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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Idiopathische und sympathische Entstehung.
wirkenden Einflüssen -- Erschütterung, Verwundung, Ueberan-
strengung des Gehirns und des ganzen Nervensystems, Narcotica,
psychische Ueberreizung durch Affecte und dergleichen; sodann eine
(deuteropathische) Entstehung der Gehirnkrankheit in Folge ander-
weitiger, im Organismus vorgegangener krankhafter Veränderungen,
durch welche die Gehirnfunctionen beeinträchtigt werden. Diese
Krankheitszustände nun scheinen auf das Gehirn hauptsächlich wieder
in zweierlei Weise zu wirken, einmal indem sie habituelle Gehirn-
hyperämieen erzeugen oder begünstigen (z. B. die Herzkrankheiten),
zweitens durch nervöse Reizung des Gehirns, welche man sich kaum
anders als durch Mittheilung und Uebertragung eines peripherischen
Irritationszustandes einzelner Nervenparthieen auf das Centralorgan
geschehend vorstellen kann (peripherische Nervenverletzung, Einfluss
der Sexualorgane etc.). Als eine dritte Categorie möchte sich hieran
die mangelhafte Ernährung und Erregung des Gehirns durch eine
dyscrasische Blutmischung anschliessen (anämische Zustände).

Dennoch lässt sich der Unterschied einer protopathischen und deuteropathischen
Entstehung des Irreseins für die concreten Fälle nicht durchführen. Sowohl dess-
wegen nicht, weil gewöhnlich mehrere schädliche Einflüsse, die auf verschiedene
Weise einwirken, zusammentreffen, als darum nicht, weil einzelne ätiologische
Momente, namentlich die so wichtigen depressiven Affecte, nicht nur in ver-
schiedenen Fällen, sondern auch gleichzeitig in demselben Individuum theils
primitiv theils aber auch durch Setzung weiterer chronischer Veränderungen
in anderen Organen, und allgemeine Zerrüttung der Constitution, wieder secundär
auf einem Umwege das Gehirn beeinträchtigen können. Hiemit ist auch schon
ausgesprochen, dass alles, was nervöse Reizung des Gehirns und alles, was
Hyperämie in der Schädelhöhle zu erzeugen im Stande ist, auch ein Moment zur
Entstehung des Irreseins werden kann. Ausserdem aber sind noch alle die Um-
stände, unter denen Nutritionsanomalieen des Gehirns (auch ohne zu Grunde liegende
Hyperämie) sich bilden (z. B. Atrophie, Tuberculose), als wichtige Ursachen an-
zusehen. Bei Betrachtung der einzelnen Classen ätiologischer Momente ist die
Wirkungsweise derselben näher anzugeben; wir behalten bei ihrer Aufzählung
die gebräuchliche Eintheilung in prädisponirende Momente und in eigentliche
Ursachen (nicht ganz richtig erregende oder Gelegenheitsursachen) bei, ungeachtet
einzelne der zu erwähnenden Einflüsse (z. B. Menstruationsstörungen, psychische
Einflüsse) bald disponirend, bald erregend wirken können. Was dieser ganzen
Eintheilung, die indessen die bequemste Uebersicht gewährt, an wissenschaftlicher
Schärfe abgeht, kann durch Sorgfalt in der Einzel-Analyse ersetzt werden.


Idiopathische und sympathische Entstehung.
wirkenden Einflüssen — Erschütterung, Verwundung, Ueberan-
strengung des Gehirns und des ganzen Nervensystems, Narcotica,
psychische Ueberreizung durch Affecte und dergleichen; sodann eine
(deuteropathische) Entstehung der Gehirnkrankheit in Folge ander-
weitiger, im Organismus vorgegangener krankhafter Veränderungen,
durch welche die Gehirnfunctionen beeinträchtigt werden. Diese
Krankheitszustände nun scheinen auf das Gehirn hauptsächlich wieder
in zweierlei Weise zu wirken, einmal indem sie habituelle Gehirn-
hyperämieen erzeugen oder begünstigen (z. B. die Herzkrankheiten),
zweitens durch nervöse Reizung des Gehirns, welche man sich kaum
anders als durch Mittheilung und Uebertragung eines peripherischen
Irritationszustandes einzelner Nervenparthieen auf das Centralorgan
geschehend vorstellen kann (peripherische Nervenverletzung, Einfluss
der Sexualorgane etc.). Als eine dritte Categorie möchte sich hieran
die mangelhafte Ernährung und Erregung des Gehirns durch eine
dyscrasische Blutmischung anschliessen (anämische Zustände).

Dennoch lässt sich der Unterschied einer protopathischen und deuteropathischen
Entstehung des Irreseins für die concreten Fälle nicht durchführen. Sowohl dess-
wegen nicht, weil gewöhnlich mehrere schädliche Einflüsse, die auf verschiedene
Weise einwirken, zusammentreffen, als darum nicht, weil einzelne ätiologische
Momente, namentlich die so wichtigen depressiven Affecte, nicht nur in ver-
schiedenen Fällen, sondern auch gleichzeitig in demselben Individuum theils
primitiv theils aber auch durch Setzung weiterer chronischer Veränderungen
in anderen Organen, und allgemeine Zerrüttung der Constitution, wieder secundär
auf einem Umwege das Gehirn beeinträchtigen können. Hiemit ist auch schon
ausgesprochen, dass alles, was nervöse Reizung des Gehirns und alles, was
Hyperämie in der Schädelhöhle zu erzeugen im Stande ist, auch ein Moment zur
Entstehung des Irreseins werden kann. Ausserdem aber sind noch alle die Um-
stände, unter denen Nutritionsanomalieen des Gehirns (auch ohne zu Grunde liegende
Hyperämie) sich bilden (z. B. Atrophie, Tuberculose), als wichtige Ursachen an-
zusehen. Bei Betrachtung der einzelnen Classen ätiologischer Momente ist die
Wirkungsweise derselben näher anzugeben; wir behalten bei ihrer Aufzählung
die gebräuchliche Eintheilung in prädisponirende Momente und in eigentliche
Ursachen (nicht ganz richtig erregende oder Gelegenheitsursachen) bei, ungeachtet
einzelne der zu erwähnenden Einflüsse (z. B. Menstruationsstörungen, psychische
Einflüsse) bald disponirend, bald erregend wirken können. Was dieser ganzen
Eintheilung, die indessen die bequemste Uebersicht gewährt, an wissenschaftlicher
Schärfe abgeht, kann durch Sorgfalt in der Einzel-Analyse ersetzt werden.


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[100/0114] Idiopathische und sympathische Entstehung. wirkenden Einflüssen — Erschütterung, Verwundung, Ueberan- strengung des Gehirns und des ganzen Nervensystems, Narcotica, psychische Ueberreizung durch Affecte und dergleichen; sodann eine (deuteropathische) Entstehung der Gehirnkrankheit in Folge ander- weitiger, im Organismus vorgegangener krankhafter Veränderungen, durch welche die Gehirnfunctionen beeinträchtigt werden. Diese Krankheitszustände nun scheinen auf das Gehirn hauptsächlich wieder in zweierlei Weise zu wirken, einmal indem sie habituelle Gehirn- hyperämieen erzeugen oder begünstigen (z. B. die Herzkrankheiten), zweitens durch nervöse Reizung des Gehirns, welche man sich kaum anders als durch Mittheilung und Uebertragung eines peripherischen Irritationszustandes einzelner Nervenparthieen auf das Centralorgan geschehend vorstellen kann (peripherische Nervenverletzung, Einfluss der Sexualorgane etc.). Als eine dritte Categorie möchte sich hieran die mangelhafte Ernährung und Erregung des Gehirns durch eine dyscrasische Blutmischung anschliessen (anämische Zustände). Dennoch lässt sich der Unterschied einer protopathischen und deuteropathischen Entstehung des Irreseins für die concreten Fälle nicht durchführen. Sowohl dess- wegen nicht, weil gewöhnlich mehrere schädliche Einflüsse, die auf verschiedene Weise einwirken, zusammentreffen, als darum nicht, weil einzelne ätiologische Momente, namentlich die so wichtigen depressiven Affecte, nicht nur in ver- schiedenen Fällen, sondern auch gleichzeitig in demselben Individuum theils primitiv theils aber auch durch Setzung weiterer chronischer Veränderungen in anderen Organen, und allgemeine Zerrüttung der Constitution, wieder secundär auf einem Umwege das Gehirn beeinträchtigen können. Hiemit ist auch schon ausgesprochen, dass alles, was nervöse Reizung des Gehirns und alles, was Hyperämie in der Schädelhöhle zu erzeugen im Stande ist, auch ein Moment zur Entstehung des Irreseins werden kann. Ausserdem aber sind noch alle die Um- stände, unter denen Nutritionsanomalieen des Gehirns (auch ohne zu Grunde liegende Hyperämie) sich bilden (z. B. Atrophie, Tuberculose), als wichtige Ursachen an- zusehen. Bei Betrachtung der einzelnen Classen ätiologischer Momente ist die Wirkungsweise derselben näher anzugeben; wir behalten bei ihrer Aufzählung die gebräuchliche Eintheilung in prädisponirende Momente und in eigentliche Ursachen (nicht ganz richtig erregende oder Gelegenheitsursachen) bei, ungeachtet einzelne der zu erwähnenden Einflüsse (z. B. Menstruationsstörungen, psychische Einflüsse) bald disponirend, bald erregend wirken können. Was dieser ganzen Eintheilung, die indessen die bequemste Uebersicht gewährt, an wissenschaftlicher Schärfe abgeht, kann durch Sorgfalt in der Einzel-Analyse ersetzt werden.

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/114>, abgerufen am 21.11.2024.