Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

der Gehirnsubstanz.
Membran mit Hinterlassung einer rauhen, breiig weichen Oberfläche
abgezogen werden, etwa wie die Haut von einem gebratenen Apfel.
Ist die Erweichung der Mittelschichte nur mässig, so kann in diesen
Fällen irrthümlich auf ihr völliges Fehlen geschlossen werden, wenn
die Induration nicht beachtet und nicht in Rechnung gezogen wird,
dass auch diese ursprünglich aus Erweichung hervorging; die Atrophie
der Rindensubstanz durch ein solches Schrumpfen -- analog der
Verschrumpfung vieler andern Theile in Folge der Entzündung, (Nar-
bengewebe) -- kann so beträchtlich werden, dass sie bis auf ein
Minimum gänzlich verloren gegangen ist. (Vgl. den folgenden §.)

Alle diese Störungen gehören dem Blödsinn und zwar vorzugs-
weise dem paralytischen Blödsinn an.

D. Die Gehirnsubstanz selbst.
§. 143.

Volum und Consistenz des Gehirns. In einzelnen Fällen
wird bei Irren, wie bei Epileptischen, ein hypertrophisches Ge-
hirn gefunden. Das Schädeldach kann alsdann, wenn es abgenommen
worden, nicht mehr aufgepasst werden, die Häute sind dünn und
trocken, die Ventrikel enge, die Windungen platt. -- Solche Fälle,
wie der, welchen Larrey (Clinique. I. p. 347) erzählt, wo bei einem
früher Nostalgischen, später Gelähmten, eine bedeutende Schwellung
und Turgescenz des Gehirns mit entzündlichen Exsudaten der Arach-
noidea und einem kleinen Abscess im Cerebellum zugleich vorhanden
war, gehören übrigens nicht zur wahren Hypertrophie. Die Geschwulst
des Gehirns ist hier vielmehr die Folge von Hyperämie und Oedem.
Wahre Hypertrophie dagegen scheinen die vier Fälle von paralyti-
schem Blödsinn zu sein, welche Sc. Pinel (Pathol. cerebr. p. 369)
beschreibt. Die Vergrösserung betraf nur die Marksubstanz, diese
war sehr fest, blendend weiss, sehr elastisch und hatte an Volum
sehr zugenommen, während meistens die graue Rindensubstanz zu-
gleich atrophisch war.

Ein bei weitem häufigeres Ergebniss der Leichenöffnungen ist
die Atrophie des Gehirns, und zwar seiner Windungen. Sie scheint
primitiv aufzutreten als seniler oder frühzeitiger Marasmus des Gehirns
und ist dann die Grundlage eines Irreseins, das von vorn herein den
Character geistiger Schwäche hat. Oder sie ist in den Windungen,
namentlich ihrer Corticalsubstanz, die Folge früherer Texturerkrankung,
der Entzündung, langwieriger Hyperämieen, des Druckes durch ein

20*

der Gehirnsubstanz.
Membran mit Hinterlassung einer rauhen, breiig weichen Oberfläche
abgezogen werden, etwa wie die Haut von einem gebratenen Apfel.
Ist die Erweichung der Mittelschichte nur mässig, so kann in diesen
Fällen irrthümlich auf ihr völliges Fehlen geschlossen werden, wenn
die Induration nicht beachtet und nicht in Rechnung gezogen wird,
dass auch diese ursprünglich aus Erweichung hervorging; die Atrophie
der Rindensubstanz durch ein solches Schrumpfen — analog der
Verschrumpfung vieler andern Theile in Folge der Entzündung, (Nar-
bengewebe) — kann so beträchtlich werden, dass sie bis auf ein
Minimum gänzlich verloren gegangen ist. (Vgl. den folgenden §.)

Alle diese Störungen gehören dem Blödsinn und zwar vorzugs-
weise dem paralytischen Blödsinn an.

D. Die Gehirnsubstanz selbst.
§. 143.

Volum und Consistenz des Gehirns. In einzelnen Fällen
wird bei Irren, wie bei Epileptischen, ein hypertrophisches Ge-
hirn gefunden. Das Schädeldach kann alsdann, wenn es abgenommen
worden, nicht mehr aufgepasst werden, die Häute sind dünn und
trocken, die Ventrikel enge, die Windungen platt. — Solche Fälle,
wie der, welchen Larrey (Clinique. I. p. 347) erzählt, wo bei einem
früher Nostalgischen, später Gelähmten, eine bedeutende Schwellung
und Turgescenz des Gehirns mit entzündlichen Exsudaten der Arach-
noidea und einem kleinen Abscess im Cerebellum zugleich vorhanden
war, gehören übrigens nicht zur wahren Hypertrophie. Die Geschwulst
des Gehirns ist hier vielmehr die Folge von Hyperämie und Oedem.
Wahre Hypertrophie dagegen scheinen die vier Fälle von paralyti-
schem Blödsinn zu sein, welche Sc. Pinel (Pathol. cerebr. p. 369)
beschreibt. Die Vergrösserung betraf nur die Marksubstanz, diese
war sehr fest, blendend weiss, sehr elastisch und hatte an Volum
sehr zugenommen, während meistens die graue Rindensubstanz zu-
gleich atrophisch war.

Ein bei weitem häufigeres Ergebniss der Leichenöffnungen ist
die Atrophie des Gehirns, und zwar seiner Windungen. Sie scheint
primitiv aufzutreten als seniler oder frühzeitiger Marasmus des Gehirns
und ist dann die Grundlage eines Irreseins, das von vorn herein den
Character geistiger Schwäche hat. Oder sie ist in den Windungen,
namentlich ihrer Corticalsubstanz, die Folge früherer Texturerkrankung,
der Entzündung, langwieriger Hyperämieen, des Druckes durch ein

20*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0321" n="307"/><fw place="top" type="header">der Gehirnsubstanz.</fw><lb/>
Membran mit Hinterlassung einer rauhen, breiig weichen Oberfläche<lb/>
abgezogen werden, etwa wie die Haut von einem gebratenen Apfel.<lb/>
Ist die Erweichung der Mittelschichte nur mässig, so kann in diesen<lb/>
Fällen irrthümlich auf ihr völliges Fehlen geschlossen werden, wenn<lb/>
die Induration nicht beachtet und nicht in Rechnung gezogen wird,<lb/>
dass auch diese ursprünglich aus Erweichung hervorging; die Atrophie<lb/>
der Rindensubstanz durch ein solches Schrumpfen &#x2014; analog der<lb/>
Verschrumpfung vieler andern Theile in Folge der Entzündung, (Nar-<lb/>
bengewebe) &#x2014; kann so beträchtlich werden, dass sie bis auf ein<lb/>
Minimum gänzlich verloren gegangen ist. (Vgl. den folgenden §.)</p><lb/>
              <p>Alle diese Störungen gehören dem Blödsinn und zwar vorzugs-<lb/>
weise dem paralytischen Blödsinn an.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#i">D.</hi> Die Gehirnsubstanz selbst.</head><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 143.</head><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Volum und Consistenz des Gehirns</hi>. In einzelnen Fällen<lb/>
wird bei Irren, wie bei Epileptischen, ein <hi rendition="#g">hypertrophisches</hi> Ge-<lb/>
hirn gefunden. Das Schädeldach kann alsdann, wenn es abgenommen<lb/>
worden, nicht mehr aufgepasst werden, die Häute sind dünn und<lb/>
trocken, die Ventrikel enge, die Windungen platt. &#x2014; Solche Fälle,<lb/>
wie der, welchen Larrey (Clinique. I. p. 347) erzählt, wo bei einem<lb/>
früher Nostalgischen, später Gelähmten, eine bedeutende Schwellung<lb/>
und Turgescenz des Gehirns mit entzündlichen Exsudaten der Arach-<lb/>
noidea und einem kleinen Abscess im Cerebellum zugleich vorhanden<lb/>
war, gehören übrigens nicht zur wahren Hypertrophie. Die Geschwulst<lb/>
des Gehirns ist hier vielmehr die Folge von Hyperämie und Oedem.<lb/>
Wahre Hypertrophie dagegen scheinen die vier Fälle von paralyti-<lb/>
schem Blödsinn zu sein, welche Sc. Pinel (Pathol. cerebr. p. 369)<lb/>
beschreibt. Die Vergrösserung betraf nur die Marksubstanz, diese<lb/>
war sehr fest, blendend weiss, sehr elastisch und hatte an Volum<lb/>
sehr zugenommen, während meistens die graue Rindensubstanz zu-<lb/>
gleich atrophisch war.</p><lb/>
              <p>Ein bei weitem häufigeres Ergebniss der Leichenöffnungen ist<lb/>
die <hi rendition="#g">Atrophie</hi> des Gehirns, und zwar seiner Windungen. Sie scheint<lb/>
primitiv aufzutreten als seniler oder frühzeitiger Marasmus des Gehirns<lb/>
und ist dann die Grundlage eines Irreseins, das von vorn herein den<lb/>
Character geistiger Schwäche hat. Oder sie ist in den Windungen,<lb/>
namentlich ihrer Corticalsubstanz, die Folge früherer Texturerkrankung,<lb/>
der Entzündung, langwieriger Hyperämieen, des Druckes durch ein<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">20*</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[307/0321] der Gehirnsubstanz. Membran mit Hinterlassung einer rauhen, breiig weichen Oberfläche abgezogen werden, etwa wie die Haut von einem gebratenen Apfel. Ist die Erweichung der Mittelschichte nur mässig, so kann in diesen Fällen irrthümlich auf ihr völliges Fehlen geschlossen werden, wenn die Induration nicht beachtet und nicht in Rechnung gezogen wird, dass auch diese ursprünglich aus Erweichung hervorging; die Atrophie der Rindensubstanz durch ein solches Schrumpfen — analog der Verschrumpfung vieler andern Theile in Folge der Entzündung, (Nar- bengewebe) — kann so beträchtlich werden, dass sie bis auf ein Minimum gänzlich verloren gegangen ist. (Vgl. den folgenden §.) Alle diese Störungen gehören dem Blödsinn und zwar vorzugs- weise dem paralytischen Blödsinn an. D. Die Gehirnsubstanz selbst. §. 143. Volum und Consistenz des Gehirns. In einzelnen Fällen wird bei Irren, wie bei Epileptischen, ein hypertrophisches Ge- hirn gefunden. Das Schädeldach kann alsdann, wenn es abgenommen worden, nicht mehr aufgepasst werden, die Häute sind dünn und trocken, die Ventrikel enge, die Windungen platt. — Solche Fälle, wie der, welchen Larrey (Clinique. I. p. 347) erzählt, wo bei einem früher Nostalgischen, später Gelähmten, eine bedeutende Schwellung und Turgescenz des Gehirns mit entzündlichen Exsudaten der Arach- noidea und einem kleinen Abscess im Cerebellum zugleich vorhanden war, gehören übrigens nicht zur wahren Hypertrophie. Die Geschwulst des Gehirns ist hier vielmehr die Folge von Hyperämie und Oedem. Wahre Hypertrophie dagegen scheinen die vier Fälle von paralyti- schem Blödsinn zu sein, welche Sc. Pinel (Pathol. cerebr. p. 369) beschreibt. Die Vergrösserung betraf nur die Marksubstanz, diese war sehr fest, blendend weiss, sehr elastisch und hatte an Volum sehr zugenommen, während meistens die graue Rindensubstanz zu- gleich atrophisch war. Ein bei weitem häufigeres Ergebniss der Leichenöffnungen ist die Atrophie des Gehirns, und zwar seiner Windungen. Sie scheint primitiv aufzutreten als seniler oder frühzeitiger Marasmus des Gehirns und ist dann die Grundlage eines Irreseins, das von vorn herein den Character geistiger Schwäche hat. Oder sie ist in den Windungen, namentlich ihrer Corticalsubstanz, die Folge früherer Texturerkrankung, der Entzündung, langwieriger Hyperämieen, des Druckes durch ein 20*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/321
Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/321>, abgerufen am 25.11.2024.