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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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großer Herr blicken, der ebenfalls große Ansprüche machte, und zwar in
der Musik, weil es ihm widerfuhr, daß er jede Woche einmal die berühm¬
testen Gesangskünstler zu sich einlud. Dieser Herr wollte nicht als Celebri-
tät, sondern für sein Geld modellirt sein, er verunstaltete also Dantans
Sammlung nicht. Man hatte entdeckt, daß eine von ihm eingereichte Can-
tate, die bei einer Gelegenheit gesungen worden war, und die er als von
sich componirt ausgegeben hatte, für das Conservatoire zur Lösung einer
Preisaufgabe bestimmt war, und die er, um den Ruhm davon zu tragen,
dem Componisten theuer bezahlt hatte. Dantan machte auf das Postament
der Büste ein Liniensystem, das heißt fünf gerollte Striche, setzte den Vio¬
linschlüssel davor, aber -- es folgten keine Noten.

Ich habe schon erwähnt, daß in Dantans Werkstätte keine Ordnung
herrscht, und in der That, ich glaubte dort vielmehr eine Unordnung zu
erblicken, die nach Boileau die Wirkung der Kunst ist. Ich konnte diese
auffallenden und grotesken Gegensätze dem Zufalle nicht zuschreiben. Hier
Alexander Dumas, dessen lange Gestalt von den Namen derjenigen getra¬
gen wird, die ihn als beraubte und verborgene Mitarbeiter in die Höhe
gehoben haben, dort Victor Hugo, dessen ungeheurer Schädel an Dicke
einem Champignon gleicht. Neben Georg IV. von England (denn von seinem
Aufenthalte in London hat Dantan die Chargen aller politischen Charactere
mitgebracht) steht Viennet, Lord Fitz-Clarence begegnet Serres, dem ausge¬
zeichneten Komiker, der in dem Stücke "Robert Macaire" die Rolle des
Bertrand gemacht hat. Madame Poche, macht dem jetzigen König von
Hannover ihre Verbeugung, hier Herr Veron, (der so schrecklich parodirt
ist, daß man den Künstler gebeten hat, diese Charge nicht in den Verkehr
zu bringen) er, erst Apotheker und Erfinder der Pate Ragnauld, dann Direktor der Revue de Paris,
dann Direktor der Oper, dann Gerant
des Constitutionel, und Mitbewerber des Herrn Jaqueminot um die Pa¬
riser Deputirtenstelle, und neben ihm die Gruppe von Levasseur und Nour-
rit, ersterer als Bertram, sein langes, ausgetrocknetes Gesicht nimmt die
Hälfte seiner Gestalt ein, Nourrit als normannischer Ritter, rund wie ein
holländischer Schiffspatron, seine kleinen Arme können kaum einander berüh¬
ren, und seine Glotzaugen stehen beinahe außerhalb des Kopfes. Demoi-
selle Falcon fehlte im Trio -- man weiß warum. Dantan gab den oft
wiederholten Bitten der verstorbenen Malibran nach, und willigte mit Be¬
dauern ein, die Carricatur ihres poetischen und ausdrucksvollen Antlitzes zu
machen. Als das Werk vollendet war, weinte die Arme vor Entsetzen bei
der Entdeckung, daß die Principien von so großer Häßlichkeit aus ihren
Zügen sich herausfinden lassen. Damals nahm sich Dantan fest vor, keine
Dame mehr zu carricaturisiren, und er hat zu seiner Ehre Wort gehalten.

großer Herr blicken, der ebenfalls große Ansprüche machte, und zwar in
der Musik, weil es ihm widerfuhr, daß er jede Woche einmal die berühm¬
testen Gesangskünstler zu sich einlud. Dieser Herr wollte nicht als Celebri-
tät, sondern für sein Geld modellirt sein, er verunstaltete also Dantans
Sammlung nicht. Man hatte entdeckt, daß eine von ihm eingereichte Can-
tate, die bei einer Gelegenheit gesungen worden war, und die er als von
sich componirt ausgegeben hatte, für das Conservatoire zur Lösung einer
Preisaufgabe bestimmt war, und die er, um den Ruhm davon zu tragen,
dem Componisten theuer bezahlt hatte. Dantan machte auf das Postament
der Büste ein Liniensystem, das heißt fünf gerollte Striche, setzte den Vio¬
linschlüssel davor, aber — es folgten keine Noten.

Ich habe schon erwähnt, daß in Dantans Werkstätte keine Ordnung
herrscht, und in der That, ich glaubte dort vielmehr eine Unordnung zu
erblicken, die nach Boileau die Wirkung der Kunst ist. Ich konnte diese
auffallenden und grotesken Gegensätze dem Zufalle nicht zuschreiben. Hier
Alexander Dumas, dessen lange Gestalt von den Namen derjenigen getra¬
gen wird, die ihn als beraubte und verborgene Mitarbeiter in die Höhe
gehoben haben, dort Victor Hugo, dessen ungeheurer Schädel an Dicke
einem Champignon gleicht. Neben Georg IV. von England (denn von seinem
Aufenthalte in London hat Dantan die Chargen aller politischen Charactere
mitgebracht) steht Viennet, Lord Fitz-Clarence begegnet Serres, dem ausge¬
zeichneten Komiker, der in dem Stücke „Robert Macaire“ die Rolle des
Bertrand gemacht hat. Madame Poche, macht dem jetzigen König von
Hannover ihre Verbeugung, hier Herr Veron, (der so schrecklich parodirt
ist, daß man den Künstler gebeten hat, diese Charge nicht in den Verkehr
zu bringen) er, erst Apotheker und Erfinder der Pâte Ragnauld, dann Direktor der Revue de Paris,
dann Direktor der Oper, dann Gerant
des Constitutionel, und Mitbewerber des Herrn Jaqueminot um die Pa¬
riser Deputirtenstelle, und neben ihm die Gruppe von Levasseur und Nour-
rit, ersterer als Bertram, sein langes, ausgetrocknetes Gesicht nimmt die
Hälfte seiner Gestalt ein, Nourrit als normannischer Ritter, rund wie ein
holländischer Schiffspatron, seine kleinen Arme können kaum einander berüh¬
ren, und seine Glotzaugen stehen beinahe außerhalb des Kopfes. Demoi-
selle Falcon fehlte im Trio — man weiß warum. Dantan gab den oft
wiederholten Bitten der verstorbenen Malibran nach, und willigte mit Be¬
dauern ein, die Carricatur ihres poetischen und ausdrucksvollen Antlitzes zu
machen. Als das Werk vollendet war, weinte die Arme vor Entsetzen bei
der Entdeckung, daß die Principien von so großer Häßlichkeit aus ihren
Zügen sich herausfinden lassen. Damals nahm sich Dantan fest vor, keine
Dame mehr zu carricaturisiren, und er hat zu seiner Ehre Wort gehalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/238>, abgerufen am 21.11.2024.