Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

partieller Verrücktheit.
spricht von sich selbst immer in der dritten Person und mit der Phrase "die
Person von mir."

Wenn man ihr nicht zu nahe kommt, ihr Bett, ihren Stuhl, ihre Kleider etc.
nicht berührt, so kann man leicht mit ihr conversiren. Sie beantwortet dann
alles sanft und höflich.

"Wie befinden Sie sich Madame?"

"Die Person von mir ist keine Dame, heissen Sie mich Mademoiselle,
wenn's beliebt."

"Ich weiss Ihren Namen nicht, sagen Sie ihn mir."

"Die Person von mir hat keinen Namen: sie wünscht, dass Sie nicht
schreiben möchten."

"Ich möchte doch wissen, wie Sie heissen, oder vielmehr, wie Sie früher
hiessen?"

"Ich verstehe, was Sie fragen wollen. Ich hiess Catharina X., man muss
nicht mehr von dem Vergangenen reden. Die Person von mir hat ihren Namen
verloren, sie hat ihn hergegeben, als sie in das Hospital eintrat."

"Welches ist Ihr Alter?"

"Die Person von mir hat kein Alter."

"Aber diese Catharina X, von der Sie eben gesprochen haben, wie alt ist sie?"

"Ich weiss nicht. Sie ist geboren Anno 1779 von Marie ... und von Jacob ...
wohnhaft ..., getauft in Paris etc."

"Wenn Sie nicht die Person sind, von der Sie reden, so sind Sie vielleicht
zwei Personen in einer einzigen."

"Nein, die Person von mir kennt diejenige nicht, die Anno 1779 geboren
ist. Vielleicht ist es diese Frau dort unten."

"Leben Ihre Verwandten noch?"

"Die Person von mir ist allein und sehr allein, sie hat keine Verwandte
und hat niemals solche gehabt."

"Und die Verwandten der Person, die Sie vorhin genannt haben?"

"Man sagt, sie leben immer noch, sie nannten sich meinen Vater und
meine Mutter und ich glaubte es bis Anno 1827; ich habe immer meine
Pflichten gegen sie erfüllt bis zu jener Zeit."

"Sie sind also ihr Kind? Ihre Art zu sprechen zeigt, dass Sie es glauben."

"Die Person von mir ist Niemandes Kind. Der Ursprung der Person von
mir ist unbekannt: sie hat keine Erinnerung der Vergangenheit. Die Frau, von
der Sie reden, ist vielleicht die, für welche man dieses Kleid gemacht hat (sie
deutet auf das Kleid, das sie anhat), sie war verheirathet, sie hatte mehrere
Kinder. (Nun erzählt sie weitläufige und sehr genaue Details über ihr Leben,
wobei sie immer am Jahr 1827 aufhört.)

"Was haben Sie gethan und was ist Ihnen begegnet, seit Sie die Person
von sich sind?"

"Die Person von mir wohnte in der Verpflegungs-Anstalt von ... Man machte
und macht mit ihr physische und metaphysische Versuche. Diese Arbeit war ihr
unbekannt vor 1827. Hier kommt eine Unsichtbare herab und vermischt ihre
Stimme mit der meinigen. Die Person von mir will nichts davon und schickt
sie sanft zurück."

"Wie sind die Unsichtbaren, von denen Sie sprechen?"

"Sie sind klein, unfassbar, wenig geformt."

partieller Verrücktheit.
spricht von sich selbst immer in der dritten Person und mit der Phrase „die
Person von mir.“

Wenn man ihr nicht zu nahe kommt, ihr Bett, ihren Stuhl, ihre Kleider etc.
nicht berührt, so kann man leicht mit ihr conversiren. Sie beantwortet dann
alles sanft und höflich.

„Wie befinden Sie sich Madame?“

„Die Person von mir ist keine Dame, heissen Sie mich Mademoiselle,
wenn’s beliebt.“

„Ich weiss Ihren Namen nicht, sagen Sie ihn mir.“

„Die Person von mir hat keinen Namen: sie wünscht, dass Sie nicht
schreiben möchten.“

„Ich möchte doch wissen, wie Sie heissen, oder vielmehr, wie Sie früher
hiessen?“

„Ich verstehe, was Sie fragen wollen. Ich hiess Catharina X., man muss
nicht mehr von dem Vergangenen reden. Die Person von mir hat ihren Namen
verloren, sie hat ihn hergegeben, als sie in das Hospital eintrat.“

„Welches ist Ihr Alter?“

„Die Person von mir hat kein Alter.“

„Aber diese Catharina X, von der Sie eben gesprochen haben, wie alt ist sie?“

„Ich weiss nicht. Sie ist geboren Anno 1779 von Marie … und von Jacob …
wohnhaft …, getauft in Paris etc.“

„Wenn Sie nicht die Person sind, von der Sie reden, so sind Sie vielleicht
zwei Personen in einer einzigen.“

„Nein, die Person von mir kennt diejenige nicht, die Anno 1779 geboren
ist. Vielleicht ist es diese Frau dort unten.“

„Leben Ihre Verwandten noch?“

„Die Person von mir ist allein und sehr allein, sie hat keine Verwandte
und hat niemals solche gehabt.“

„Und die Verwandten der Person, die Sie vorhin genannt haben?“

„Man sagt, sie leben immer noch, sie nannten sich meinen Vater und
meine Mutter und ich glaubte es bis Anno 1827; ich habe immer meine
Pflichten gegen sie erfüllt bis zu jener Zeit.“

„Sie sind also ihr Kind? Ihre Art zu sprechen zeigt, dass Sie es glauben.“

„Die Person von mir ist Niemandes Kind. Der Ursprung der Person von
mir ist unbekannt: sie hat keine Erinnerung der Vergangenheit. Die Frau, von
der Sie reden, ist vielleicht die, für welche man dieses Kleid gemacht hat (sie
deutet auf das Kleid, das sie anhat), sie war verheirathet, sie hatte mehrere
Kinder. (Nun erzählt sie weitläufige und sehr genaue Details über ihr Leben,
wobei sie immer am Jahr 1827 aufhört.)

„Was haben Sie gethan und was ist Ihnen begegnet, seit Sie die Person
von sich sind?“

„Die Person von mir wohnte in der Verpflegungs-Anstalt von … Man machte
und macht mit ihr physische und metaphysische Versuche. Diese Arbeit war ihr
unbekannt vor 1827. Hier kommt eine Unsichtbare herab und vermischt ihre
Stimme mit der meinigen. Die Person von mir will nichts davon und schickt
sie sanft zurück.“

„Wie sind die Unsichtbaren, von denen Sie sprechen?“

„Sie sind klein, unfassbar, wenig geformt.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0285" n="271"/><fw place="top" type="header">partieller Verrücktheit.</fw><lb/>
spricht von sich selbst immer in der dritten Person und mit der Phrase &#x201E;die<lb/>
Person von mir.&#x201C;</p><lb/>
              <p>Wenn man ihr nicht zu nahe kommt, ihr Bett, ihren Stuhl, ihre Kleider etc.<lb/>
nicht berührt, so kann man leicht mit ihr conversiren. Sie beantwortet dann<lb/>
alles sanft und höflich.</p><lb/>
              <p>&#x201E;Wie befinden Sie sich Madame?&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Die Person von mir ist keine Dame, heissen Sie mich Mademoiselle,<lb/>
wenn&#x2019;s beliebt.&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Ich weiss Ihren Namen nicht, sagen Sie ihn mir.&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Die Person von mir hat keinen Namen: sie wünscht, dass Sie nicht<lb/>
schreiben möchten.&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Ich möchte doch wissen, wie Sie heissen, oder vielmehr, wie Sie früher<lb/>
hiessen?&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Ich verstehe, was Sie fragen wollen. Ich hiess Catharina X., man muss<lb/>
nicht mehr von dem Vergangenen reden. Die Person von mir hat ihren Namen<lb/>
verloren, sie hat ihn hergegeben, als sie in das Hospital eintrat.&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Welches ist Ihr Alter?&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Die Person von mir hat kein Alter.&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Aber diese Catharina X, von der Sie eben gesprochen haben, wie alt ist sie?&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Ich weiss nicht. Sie ist geboren Anno 1779 von Marie &#x2026; und von Jacob &#x2026;<lb/>
wohnhaft &#x2026;, getauft in Paris etc.&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Wenn Sie nicht die Person sind, von der Sie reden, so sind Sie vielleicht<lb/>
zwei Personen in einer einzigen.&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Nein, die Person von mir kennt diejenige nicht, die Anno 1779 geboren<lb/>
ist. Vielleicht ist es diese Frau dort unten.&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Leben Ihre Verwandten noch?&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Die Person von mir ist allein und sehr allein, sie hat keine Verwandte<lb/>
und hat niemals solche gehabt.&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Und die Verwandten der Person, die Sie vorhin genannt haben?&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Man sagt, sie leben immer noch, sie nannten sich <hi rendition="#g">meinen</hi> Vater und<lb/><hi rendition="#g">meine</hi> Mutter und <hi rendition="#g">ich</hi> glaubte es bis Anno 1827; <hi rendition="#g">ich habe</hi> immer <hi rendition="#g">meine</hi><lb/>
Pflichten gegen sie erfüllt bis zu jener Zeit.&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Sie sind also ihr Kind? Ihre Art zu sprechen zeigt, dass Sie es glauben.&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Die Person von mir ist Niemandes Kind. Der Ursprung der Person von<lb/>
mir ist unbekannt: sie hat keine Erinnerung der Vergangenheit. Die Frau, von<lb/>
der Sie reden, ist vielleicht die, für welche man dieses Kleid gemacht hat (sie<lb/>
deutet auf das Kleid, das sie anhat), sie war verheirathet, sie hatte mehrere<lb/>
Kinder. (Nun erzählt sie weitläufige und sehr genaue Details über ihr Leben,<lb/>
wobei sie immer am Jahr 1827 aufhört.)</p><lb/>
              <p>&#x201E;Was haben Sie gethan und was ist Ihnen begegnet, seit Sie die Person<lb/>
von sich sind?&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Die Person von mir wohnte in der Verpflegungs-Anstalt von &#x2026; Man machte<lb/>
und macht mit ihr physische und metaphysische Versuche. Diese Arbeit war ihr<lb/>
unbekannt vor 1827. Hier kommt eine Unsichtbare herab und vermischt ihre<lb/>
Stimme mit der <hi rendition="#g">meinigen</hi>. Die Person von mir will nichts davon und schickt<lb/>
sie sanft zurück.&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Wie sind die Unsichtbaren, von denen Sie sprechen?&#x201C;</p><lb/>
              <p>&#x201E;Sie sind klein, unfassbar, wenig geformt.&#x201C;</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0285] partieller Verrücktheit. spricht von sich selbst immer in der dritten Person und mit der Phrase „die Person von mir.“ Wenn man ihr nicht zu nahe kommt, ihr Bett, ihren Stuhl, ihre Kleider etc. nicht berührt, so kann man leicht mit ihr conversiren. Sie beantwortet dann alles sanft und höflich. „Wie befinden Sie sich Madame?“ „Die Person von mir ist keine Dame, heissen Sie mich Mademoiselle, wenn’s beliebt.“ „Ich weiss Ihren Namen nicht, sagen Sie ihn mir.“ „Die Person von mir hat keinen Namen: sie wünscht, dass Sie nicht schreiben möchten.“ „Ich möchte doch wissen, wie Sie heissen, oder vielmehr, wie Sie früher hiessen?“ „Ich verstehe, was Sie fragen wollen. Ich hiess Catharina X., man muss nicht mehr von dem Vergangenen reden. Die Person von mir hat ihren Namen verloren, sie hat ihn hergegeben, als sie in das Hospital eintrat.“ „Welches ist Ihr Alter?“ „Die Person von mir hat kein Alter.“ „Aber diese Catharina X, von der Sie eben gesprochen haben, wie alt ist sie?“ „Ich weiss nicht. Sie ist geboren Anno 1779 von Marie … und von Jacob … wohnhaft …, getauft in Paris etc.“ „Wenn Sie nicht die Person sind, von der Sie reden, so sind Sie vielleicht zwei Personen in einer einzigen.“ „Nein, die Person von mir kennt diejenige nicht, die Anno 1779 geboren ist. Vielleicht ist es diese Frau dort unten.“ „Leben Ihre Verwandten noch?“ „Die Person von mir ist allein und sehr allein, sie hat keine Verwandte und hat niemals solche gehabt.“ „Und die Verwandten der Person, die Sie vorhin genannt haben?“ „Man sagt, sie leben immer noch, sie nannten sich meinen Vater und meine Mutter und ich glaubte es bis Anno 1827; ich habe immer meine Pflichten gegen sie erfüllt bis zu jener Zeit.“ „Sie sind also ihr Kind? Ihre Art zu sprechen zeigt, dass Sie es glauben.“ „Die Person von mir ist Niemandes Kind. Der Ursprung der Person von mir ist unbekannt: sie hat keine Erinnerung der Vergangenheit. Die Frau, von der Sie reden, ist vielleicht die, für welche man dieses Kleid gemacht hat (sie deutet auf das Kleid, das sie anhat), sie war verheirathet, sie hatte mehrere Kinder. (Nun erzählt sie weitläufige und sehr genaue Details über ihr Leben, wobei sie immer am Jahr 1827 aufhört.) „Was haben Sie gethan und was ist Ihnen begegnet, seit Sie die Person von sich sind?“ „Die Person von mir wohnte in der Verpflegungs-Anstalt von … Man machte und macht mit ihr physische und metaphysische Versuche. Diese Arbeit war ihr unbekannt vor 1827. Hier kommt eine Unsichtbare herab und vermischt ihre Stimme mit der meinigen. Die Person von mir will nichts davon und schickt sie sanft zurück.“ „Wie sind die Unsichtbaren, von denen Sie sprechen?“ „Sie sind klein, unfassbar, wenig geformt.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/285
Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/285>, abgerufen am 28.11.2024.