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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Gemüths-Störungen.
um ein Centrum, das gesteigerte Selbstgefühl des Kranken. Dasselbe
ist psychisch begründet. Indem nemlich die Fähigkeit zu wollen,
welche während des melancholischen Stadiums geschwächt oder ganz
unterdrückt war, nicht nur wiedergekehrt ist, sondern das Streben
noch exaltirt (äusserlich in der Weise einer übertriebenen Activität)
sich geltend macht, indem zugleich mit dieser Freiheit der Impulse
zum Handeln eine grössere Leichtigkeit des Denkens, eine mühelose
Abundanz in der Ideenbildung dem Kranken fühlbar wird, ergibt sich
ihm eine Stimmung hoher Zufriedenheit mit sich selbst. Der Kranke
erfreut sich eines grossen, geistigen (und körperlichen) Wohlbefindens,
er fühlt sich reicher und freier; jede Anstrengung ist ihm leicht
geworden, er hält sich desshalb nicht nur für durchaus gesund und
weist jeden Zweifel daran mit Entrüstung ab, sondern er gibt häufig
an, sich noch nie in seinem Leben so wohl und so glücklich be-
funden zu haben. Die exaltirte Selbstempfindung äussert sich als
gehobene Stimmung, als heitere Laune, zuweilen mit schwärmerischem
Schwelgen in sublimen Gefühlen, sie äussert sich ferner als ein grosses
Selbstvertrauen in zuversichtlichem, dreistem, eitlem, übermüthigem
Benehmen, wobei der Kranke bald mehr ein oberflächlich selbst-
gefälliges, affectirtes Betragen, bald mehr einen tiefsitzenden Hoch-
muth und Stolz und den Hang, sich auf jede Weise Geltung zu ver-
schaffen zeigt. Dieser affirmative Affect ist anhaltend, wechselt nicht
so, wie in der Tobsucht, mit allen möglichen andern Stimmungen,
ohne äussere Motive. Durch solche aber wird er allerdings momentan
leicht unterbrochen; der Kranke zeigt sich reizbar und heftig und
wenn der Bestimmtheit seiner Behauptungen oder dem Ausschweifen-
den seines Thuns durch Einwendungen oder äusseren Zwang entgegen-
getreten wird, so sucht er, alsbald ungeduldig, unwillig und zornig
geworden, sein Thun und Meinen zu vertheidigen und will nichts
an sich herankommen lassen, was seine gehobene Stimmung beein-
trächtigen könnte.

Die gesteigerte Action des Strebens zeigt sich in dem Bedürfniss
erhöhter excentrischer Thätigkeit, namentlich aber in zahlreichen aus-
schweifenden Planen und Projecten, deren Ausführung dem Kranken,
welcher sich selbst Alles zutraut, möglich und leicht erscheint.
Hierin liegt die grösste Aehnlichkeit, aber auch eine grosse Ver-
schiedenheit mit dem Verhalten des Tobsüchtigen. Denn wie diesem,
so kommt es auch dem Wahnsinnigen, zuerst und hauptsächlich auf
Kraftäusserung überhaupt an; allein in der Tobsucht gibt diess Be-
dürfniss einer Explosion auf der motorischen Seite des Seelenlebens

Gemüths-Störungen.
um ein Centrum, das gesteigerte Selbstgefühl des Kranken. Dasselbe
ist psychisch begründet. Indem nemlich die Fähigkeit zu wollen,
welche während des melancholischen Stadiums geschwächt oder ganz
unterdrückt war, nicht nur wiedergekehrt ist, sondern das Streben
noch exaltirt (äusserlich in der Weise einer übertriebenen Activität)
sich geltend macht, indem zugleich mit dieser Freiheit der Impulse
zum Handeln eine grössere Leichtigkeit des Denkens, eine mühelose
Abundanz in der Ideenbildung dem Kranken fühlbar wird, ergibt sich
ihm eine Stimmung hoher Zufriedenheit mit sich selbst. Der Kranke
erfreut sich eines grossen, geistigen (und körperlichen) Wohlbefindens,
er fühlt sich reicher und freier; jede Anstrengung ist ihm leicht
geworden, er hält sich desshalb nicht nur für durchaus gesund und
weist jeden Zweifel daran mit Entrüstung ab, sondern er gibt häufig
an, sich noch nie in seinem Leben so wohl und so glücklich be-
funden zu haben. Die exaltirte Selbstempfindung äussert sich als
gehobene Stimmung, als heitere Laune, zuweilen mit schwärmerischem
Schwelgen in sublimen Gefühlen, sie äussert sich ferner als ein grosses
Selbstvertrauen in zuversichtlichem, dreistem, eitlem, übermüthigem
Benehmen, wobei der Kranke bald mehr ein oberflächlich selbst-
gefälliges, affectirtes Betragen, bald mehr einen tiefsitzenden Hoch-
muth und Stolz und den Hang, sich auf jede Weise Geltung zu ver-
schaffen zeigt. Dieser affirmative Affect ist anhaltend, wechselt nicht
so, wie in der Tobsucht, mit allen möglichen andern Stimmungen,
ohne äussere Motive. Durch solche aber wird er allerdings momentan
leicht unterbrochen; der Kranke zeigt sich reizbar und heftig und
wenn der Bestimmtheit seiner Behauptungen oder dem Ausschweifen-
den seines Thuns durch Einwendungen oder äusseren Zwang entgegen-
getreten wird, so sucht er, alsbald ungeduldig, unwillig und zornig
geworden, sein Thun und Meinen zu vertheidigen und will nichts
an sich herankommen lassen, was seine gehobene Stimmung beein-
trächtigen könnte.

Die gesteigerte Action des Strebens zeigt sich in dem Bedürfniss
erhöhter excentrischer Thätigkeit, namentlich aber in zahlreichen aus-
schweifenden Planen und Projecten, deren Ausführung dem Kranken,
welcher sich selbst Alles zutraut, möglich und leicht erscheint.
Hierin liegt die grösste Aehnlichkeit, aber auch eine grosse Ver-
schiedenheit mit dem Verhalten des Tobsüchtigen. Denn wie diesem,
so kommt es auch dem Wahnsinnigen, zuerst und hauptsächlich auf
Kraftäusserung überhaupt an; allein in der Tobsucht gibt diess Be-
dürfniss einer Explosion auf der motorischen Seite des Seelenlebens

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[239/0253] Gemüths-Störungen. um ein Centrum, das gesteigerte Selbstgefühl des Kranken. Dasselbe ist psychisch begründet. Indem nemlich die Fähigkeit zu wollen, welche während des melancholischen Stadiums geschwächt oder ganz unterdrückt war, nicht nur wiedergekehrt ist, sondern das Streben noch exaltirt (äusserlich in der Weise einer übertriebenen Activität) sich geltend macht, indem zugleich mit dieser Freiheit der Impulse zum Handeln eine grössere Leichtigkeit des Denkens, eine mühelose Abundanz in der Ideenbildung dem Kranken fühlbar wird, ergibt sich ihm eine Stimmung hoher Zufriedenheit mit sich selbst. Der Kranke erfreut sich eines grossen, geistigen (und körperlichen) Wohlbefindens, er fühlt sich reicher und freier; jede Anstrengung ist ihm leicht geworden, er hält sich desshalb nicht nur für durchaus gesund und weist jeden Zweifel daran mit Entrüstung ab, sondern er gibt häufig an, sich noch nie in seinem Leben so wohl und so glücklich be- funden zu haben. Die exaltirte Selbstempfindung äussert sich als gehobene Stimmung, als heitere Laune, zuweilen mit schwärmerischem Schwelgen in sublimen Gefühlen, sie äussert sich ferner als ein grosses Selbstvertrauen in zuversichtlichem, dreistem, eitlem, übermüthigem Benehmen, wobei der Kranke bald mehr ein oberflächlich selbst- gefälliges, affectirtes Betragen, bald mehr einen tiefsitzenden Hoch- muth und Stolz und den Hang, sich auf jede Weise Geltung zu ver- schaffen zeigt. Dieser affirmative Affect ist anhaltend, wechselt nicht so, wie in der Tobsucht, mit allen möglichen andern Stimmungen, ohne äussere Motive. Durch solche aber wird er allerdings momentan leicht unterbrochen; der Kranke zeigt sich reizbar und heftig und wenn der Bestimmtheit seiner Behauptungen oder dem Ausschweifen- den seines Thuns durch Einwendungen oder äusseren Zwang entgegen- getreten wird, so sucht er, alsbald ungeduldig, unwillig und zornig geworden, sein Thun und Meinen zu vertheidigen und will nichts an sich herankommen lassen, was seine gehobene Stimmung beein- trächtigen könnte. Die gesteigerte Action des Strebens zeigt sich in dem Bedürfniss erhöhter excentrischer Thätigkeit, namentlich aber in zahlreichen aus- schweifenden Planen und Projecten, deren Ausführung dem Kranken, welcher sich selbst Alles zutraut, möglich und leicht erscheint. Hierin liegt die grösste Aehnlichkeit, aber auch eine grosse Ver- schiedenheit mit dem Verhalten des Tobsüchtigen. Denn wie diesem, so kommt es auch dem Wahnsinnigen, zuerst und hauptsächlich auf Kraftäusserung überhaupt an; allein in der Tobsucht gibt diess Be- dürfniss einer Explosion auf der motorischen Seite des Seelenlebens

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/253>, abgerufen am 29.11.2024.