dauern niemals länger als einige Stunden oder einen Tag, und man hat sich nur in gerichtlicher Beziehung ihr wirkliches Vorkommen zu merken.
Unter den später, aber immer noch am liebsten in den ersten 14 Tagen nach der Geburt, ausbrechenden Seelenstörungen sind nun die einen als das symptomatische Delirium anderer, schwerer Puerperalkrankheiten, namentlich der Endometritis, der Phlebitis und Pyämie, der consecutiven Endocarditis (Kiwisch) etc. zu betrachten -- Fälle, bei denen die Gehirnaffection theils dem übeln Einflusse des eitriginficirten Blutes, theils deutlicher Kopfcongestion zugeschrieben werden muss, wo die Seelenstörung zwar zunächst die (bedenkliche) Prognose der Hauptkrankheit theilt, im Ganzen mit dieser steht oder fällt, aber doch in einzelnen Fällen, bei erfolgender Genesung von dem Kindbettfieber, längere Zeit fortdauern kann.
In einer weiteren Reihe von Fällen dagegen entwickelt sich ein Irresein ohne anderweitige, schwere Puerperalkrankheit, ein von Anfang an selbständiges Gehirnleiden, entweder in Form der Schwermuth, namentlich des Raptus melancholicus, oder, besonders wenn schon in der Schwangerschaft ein psychischer Depressionszustand vorausgegangen, sogleich in der Form der heitern Aufregung und häufig der nympho- manischen Ausgelassenheit. Diess hauptsächlich sind die Fälle, die später zu einem dauernden Irresein von übrigens im Ganzen nicht ungünstiger Prognose werden. Sie kommen vorzugsweise bei schon prädisponirten Individuen vor, unter dem Einflusse aller möglichen determinirender Ursachen, von denen die widrigen Gemüthsaffecte *) einerseits, die Anämie durch starke Säfteverluste bei der Geburt, durch Operationen etc. andrerseits offenbar die wichtigsten sind.
Vgl. Esquirol, die Geisteskrankheiten. I. cap. 5. Schneider, über Mania lactea, in Nasses Zeitschr. für Anthrop. 1823. p. 163. Neumann, Krankheiten des Vorstellungsvermögens. 1822. cap. 14. Kiwisch v. Rotterau, die Krankheiten der Wöchnerinnen. II. 1841. p. 228. Helm, Monographie der Puerperalkrankheiten. 1840. §. 28. 46. 53. 75. Sinogowitz, die Geistesstörungen. 1843. §. 25.
Was endlich die Lactation betrifft, so ist die Schwächung der Constitution durch ein zu langes Säugen als Ursache der ver- schiedensten schweren Neurosen (Spinalirritationen) in allen mög- lichen Formen anerkannt, und es sind nun namentlich tiefere oder anhaltende Gemüthsbewegungen, psychische Prädisposition etc, unter
*) Vgl. Esquirol, I. p. 141--142.
Wochenbett und Lactation als Ursachen.
dauern niemals länger als einige Stunden oder einen Tag, und man hat sich nur in gerichtlicher Beziehung ihr wirkliches Vorkommen zu merken.
Unter den später, aber immer noch am liebsten in den ersten 14 Tagen nach der Geburt, ausbrechenden Seelenstörungen sind nun die einen als das symptomatische Delirium anderer, schwerer Puerperalkrankheiten, namentlich der Endometritis, der Phlebitis und Pyämie, der consecutiven Endocarditis (Kiwisch) etc. zu betrachten — Fälle, bei denen die Gehirnaffection theils dem übeln Einflusse des eitriginficirten Blutes, theils deutlicher Kopfcongestion zugeschrieben werden muss, wo die Seelenstörung zwar zunächst die (bedenkliche) Prognose der Hauptkrankheit theilt, im Ganzen mit dieser steht oder fällt, aber doch in einzelnen Fällen, bei erfolgender Genesung von dem Kindbettfieber, längere Zeit fortdauern kann.
In einer weiteren Reihe von Fällen dagegen entwickelt sich ein Irresein ohne anderweitige, schwere Puerperalkrankheit, ein von Anfang an selbständiges Gehirnleiden, entweder in Form der Schwermuth, namentlich des Raptus melancholicus, oder, besonders wenn schon in der Schwangerschaft ein psychischer Depressionszustand vorausgegangen, sogleich in der Form der heitern Aufregung und häufig der nympho- manischen Ausgelassenheit. Diess hauptsächlich sind die Fälle, die später zu einem dauernden Irresein von übrigens im Ganzen nicht ungünstiger Prognose werden. Sie kommen vorzugsweise bei schon prädisponirten Individuen vor, unter dem Einflusse aller möglichen determinirender Ursachen, von denen die widrigen Gemüthsaffecte *) einerseits, die Anämie durch starke Säfteverluste bei der Geburt, durch Operationen etc. andrerseits offenbar die wichtigsten sind.
Vgl. Esquirol, die Geisteskrankheiten. I. cap. 5. Schneider, über Mania lactea, in Nasses Zeitschr. für Anthrop. 1823. p. 163. Neumann, Krankheiten des Vorstellungsvermögens. 1822. cap. 14. Kiwisch v. Rotterau, die Krankheiten der Wöchnerinnen. II. 1841. p. 228. Helm, Monographie der Puerperalkrankheiten. 1840. §. 28. 46. 53. 75. Sinogowitz, die Geistesstörungen. 1843. §. 25.
Was endlich die Lactation betrifft, so ist die Schwächung der Constitution durch ein zu langes Säugen als Ursache der ver- schiedensten schweren Neurosen (Spinalirritationen) in allen mög- lichen Formen anerkannt, und es sind nun namentlich tiefere oder anhaltende Gemüthsbewegungen, psychische Prädisposition etc, unter
*) Vgl. Esquirol, I. p. 141—142.
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Wochenbett und Lactation als Ursachen.
dauern niemals länger als einige Stunden oder einen Tag, und man
hat sich nur in gerichtlicher Beziehung ihr wirkliches Vorkommen
zu merken.
Unter den später, aber immer noch am liebsten in den ersten
14 Tagen nach der Geburt, ausbrechenden Seelenstörungen sind
nun die einen als das symptomatische Delirium anderer, schwerer
Puerperalkrankheiten, namentlich der Endometritis, der Phlebitis und
Pyämie, der consecutiven Endocarditis (Kiwisch) etc. zu betrachten —
Fälle, bei denen die Gehirnaffection theils dem übeln Einflusse des
eitriginficirten Blutes, theils deutlicher Kopfcongestion zugeschrieben
werden muss, wo die Seelenstörung zwar zunächst die (bedenkliche)
Prognose der Hauptkrankheit theilt, im Ganzen mit dieser steht oder
fällt, aber doch in einzelnen Fällen, bei erfolgender Genesung von
dem Kindbettfieber, längere Zeit fortdauern kann.
In einer weiteren Reihe von Fällen dagegen entwickelt sich ein
Irresein ohne anderweitige, schwere Puerperalkrankheit, ein von Anfang
an selbständiges Gehirnleiden, entweder in Form der Schwermuth,
namentlich des Raptus melancholicus, oder, besonders wenn schon in
der Schwangerschaft ein psychischer Depressionszustand vorausgegangen,
sogleich in der Form der heitern Aufregung und häufig der nympho-
manischen Ausgelassenheit. Diess hauptsächlich sind die Fälle, die
später zu einem dauernden Irresein von übrigens im Ganzen nicht
ungünstiger Prognose werden. Sie kommen vorzugsweise bei schon
prädisponirten Individuen vor, unter dem Einflusse aller möglichen
determinirender Ursachen, von denen die widrigen Gemüthsaffecte *)
einerseits, die Anämie durch starke Säfteverluste bei der Geburt,
durch Operationen etc. andrerseits offenbar die wichtigsten sind.
Vgl. Esquirol, die Geisteskrankheiten. I. cap. 5. Schneider, über Mania
lactea, in Nasses Zeitschr. für Anthrop. 1823. p. 163. Neumann, Krankheiten
des Vorstellungsvermögens. 1822. cap. 14. Kiwisch v. Rotterau, die Krankheiten der
Wöchnerinnen. II. 1841. p. 228. Helm, Monographie der Puerperalkrankheiten.
1840. §. 28. 46. 53. 75. Sinogowitz, die Geistesstörungen. 1843. §. 25.
Was endlich die Lactation betrifft, so ist die Schwächung
der Constitution durch ein zu langes Säugen als Ursache der ver-
schiedensten schweren Neurosen (Spinalirritationen) in allen mög-
lichen Formen anerkannt, und es sind nun namentlich tiefere oder
anhaltende Gemüthsbewegungen, psychische Prädisposition etc, unter
*) Vgl. Esquirol, I. p. 141—142.
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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/162>, abgerufen am 16.02.2025.
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