Abrahams und dergl. befehlen. Solchen liegt der dunkle Gedanke der Nothwendigkeit eines fremden, den Kranken selbst aber wesentlich mitbetreffenden, Sühnopfers für -- imaginäre -- eigene, schwere Ver- brechen zu Grunde, während in andern Fällen eine solche Unthat von dem Kranken, der sich selbst für einen verworfenen Bösewicht hält, in der Absicht begangen wird, sich die vermeintlich wohlver- diente Todesstrafe zuzuziehen.
Für sehr viele dieser und der zum folgenden §. gehörigen Fälle ist ein, schon beim Selbstmord (p. 195) erwähnter Umstand sehr wichtig und characteristisch, nemlich die Befreiung des Individuums von seinem schmerzlichen Affect und seinen schrecklichen Vorstellungen dadurch, dass die That vollbracht, ihm objectiv geworden ist (p. 34), jene Erleichterung und Beruhigung, welche der Kranke durch die Ent- äusserung seiner Stimmung mit dem Vollbringen der That gewinnt, das, was man auch schon die critische Bedeutung solcher Thaten genannt hat. In folgenden, noch sehr einfachen Fällen sind ver- schiedene Modificationen einer derartigen Erleichterung krankhafter, schlimmer Neigungen zu erkennen; ganz Aehnliches kommt oft nach der wirklichen Ausführung von Mordthaten aus melancholischen Motiven vor.
XIX. Ein Fall von Melancholie zeigte einen Character, der nicht ungewöhn- lich ist und der in höheren Graden und bei voller Ausbildung eine Form "mora- lischer Manie" abgibt. Die Patientin, eine verheirathete Frau, 45 Jahre alt, war in Folge von ängstlicher Gemüthsart in einen Zustand tiefer Schwermuth mit beständiger Angst verfallen. Sie gab an, wo sie immer von einem Verbrechen höre oder lese, fühle sie eine heftige Versuchung es auch zu begehen, aber zugleich auch eine obenso heftige Furcht vor der Ausführung; unmöglich könne sie alle die grässlichen Dinge angeben, die ihr durch den Kopf gehen. Sie setzte bei, dass jede Gewaltthätigkeit, in Rede oder That, die sie an ihren Kindern oder ihrer Umgebung verübe, ihr eine bedeu- tende Erleichterung verschaffe, und dass sie nun die grösste Mühe habe, sich zu beherrschen. Die Kranke genas unter dem Gebrauch verdünnter Schwefelsäure, Opiumtinctur, Digitalis, Quassia-Jnfus und eröffnenden Mitteln.
XX. Ein Kranker, der an Fissura ani und Spermatorrhoe mit vorüber- gehenden Kopfcongestionen leidet, verfällt nach und nach in Melancholie. "Er verabscheute den Selbstmord und ein böser Genius schien ihn beständig dazu zu treiben; der Anblick von spitzigen Körpern oder Schiessgewehren machte ihn zittern und erweckte in ihm einen Trieb zu tödten, von dem er sich nur befreien konnte, indem er sich einen heftigen Schmerz erregte, z. B. einen Theil seines Körpers heftig kneipte." Die Zuvorkommenheit seiner Umgebung erwiederte er mit Grobheit. "Er verab- scheute das Böse und fühlte sich wider Willen dazu getrieben:
Schwermuth mit Mord-
Abrahams und dergl. befehlen. Solchen liegt der dunkle Gedanke der Nothwendigkeit eines fremden, den Kranken selbst aber wesentlich mitbetreffenden, Sühnopfers für — imaginäre — eigene, schwere Ver- brechen zu Grunde, während in andern Fällen eine solche Unthat von dem Kranken, der sich selbst für einen verworfenen Bösewicht hält, in der Absicht begangen wird, sich die vermeintlich wohlver- diente Todesstrafe zuzuziehen.
Für sehr viele dieser und der zum folgenden §. gehörigen Fälle ist ein, schon beim Selbstmord (p. 195) erwähnter Umstand sehr wichtig und characteristisch, nemlich die Befreiung des Individuums von seinem schmerzlichen Affect und seinen schrecklichen Vorstellungen dadurch, dass die That vollbracht, ihm objectiv geworden ist (p. 34), jene Erleichterung und Beruhigung, welche der Kranke durch die Ent- äusserung seiner Stimmung mit dem Vollbringen der That gewinnt, das, was man auch schon die critische Bedeutung solcher Thaten genannt hat. In folgenden, noch sehr einfachen Fällen sind ver- schiedene Modificationen einer derartigen Erleichterung krankhafter, schlimmer Neigungen zu erkennen; ganz Aehnliches kommt oft nach der wirklichen Ausführung von Mordthaten aus melancholischen Motiven vor.
XIX. Ein Fall von Melancholie zeigte einen Character, der nicht ungewöhn- lich ist und der in höheren Graden und bei voller Ausbildung eine Form „mora- lischer Manie“ abgibt. Die Patientin, eine verheirathete Frau, 45 Jahre alt, war in Folge von ängstlicher Gemüthsart in einen Zustand tiefer Schwermuth mit beständiger Angst verfallen. Sie gab an, wo sie immer von einem Verbrechen höre oder lese, fühle sie eine heftige Versuchung es auch zu begehen, aber zugleich auch eine obenso heftige Furcht vor der Ausführung; unmöglich könne sie alle die grässlichen Dinge angeben, die ihr durch den Kopf gehen. Sie setzte bei, dass jede Gewaltthätigkeit, in Rede oder That, die sie an ihren Kindern oder ihrer Umgebung verübe, ihr eine bedeu- tende Erleichterung verschaffe, und dass sie nun die grösste Mühe habe, sich zu beherrschen. Die Kranke genas unter dem Gebrauch verdünnter Schwefelsäure, Opiumtinctur, Digitalis, Quassia-Jnfus und eröffnenden Mitteln.
XX. Ein Kranker, der an Fissura ani und Spermatorrhoe mit vorüber- gehenden Kopfcongestionen leidet, verfällt nach und nach in Melancholie. „Er verabscheute den Selbstmord und ein böser Genius schien ihn beständig dazu zu treiben; der Anblick von spitzigen Körpern oder Schiessgewehren machte ihn zittern und erweckte in ihm einen Trieb zu tödten, von dem er sich nur befreien konnte, indem er sich einen heftigen Schmerz erregte, z. B. einen Theil seines Körpers heftig kneipte.“ Die Zuvorkommenheit seiner Umgebung erwiederte er mit Grobheit. „Er verab- scheute das Böse und fühlte sich wider Willen dazu getrieben:
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Schwermuth mit Mord-
Abrahams und dergl. befehlen. Solchen liegt der dunkle Gedanke
der Nothwendigkeit eines fremden, den Kranken selbst aber wesentlich
mitbetreffenden, Sühnopfers für — imaginäre — eigene, schwere Ver-
brechen zu Grunde, während in andern Fällen eine solche Unthat
von dem Kranken, der sich selbst für einen verworfenen Bösewicht
hält, in der Absicht begangen wird, sich die vermeintlich wohlver-
diente Todesstrafe zuzuziehen.
Für sehr viele dieser und der zum folgenden §. gehörigen Fälle
ist ein, schon beim Selbstmord (p. 195) erwähnter Umstand sehr wichtig
und characteristisch, nemlich die Befreiung des Individuums von seinem
schmerzlichen Affect und seinen schrecklichen Vorstellungen dadurch,
dass die That vollbracht, ihm objectiv geworden ist (p. 34), jene
Erleichterung und Beruhigung, welche der Kranke durch die Ent-
äusserung seiner Stimmung mit dem Vollbringen der That gewinnt,
das, was man auch schon die critische Bedeutung solcher Thaten
genannt hat. In folgenden, noch sehr einfachen Fällen sind ver-
schiedene Modificationen einer derartigen Erleichterung krankhafter,
schlimmer Neigungen zu erkennen; ganz Aehnliches kommt oft nach der
wirklichen Ausführung von Mordthaten aus melancholischen Motiven vor.
XIX. Ein Fall von Melancholie zeigte einen Character, der nicht ungewöhn-
lich ist und der in höheren Graden und bei voller Ausbildung eine Form „mora-
lischer Manie“ abgibt. Die Patientin, eine verheirathete Frau, 45 Jahre alt,
war in Folge von ängstlicher Gemüthsart in einen Zustand tiefer Schwermuth mit
beständiger Angst verfallen. Sie gab an, wo sie immer von einem Verbrechen
höre oder lese, fühle sie eine heftige Versuchung es auch zu begehen, aber
zugleich auch eine obenso heftige Furcht vor der Ausführung; unmöglich könne
sie alle die grässlichen Dinge angeben, die ihr durch den Kopf gehen. Sie
setzte bei, dass jede Gewaltthätigkeit, in Rede oder That, die sie
an ihren Kindern oder ihrer Umgebung verübe, ihr eine bedeu-
tende Erleichterung verschaffe, und dass sie nun die grösste
Mühe habe, sich zu beherrschen. Die Kranke genas unter dem
Gebrauch verdünnter Schwefelsäure, Opiumtinctur, Digitalis, Quassia-Jnfus und
eröffnenden Mitteln.
(Guy; Kings-College annual. reports. 1841. Lond. Med. Gaz. Septbr. 1842.)
XX. Ein Kranker, der an Fissura ani und Spermatorrhoe mit vorüber-
gehenden Kopfcongestionen leidet, verfällt nach und nach in Melancholie. „Er
verabscheute den Selbstmord und ein böser Genius schien ihn beständig dazu zu
treiben; der Anblick von spitzigen Körpern oder Schiessgewehren machte ihn
zittern und erweckte in ihm einen Trieb zu tödten, von dem er sich
nur befreien konnte, indem er sich einen heftigen Schmerz
erregte, z. B. einen Theil seines Körpers heftig kneipte.“
Die Zuvorkommenheit seiner Umgebung erwiederte er mit Grobheit. „Er verab-
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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/214>, abgerufen am 30.07.2024.
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