Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.Beispiele von Selbstmordtrieb. werde. Als er sich endlich etwas von dieser Angst erholt hatte, hörte er einesTags einen Schuss fallen, worüber er heftig erschrak, weil er glaubte, dass sich jemand entleibt habe. An dem nämlichen Abend erfuhr er, dass in der Nachbarschaft jemand sich den Hals abgeschnitten habe. Seine Angst erreichte nun wieder einen hohen Grad, so dass er des Nachts nicht schlafen konnte, indem er stets daran dachte, wie der Selbstmörder zu seiner That gekommen sei, welche Theile des Körpers er durchschnitten habe. Vergeblich bemühte er sich diese Vorstellungen zu verbannen, welche durch die entfernteste Ver- anlassung aufs Neue hervorgerufen wurden, z. B. durch einige kopflose Bild- säulen im königlichen Museum, welche ihm das Bild von Enthaupteten vorspie- gelten. Wenn er ein Messer liegen sah, war es ihm, als müsse er sich den Hals abschneiden, trotz seines Abscheues davor und seiner Liebe zum Leben. Hatte er ein Messer in der Hand, so zitterte er, warf es weg, oder legte es unter den Teller, um es nicht zu sehen. Unaufhörlich dachte er an gewaltsame Todesarten; sah er einen Strick, so kam ihm der Gedanke des Erhängens in den Sinn; ging er über eine Brücke, so war es ihm, als müsste er ins Wasser springen, daher er sie nie am Geländer, sondern in der Mitte mit schnellem Laufe passirte, um nicht bei langsamen Gehen wider Willen fortgerissen zu werden; stand er an einem Fenster, so fühlte er einen Antrieb hinauszuspringen und wich voll Entsetzen zurück. Man rieth ihm Messer und Pistolen zu ergreifen, um sich an den Anblick zu gewöhnen, aber er konnte es vor Angst nicht über sich gewinnen. Nachdem die Angst ihn lange gefoltert hatte und zuletzt auf den höchsten Grad gestiegen war, willigte er selbst gerne ein, sich in die Charite aufnehmen zu lassen. Auch hier dauerte sein Zustand noch lange Zeit; endlich gelang aber seine vollständige Heilung durch anhaltende körperliche Arbeit und durch Sturzbäder. (Ideler. Mare, übersetzt von Ideler. I. p. 196.) XVI. Selbstmord aus Angst und Hallucinationen. Ein früherer (Sc. Pinel, pathol. cerebr. Par. 1844. p. 212.) XVII. "Ich behandle gegenwärtig ein Mädchen, die durch einen heftigen (Guislain, Phrenopathien, übersetzt von Wunderlich. 1838. p. 282.) Beispiele von Selbstmordtrieb. werde. Als er sich endlich etwas von dieser Angst erholt hatte, hörte er einesTags einen Schuss fallen, worüber er heftig erschrak, weil er glaubte, dass sich jemand entleibt habe. An dem nämlichen Abend erfuhr er, dass in der Nachbarschaft jemand sich den Hals abgeschnitten habe. Seine Angst erreichte nun wieder einen hohen Grad, so dass er des Nachts nicht schlafen konnte, indem er stets daran dachte, wie der Selbstmörder zu seiner That gekommen sei, welche Theile des Körpers er durchschnitten habe. Vergeblich bemühte er sich diese Vorstellungen zu verbannen, welche durch die entfernteste Ver- anlassung aufs Neue hervorgerufen wurden, z. B. durch einige kopflose Bild- säulen im königlichen Museum, welche ihm das Bild von Enthaupteten vorspie- gelten. Wenn er ein Messer liegen sah, war es ihm, als müsse er sich den Hals abschneiden, trotz seines Abscheues davor und seiner Liebe zum Leben. Hatte er ein Messer in der Hand, so zitterte er, warf es weg, oder legte es unter den Teller, um es nicht zu sehen. Unaufhörlich dachte er an gewaltsame Todesarten; sah er einen Strick, so kam ihm der Gedanke des Erhängens in den Sinn; ging er über eine Brücke, so war es ihm, als müsste er ins Wasser springen, daher er sie nie am Geländer, sondern in der Mitte mit schnellem Laufe passirte, um nicht bei langsamen Gehen wider Willen fortgerissen zu werden; stand er an einem Fenster, so fühlte er einen Antrieb hinauszuspringen und wich voll Entsetzen zurück. Man rieth ihm Messer und Pistolen zu ergreifen, um sich an den Anblick zu gewöhnen, aber er konnte es vor Angst nicht über sich gewinnen. Nachdem die Angst ihn lange gefoltert hatte und zuletzt auf den höchsten Grad gestiegen war, willigte er selbst gerne ein, sich in die Charité aufnehmen zu lassen. Auch hier dauerte sein Zustand noch lange Zeit; endlich gelang aber seine vollständige Heilung durch anhaltende körperliche Arbeit und durch Sturzbäder. (Ideler. Mare, übersetzt von Ideler. I. p. 196.) XVI. Selbstmord aus Angst und Hallucinationen. Ein früherer (Sc. Pinel, pathol. cérébr. Par. 1844. p. 212.) XVII. „Ich behandle gegenwärtig ein Mädchen, die durch einen heftigen (Guislain, Phrenopathien, übersetzt von Wunderlich. 1838. p. 282.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0212" n="198"/><fw place="top" type="header">Beispiele von Selbstmordtrieb.</fw><lb/> werde. Als er sich endlich etwas von dieser Angst erholt hatte, hörte er eines<lb/> Tags einen Schuss fallen, worüber er heftig erschrak, weil er glaubte, dass<lb/> sich jemand entleibt habe. An dem nämlichen Abend erfuhr er, dass in der<lb/> Nachbarschaft jemand sich den Hals abgeschnitten habe. Seine Angst erreichte<lb/> nun wieder einen hohen Grad, so dass er des Nachts nicht schlafen konnte,<lb/> indem er stets daran dachte, wie der Selbstmörder zu seiner That gekommen<lb/> sei, welche Theile des Körpers er durchschnitten habe. 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Beispiele von Selbstmordtrieb.
werde. Als er sich endlich etwas von dieser Angst erholt hatte, hörte er eines
Tags einen Schuss fallen, worüber er heftig erschrak, weil er glaubte, dass
sich jemand entleibt habe. An dem nämlichen Abend erfuhr er, dass in der
Nachbarschaft jemand sich den Hals abgeschnitten habe. Seine Angst erreichte
nun wieder einen hohen Grad, so dass er des Nachts nicht schlafen konnte,
indem er stets daran dachte, wie der Selbstmörder zu seiner That gekommen
sei, welche Theile des Körpers er durchschnitten habe. Vergeblich bemühte er
sich diese Vorstellungen zu verbannen, welche durch die entfernteste Ver-
anlassung aufs Neue hervorgerufen wurden, z. B. durch einige kopflose Bild-
säulen im königlichen Museum, welche ihm das Bild von Enthaupteten vorspie-
gelten. Wenn er ein Messer liegen sah, war es ihm, als müsse er sich den
Hals abschneiden, trotz seines Abscheues davor und seiner Liebe zum Leben.
Hatte er ein Messer in der Hand, so zitterte er, warf es weg, oder legte es
unter den Teller, um es nicht zu sehen. Unaufhörlich dachte er an gewaltsame
Todesarten; sah er einen Strick, so kam ihm der Gedanke des Erhängens in
den Sinn; ging er über eine Brücke, so war es ihm, als müsste er ins Wasser
springen, daher er sie nie am Geländer, sondern in der Mitte mit schnellem
Laufe passirte, um nicht bei langsamen Gehen wider Willen fortgerissen zu
werden; stand er an einem Fenster, so fühlte er einen Antrieb hinauszuspringen
und wich voll Entsetzen zurück. Man rieth ihm Messer und Pistolen zu ergreifen,
um sich an den Anblick zu gewöhnen, aber er konnte es vor Angst nicht über
sich gewinnen. Nachdem die Angst ihn lange gefoltert hatte und zuletzt auf den
höchsten Grad gestiegen war, willigte er selbst gerne ein, sich in die Charité
aufnehmen zu lassen. Auch hier dauerte sein Zustand noch lange Zeit; endlich
gelang aber seine vollständige Heilung durch anhaltende körperliche Arbeit und
durch Sturzbäder. (Ideler. Mare, übersetzt von Ideler. I. p. 196.)
XVI. Selbstmord aus Angst und Hallucinationen. Ein früherer
Militär, 38 Jahre alt, bricht beide Beine, welche ihm beide amputirt werden;
er wird finster und verfällt in einen Anfall von Manie; er hört Stimmen, die ihn
ohne Unterlass beleidigen, verfolgen, mit dem Tode durch Erschiessen bedrohen;
darauf erfolgen Antworten, die er an die Stimmen richtet. Dieser Zustand von
Hallucinationen und Angst dauert 10 Monate, ungeachtet aller möglichen Mittel;
der Kranke concentrirt sich immer mehr auf seine falschen Empfindungen … er
verweigert hartnäckig die Nahrung, um sich diesen Qualen zu
entziehen … die Stimmen fordern ihn auf nicht mehr zu essen ....
Man muss ihn mit Gewalt ernähren … je elender er wird, um so stärker
scheinen die Stimmen zu werden, endlich stirbt er an Erschöpfung.
(Sc. Pinel, pathol. cérébr. Par. 1844. p. 212.)
XVII. „Ich behandle gegenwärtig ein Mädchen, die durch einen heftigen
Sturz auf das os sacrum einen Vorfall der Gebärmutter erlitt und plötzlich von
einer tiefen Traurigkeit, mit den sonderbarsten Verirrungen der Vorstellungen
und einer Neigung zum Selbstmord befallen wurde, so oft durch irgend eine
Anstrengung der Hals des uterus an der Mündung der vagina sich zeigte, oder
durch sie heraustrat. Der Gebrauch eines Pessariums liess diese merkwürdigen
Anomalieen verschwinden.“
(Guislain, Phrenopathien, übersetzt von Wunderlich. 1838. p. 282.)
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