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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Pathologische Anatomie
dagegen findet man oft nur noch ihre Producte oder es sind doch
andere Störungen (Atrophie etc.) überwiegend mit ihr complicirt. Sie
ist um so wichtiger, als sie die Grundlage und den Ausgangspunkt
für die vielfach hier vorkommenden Entzündungsprocesse und deren
Resultate, ebenso für Blutaustritte u. dergl. abgiebt.

Dass diese Hyperämieen nicht, wie es von einseitigen Entzün-
dungspathologen schon geschehen ist, ohne weiteres für Entzündung
angesprochen werden dürfen, bedarf keiner Auseinandersetzung. Wir
halten sie vielmehr, wie oben bemerkt, in vielen Fällen für eine
mechanische, "venöse" (Guislain) Hyperämie (in Folge von Herzkrankheiten,
Lungenkrankheiten, functionellen Abweichungen in der Herzthätigkeit und
Respiration, Verengerung der Schädellöcher etc.). Es ist unzwei-
felhaft, dass diese Hyperämieen in sehr vielen Fällen Exsudate ver-
schiedener Art (seröse, serös-plastische, albuminöse, selten eitrige *))
liefern, und damit unmittelbar zu Entzündungsprocessen werden oder
wenigstens durch ihr Product (z. B. andauernde seröse Infiltration)
dieselben Folgen, wie verschiedene Entzündungsproducte (Druck) für
das Gehirn haben.

Unter den neueren Beobachtern ist das Vorkommen der Hype-
rämie der Pia und der Gehirnrinde von anatomischer Seite besonders
von Parchappe **) studirt worden. Er fand sie unter 38 Fällen
acuten, frischen Irreseins (Formen der Melancholie und Manie)
36mal, besonders häufig (29mal) in der Form der Ecchymose unter
der Arachnoidea, d. h. partiellen, plattenweisen Hyperämieen, welche der
Pia und Arachnoidea gemeinschaftlich angehören, und im Centrum
gleichförmig rothe, an der Peripherie aus punktirten und baumför-
migen Injectionen bestehende Flecke darstellen; unter diesen Fällen
wieder 33mal mit punktirter Injection der Gehirnoberfläche selbst,
17mal mit Erweichung, 15mal mit rother Färbung dieser grauen Substanz.

Er fand dagegen die Hyperämie der Pia und der Gehirnrinde
unter 122 Fällen chronischen Irreseins (im Mittel nach einer
Dauer von 8 Jahren; verschleppte Formen von Manie und Melancholie
und psychische Schwächezustände) nur noch 59mal, darunter 18mal
unter der Form der Ecchymose, hierunter wieder 7mal mit Injection,
5mal mit rother Färbung der Corticalsubstanz, 5mal mit Erweichung
derselben.

*) Letztere übrigens z. B. von Larrey und Haslam beobachtet.
**) Traite de la folie. Documens necroscopiques. Paris 1841. Dieselben Re-
sultate im 2ten Memoire. 1838.

Pathologische Anatomie
dagegen findet man oft nur noch ihre Producte oder es sind doch
andere Störungen (Atrophie etc.) überwiegend mit ihr complicirt. Sie
ist um so wichtiger, als sie die Grundlage und den Ausgangspunkt
für die vielfach hier vorkommenden Entzündungsprocesse und deren
Resultate, ebenso für Blutaustritte u. dergl. abgiebt.

Dass diese Hyperämieen nicht, wie es von einseitigen Entzün-
dungspathologen schon geschehen ist, ohne weiteres für Entzündung
angesprochen werden dürfen, bedarf keiner Auseinandersetzung. Wir
halten sie vielmehr, wie oben bemerkt, in vielen Fällen für eine
mechanische, „venöse“ (Guislain) Hyperämie (in Folge von Herzkrankheiten,
Lungenkrankheiten, functionellen Abweichungen in der Herzthätigkeit und
Respiration, Verengerung der Schädellöcher etc.). Es ist unzwei-
felhaft, dass diese Hyperämieen in sehr vielen Fällen Exsudate ver-
schiedener Art (seröse, serös-plastische, albuminöse, selten eitrige *))
liefern, und damit unmittelbar zu Entzündungsprocessen werden oder
wenigstens durch ihr Product (z. B. andauernde seröse Infiltration)
dieselben Folgen, wie verschiedene Entzündungsproducte (Druck) für
das Gehirn haben.

Unter den neueren Beobachtern ist das Vorkommen der Hype-
rämie der Pia und der Gehirnrinde von anatomischer Seite besonders
von Parchappe **) studirt worden. Er fand sie unter 38 Fällen
acuten, frischen Irreseins (Formen der Melancholie und Manie)
36mal, besonders häufig (29mal) in der Form der Ecchymose unter
der Arachnoidea, d. h. partiellen, plattenweisen Hyperämieen, welche der
Pia und Arachnoidea gemeinschaftlich angehören, und im Centrum
gleichförmig rothe, an der Peripherie aus punktirten und baumför-
migen Injectionen bestehende Flecke darstellen; unter diesen Fällen
wieder 33mal mit punktirter Injection der Gehirnoberfläche selbst,
17mal mit Erweichung, 15mal mit rother Färbung dieser grauen Substanz.

Er fand dagegen die Hyperämie der Pia und der Gehirnrinde
unter 122 Fällen chronischen Irreseins (im Mittel nach einer
Dauer von 8 Jahren; verschleppte Formen von Manie und Melancholie
und psychische Schwächezustände) nur noch 59mal, darunter 18mal
unter der Form der Ecchymose, hierunter wieder 7mal mit Injection,
5mal mit rother Färbung der Corticalsubstanz, 5mal mit Erweichung
derselben.

*) Letztere übrigens z. B. von Larrey und Haslam beobachtet.
**) Traité de la folie. Documens nécroscopiques. Paris 1841. Dieselben Re-
sultate im 2ten Mémoire. 1838.
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[304/0318] Pathologische Anatomie dagegen findet man oft nur noch ihre Producte oder es sind doch andere Störungen (Atrophie etc.) überwiegend mit ihr complicirt. Sie ist um so wichtiger, als sie die Grundlage und den Ausgangspunkt für die vielfach hier vorkommenden Entzündungsprocesse und deren Resultate, ebenso für Blutaustritte u. dergl. abgiebt. Dass diese Hyperämieen nicht, wie es von einseitigen Entzün- dungspathologen schon geschehen ist, ohne weiteres für Entzündung angesprochen werden dürfen, bedarf keiner Auseinandersetzung. Wir halten sie vielmehr, wie oben bemerkt, in vielen Fällen für eine mechanische, „venöse“ (Guislain) Hyperämie (in Folge von Herzkrankheiten, Lungenkrankheiten, functionellen Abweichungen in der Herzthätigkeit und Respiration, Verengerung der Schädellöcher etc.). Es ist unzwei- felhaft, dass diese Hyperämieen in sehr vielen Fällen Exsudate ver- schiedener Art (seröse, serös-plastische, albuminöse, selten eitrige *)) liefern, und damit unmittelbar zu Entzündungsprocessen werden oder wenigstens durch ihr Product (z. B. andauernde seröse Infiltration) dieselben Folgen, wie verschiedene Entzündungsproducte (Druck) für das Gehirn haben. Unter den neueren Beobachtern ist das Vorkommen der Hype- rämie der Pia und der Gehirnrinde von anatomischer Seite besonders von Parchappe **) studirt worden. Er fand sie unter 38 Fällen acuten, frischen Irreseins (Formen der Melancholie und Manie) 36mal, besonders häufig (29mal) in der Form der Ecchymose unter der Arachnoidea, d. h. partiellen, plattenweisen Hyperämieen, welche der Pia und Arachnoidea gemeinschaftlich angehören, und im Centrum gleichförmig rothe, an der Peripherie aus punktirten und baumför- migen Injectionen bestehende Flecke darstellen; unter diesen Fällen wieder 33mal mit punktirter Injection der Gehirnoberfläche selbst, 17mal mit Erweichung, 15mal mit rother Färbung dieser grauen Substanz. Er fand dagegen die Hyperämie der Pia und der Gehirnrinde unter 122 Fällen chronischen Irreseins (im Mittel nach einer Dauer von 8 Jahren; verschleppte Formen von Manie und Melancholie und psychische Schwächezustände) nur noch 59mal, darunter 18mal unter der Form der Ecchymose, hierunter wieder 7mal mit Injection, 5mal mit rother Färbung der Corticalsubstanz, 5mal mit Erweichung derselben. *) Letztere übrigens z. B. von Larrey und Haslam beobachtet. **) Traité de la folie. Documens nécroscopiques. Paris 1841. Dieselben Re- sultate im 2ten Mémoire. 1838.

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/318>, abgerufen am 25.11.2024.