath gewiß mit Bewunderung
davon erzählen.

Das gastfreundliche Entgegenkommen dieses Herrn machte es mir mög¬
lich, die Citadelle in seiner Begleitung zu besichtigen. Als wir an Ort
und Stelle angekommen waren, und von dem höchsten Standpunkte aus die
Schelde, die mächtige Nebenbuhlerin unseres deutschen Rheines, den stolzen
Strom, der so viel Blut schon getrunken und dennoch mit ruhigem nieder¬
ländischen Phlegma so breit dahinwallt, sahen, da überfiel mich ein leises Zittern.
Unser edler Führer entwickelte uns den ganzen Plan der letzten Belagerung,
jenes unglaublichen Kriegsspieles, das zu Weihnachten im Jahre 1831 das
ruhige Europa aus seinem Schlafe aufstörte, wo die beiden alten Knaben,
die Generale Chassé und Gerard mit einander stritten, wer besser sein Pen¬
sum in der Schule ihres Meisters Napoleon gelernt habe. Herr Major
B**** hatte den Feldzug im Belagerungsheere mitgemacht, und gab uns
über Alles die genauesten Details, indem er uns zugleich mit vielen That¬
sachen bekannt machte, die wohl werth wären, der Geschichte übergeben zu
werden. Ueber den Herzog von Orleans war er des Lobes voll, und sprach
mit Wärme von dem kriegerischen Muth, und doch menschenfreundlichen
Wesen des französischen Thronerben. Es war die erste königliche Weih-

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[206/0214] ses Officiers machte, ließen mich einen Herrn von vorgerücktem Alter und strengen Zügen erwarten. Wie war ich überrascht, einen jungen freund¬ lichen Mann zu finden, von ohngefähr 34 Jahren, der mit der liebens¬ würdigsten Zuvorkommenheit jene würdige Sicherheit verbindet, die immer das Kennzeichen überlegener Naturen ist. Nachdem er einen flüchtigen Blick auf das Papier, welches ich ihm überreichte, geworfen hatte, redete er mich sogleich Deutsch an. Ich war nicht weniger erstaunt, einen Mann zu finden, der den reinsten französischen Ausdruck so plötzlich mit dem Deutschen vertauschte, als ich erfreut war, mein schlechtes Französisch diesem überlegenen Manne gegenüber nicht brauchen zu müssen, sondern meiner guten flüssigen Muttersprache mich bedienen zu dürfen. Ich hörte später, daß Herr Major B**** eben so geläufig das Englische wie das Holländische spricht. Die Ge¬ wandtheit dieses seltenen Officiers in den klassischen Sprachen hatte ich Gelegen¬ heit selbst zu bewundern, da er fast bei jeder Wendung des Gesprächs ein griechisches oder lateinisches Citat bei der Hand hatte. Und dabei ist die¬ ser Mann, den man mit vollständigem Rechte einen Gelehrten nennen kann, Kommandant des Geniekorps, also ein geborner Mathematiker! Wahr¬ lich, die belgische Armee kann sich glücklich schätzen, grade auf diesem Po¬ sten von einem solchen Repräsentanten vertreten zu sein, auf diesem Posten, wo der Zudrang neugieriger Fremden so oft den Kommandanten dem Reisenden gegenüber bringt. Ein Fremder, der das belgische Heer von dieser Seite kennen lernt, wird in seiner Heimath gewiß mit Bewunderung davon erzählen. Das gastfreundliche Entgegenkommen dieses Herrn machte es mir mög¬ lich, die Citadelle in seiner Begleitung zu besichtigen. Als wir an Ort und Stelle angekommen waren, und von dem höchsten Standpunkte aus die Schelde, die mächtige Nebenbuhlerin unseres deutschen Rheines, den stolzen Strom, der so viel Blut schon getrunken und dennoch mit ruhigem nieder¬ ländischen Phlegma so breit dahinwallt, sahen, da überfiel mich ein leises Zittern. Unser edler Führer entwickelte uns den ganzen Plan der letzten Belagerung, jenes unglaublichen Kriegsspieles, das zu Weihnachten im Jahre 1831 das ruhige Europa aus seinem Schlafe aufstörte, wo die beiden alten Knaben, die Generale Chassé und Gerard mit einander stritten, wer besser sein Pen¬ sum in der Schule ihres Meisters Napoleon gelernt habe. Herr Major B**** hatte den Feldzug im Belagerungsheere mitgemacht, und gab uns über Alles die genauesten Details, indem er uns zugleich mit vielen That¬ sachen bekannt machte, die wohl werth wären, der Geschichte übergeben zu werden. Ueber den Herzog von Orleans war er des Lobes voll, und sprach mit Wärme von dem kriegerischen Muth, und doch menschenfreundlichen Wesen des französischen Thronerben. Es war die erste königliche Weih-

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Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/214>, abgerufen am 27.05.2024.