Einströmen, von Hitze etc.), ohne auf das Irresein einen schnellen günstigen Erfolg zu äussern.
Beim weiblichen Geschlechte übt die Menstruation und jede Art ihrer Störung grossen Einfluss auf die Ausbildung und den Verlauf der Geisteskrankheiten aus. Die einfachsten, aber auch sel- tensten Fälle sind die, wo bei zuvor gesunden Personen nach einer schnellen Cessation oder Unterdrückung der Periode acute leb- hafte Gehirnhyperämie entsteht und unmittelbar damit Geistesver- wirrung ausbricht. Viel häufiger geht zwar allerdings eine Stockung der Menses dem Irresein voraus, steht aber mit diesem in keinem so directen Verhältnisse, sondern ist selbst als Folge der anhalten- den Gemüthsdepression, als Theilerscheinung eines bestehenden anä- mischen Zustands, einer andern chronischen Krankheit oder überhaupt einer Verschlechterung der Constitution zu betrachten, und diese Ver- hältnisse stellen an sich schon wichtigere Ursachen dar, als die Meno- stasie. Ebenso kann der zu profuse Monatsfluss durch Anämie und allgemeine Herabsetzung der Ernährung zur Ursache des Irreseins, wie jeder andern Neurose werden. -- Häufig aber zeigen sich Un- regelmässigkeiten der Menstruation erst mit dem Beginn des Irreseins so gut als sie in jeder andern chronischen Krankheit eintreten können, wie man denn auch bei der Genesung vom Irresein so oft beobachten kann, dass dieselbe nicht auf den Wiedereintritt der Periode, sondern dass umgekehrt die Rückkehr der Menstruation auf die bereits zu- standegekommene Beseitigung des Gehirnleidens folgt. Dauert die Menstruation während der Geisteskrankheit fort, was oft ohne die geringste Störung der Fall ist, so wird nicht selten bei ihrem jedes- maligen Eintritt vermehrte Exaltation, überhaupt allseitige Steigerung der Geistesstörung beobachtet. In seltenen Fällen hat man nur perio- disches Irresein während der Menstruation jedesmal mit mehrwöchent- lichen vollständigem lucidum intervallum beobachtet.
Die Localkrankheiten des uterus, der ovarien, der vagina (Cysten und andern Desorganisationen, chronische Entzündungen etc.) haben gewöhnlich erst in Folge ausgebildeter Hysterie ein aus dieser allmählig entwickeltes Irresein zur Folge, das oft in seinem allge- meinen Character (Ueberspanntheit zärtlicher Gefühle, Sentimentalität, Lascivität) oder in einzelnen falschen Gedankenbildungen (z. B. dem Wahn, schwanger zu sein) deutlich auf seinen Ursprung hinweist.
Krankheitsursachen aus
Einströmen, von Hitze etc.), ohne auf das Irresein einen schnellen günstigen Erfolg zu äussern.
Beim weiblichen Geschlechte übt die Menstruation und jede Art ihrer Störung grossen Einfluss auf die Ausbildung und den Verlauf der Geisteskrankheiten aus. Die einfachsten, aber auch sel- tensten Fälle sind die, wo bei zuvor gesunden Personen nach einer schnellen Cessation oder Unterdrückung der Periode acute leb- hafte Gehirnhyperämie entsteht und unmittelbar damit Geistesver- wirrung ausbricht. Viel häufiger geht zwar allerdings eine Stockung der Menses dem Irresein voraus, steht aber mit diesem in keinem so directen Verhältnisse, sondern ist selbst als Folge der anhalten- den Gemüthsdepression, als Theilerscheinung eines bestehenden anä- mischen Zustands, einer andern chronischen Krankheit oder überhaupt einer Verschlechterung der Constitution zu betrachten, und diese Ver- hältnisse stellen an sich schon wichtigere Ursachen dar, als die Meno- stasie. Ebenso kann der zu profuse Monatsfluss durch Anämie und allgemeine Herabsetzung der Ernährung zur Ursache des Irreseins, wie jeder andern Neurose werden. — Häufig aber zeigen sich Un- regelmässigkeiten der Menstruation erst mit dem Beginn des Irreseins so gut als sie in jeder andern chronischen Krankheit eintreten können, wie man denn auch bei der Genesung vom Irresein so oft beobachten kann, dass dieselbe nicht auf den Wiedereintritt der Periode, sondern dass umgekehrt die Rückkehr der Menstruation auf die bereits zu- standegekommene Beseitigung des Gehirnleidens folgt. Dauert die Menstruation während der Geisteskrankheit fort, was oft ohne die geringste Störung der Fall ist, so wird nicht selten bei ihrem jedes- maligen Eintritt vermehrte Exaltation, überhaupt allseitige Steigerung der Geistesstörung beobachtet. In seltenen Fällen hat man nur perio- disches Irresein während der Menstruation jedesmal mit mehrwöchent- lichen vollständigem lucidum intervallum beobachtet.
Die Localkrankheiten des uterus, der ovarien, der vagina (Cysten und andern Desorganisationen, chronische Entzündungen etc.) haben gewöhnlich erst in Folge ausgebildeter Hysterie ein aus dieser allmählig entwickeltes Irresein zur Folge, das oft in seinem allge- meinen Character (Ueberspanntheit zärtlicher Gefühle, Sentimentalität, Lascivität) oder in einzelnen falschen Gedankenbildungen (z. B. dem Wahn, schwanger zu sein) deutlich auf seinen Ursprung hinweist.
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Krankheitsursachen aus
Einströmen, von Hitze etc.), ohne auf das Irresein einen schnellen günstigen
Erfolg zu äussern.
Beim weiblichen Geschlechte übt die Menstruation und
jede Art ihrer Störung grossen Einfluss auf die Ausbildung und den
Verlauf der Geisteskrankheiten aus. Die einfachsten, aber auch sel-
tensten Fälle sind die, wo bei zuvor gesunden Personen nach
einer schnellen Cessation oder Unterdrückung der Periode acute leb-
hafte Gehirnhyperämie entsteht und unmittelbar damit Geistesver-
wirrung ausbricht. Viel häufiger geht zwar allerdings eine Stockung
der Menses dem Irresein voraus, steht aber mit diesem in keinem
so directen Verhältnisse, sondern ist selbst als Folge der anhalten-
den Gemüthsdepression, als Theilerscheinung eines bestehenden anä-
mischen Zustands, einer andern chronischen Krankheit oder überhaupt
einer Verschlechterung der Constitution zu betrachten, und diese Ver-
hältnisse stellen an sich schon wichtigere Ursachen dar, als die Meno-
stasie. Ebenso kann der zu profuse Monatsfluss durch Anämie und
allgemeine Herabsetzung der Ernährung zur Ursache des Irreseins,
wie jeder andern Neurose werden. — Häufig aber zeigen sich Un-
regelmässigkeiten der Menstruation erst mit dem Beginn des Irreseins
so gut als sie in jeder andern chronischen Krankheit eintreten können,
wie man denn auch bei der Genesung vom Irresein so oft beobachten
kann, dass dieselbe nicht auf den Wiedereintritt der Periode, sondern
dass umgekehrt die Rückkehr der Menstruation auf die bereits zu-
standegekommene Beseitigung des Gehirnleidens folgt. Dauert die
Menstruation während der Geisteskrankheit fort, was oft ohne die
geringste Störung der Fall ist, so wird nicht selten bei ihrem jedes-
maligen Eintritt vermehrte Exaltation, überhaupt allseitige Steigerung
der Geistesstörung beobachtet. In seltenen Fällen hat man nur perio-
disches Irresein während der Menstruation jedesmal mit mehrwöchent-
lichen vollständigem lucidum intervallum beobachtet.
Die Localkrankheiten des uterus, der ovarien, der vagina
(Cysten und andern Desorganisationen, chronische Entzündungen etc.)
haben gewöhnlich erst in Folge ausgebildeter Hysterie ein aus dieser
allmählig entwickeltes Irresein zur Folge, das oft in seinem allge-
meinen Character (Ueberspanntheit zärtlicher Gefühle, Sentimentalität,
Lascivität) oder in einzelnen falschen Gedankenbildungen (z. B. dem
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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/160>, abgerufen am 21.11.2024.
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