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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Das Vorstellen.
Grunde. Einfache Formen dieser psychischen Einnahme und Ausgabe
sind in verschiedenen Höhen der Ausbildung bei den Thieren und
beim Kinde zu beobachten. Hier sehen wir das wenig vermittelte,
durch stärkere und klarere Vorstellungen wenig beherrschte Umschla-
gen der sensitiven Eindrücke in motorische Erregungen in dem Triebe
zu lebhafter Beweglichkeit, in dem unmittelbaren Heraussagen und
Heraushandeln nach den momentanen, sinnlichen Empfindungsmotiven.
Zwischen diese beiden Grundacte des psychischen Lebens aber schiebt
sich, von der Empfindung angeregt, immer mehr etwas Anderes,
Drittes ein, das zwar Aehnlichkeit mit der Empfindung und die näch-
sten Beziehungen zu ihr hat, aber nicht mehr sie selbst ist. Es
bildet sich gleichsam ein Seitengebiet, das zwischen Empfinden und
motorischem Impuls in die Mitte tritt, und indem es wächst, an
Reichthum und Ausdehnung zunimmt, wird es allmählich zu einem
starken, in sich selbst vielfach gegliederten Centrum, welches das
Empfinden und Bewegen in vielen Beziehungen beherrscht und inner-
halb dessen das ganze geistige Leben des Menschen spielt. Dieses
Gebiet ist das des Vorstellens.

Alles geistige Geschehen geschieht innerhalb des Vorstellens;
dieses ist die eigentliche Energie des Seelenorgans, und alle die
verschiedenen geistigen Thatsachen, die man früher zum Theil als ver-
schiedene Vermögen bezeichnet hat (Phantasiren, Wollen, Gemüths-
bewegungen etc.), sind nur verschiedene Beziehungen des Vorstellens
auf die Empfindung und Bewegung oder Resultate von Conflicten der
Vorstellungen unter sich selbst.

Was das Vorstellen eigentlich sei, weiss Niemand; aber die For-
men seines Vonstattengehens sind der Beobachtung zugänglich, und
der Ort, wo vorgestellt wird, ist nicht unbekannt. Alles scheint dafür
zu sprechen, dass es, wenigstens das recht klare, deutliche Vorstellen,
Sache des grossen Gehirns ist.

Wir haben das ganze Gehirn kennen gelernt als zwei Ganglien
über den Sinnesnerven, in denen sich die centralen Ausbreitungen
dieser mit neuer Nervensubstanz verbinden. Wir finden nun, dem
entsprechend, bei der Analyse des Vorstellens als ein vor allem
wichtiges Verhältniss das stete Zusammen- und Ineinanderwirken der
geistigen Thätigkeit mit der centralen Sinnesthätigkeit. Nicht nur
wird das Vorstellen durch die Sinneseindrücke beständig geweckt,
erregt und unterhalten, nicht nur wird sehr häufig umgekehrt die
Sinnesthätigkeit vom Vorstellen synergisch in Anspruch genommen
und erregt (Hallucinationen, Illusionen, Phantasie), sondern alles unser

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Das Vorstellen.
Grunde. Einfache Formen dieser psychischen Einnahme und Ausgabe
sind in verschiedenen Höhen der Ausbildung bei den Thieren und
beim Kinde zu beobachten. Hier sehen wir das wenig vermittelte,
durch stärkere und klarere Vorstellungen wenig beherrschte Umschla-
gen der sensitiven Eindrücke in motorische Erregungen in dem Triebe
zu lebhafter Beweglichkeit, in dem unmittelbaren Heraussagen und
Heraushandeln nach den momentanen, sinnlichen Empfindungsmotiven.
Zwischen diese beiden Grundacte des psychischen Lebens aber schiebt
sich, von der Empfindung angeregt, immer mehr etwas Anderes,
Drittes ein, das zwar Aehnlichkeit mit der Empfindung und die näch-
sten Beziehungen zu ihr hat, aber nicht mehr sie selbst ist. Es
bildet sich gleichsam ein Seitengebiet, das zwischen Empfinden und
motorischem Impuls in die Mitte tritt, und indem es wächst, an
Reichthum und Ausdehnung zunimmt, wird es allmählich zu einem
starken, in sich selbst vielfach gegliederten Centrum, welches das
Empfinden und Bewegen in vielen Beziehungen beherrscht und inner-
halb dessen das ganze geistige Leben des Menschen spielt. Dieses
Gebiet ist das des Vorstellens.

Alles geistige Geschehen geschieht innerhalb des Vorstellens;
dieses ist die eigentliche Energie des Seelenorgans, und alle die
verschiedenen geistigen Thatsachen, die man früher zum Theil als ver-
schiedene Vermögen bezeichnet hat (Phantasiren, Wollen, Gemüths-
bewegungen etc.), sind nur verschiedene Beziehungen des Vorstellens
auf die Empfindung und Bewegung oder Resultate von Conflicten der
Vorstellungen unter sich selbst.

Was das Vorstellen eigentlich sei, weiss Niemand; aber die For-
men seines Vonstattengehens sind der Beobachtung zugänglich, und
der Ort, wo vorgestellt wird, ist nicht unbekannt. Alles scheint dafür
zu sprechen, dass es, wenigstens das recht klare, deutliche Vorstellen,
Sache des grossen Gehirns ist.

Wir haben das ganze Gehirn kennen gelernt als zwei Ganglien
über den Sinnesnerven, in denen sich die centralen Ausbreitungen
dieser mit neuer Nervensubstanz verbinden. Wir finden nun, dem
entsprechend, bei der Analyse des Vorstellens als ein vor allem
wichtiges Verhältniss das stete Zusammen- und Ineinanderwirken der
geistigen Thätigkeit mit der centralen Sinnesthätigkeit. Nicht nur
wird das Vorstellen durch die Sinneseindrücke beständig geweckt,
erregt und unterhalten, nicht nur wird sehr häufig umgekehrt die
Sinnesthätigkeit vom Vorstellen synergisch in Anspruch genommen
und erregt (Hallucinationen, Illusionen, Phantasie), sondern alles unser

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[19/0033] Das Vorstellen. Grunde. Einfache Formen dieser psychischen Einnahme und Ausgabe sind in verschiedenen Höhen der Ausbildung bei den Thieren und beim Kinde zu beobachten. Hier sehen wir das wenig vermittelte, durch stärkere und klarere Vorstellungen wenig beherrschte Umschla- gen der sensitiven Eindrücke in motorische Erregungen in dem Triebe zu lebhafter Beweglichkeit, in dem unmittelbaren Heraussagen und Heraushandeln nach den momentanen, sinnlichen Empfindungsmotiven. Zwischen diese beiden Grundacte des psychischen Lebens aber schiebt sich, von der Empfindung angeregt, immer mehr etwas Anderes, Drittes ein, das zwar Aehnlichkeit mit der Empfindung und die näch- sten Beziehungen zu ihr hat, aber nicht mehr sie selbst ist. Es bildet sich gleichsam ein Seitengebiet, das zwischen Empfinden und motorischem Impuls in die Mitte tritt, und indem es wächst, an Reichthum und Ausdehnung zunimmt, wird es allmählich zu einem starken, in sich selbst vielfach gegliederten Centrum, welches das Empfinden und Bewegen in vielen Beziehungen beherrscht und inner- halb dessen das ganze geistige Leben des Menschen spielt. Dieses Gebiet ist das des Vorstellens. Alles geistige Geschehen geschieht innerhalb des Vorstellens; dieses ist die eigentliche Energie des Seelenorgans, und alle die verschiedenen geistigen Thatsachen, die man früher zum Theil als ver- schiedene Vermögen bezeichnet hat (Phantasiren, Wollen, Gemüths- bewegungen etc.), sind nur verschiedene Beziehungen des Vorstellens auf die Empfindung und Bewegung oder Resultate von Conflicten der Vorstellungen unter sich selbst. Was das Vorstellen eigentlich sei, weiss Niemand; aber die For- men seines Vonstattengehens sind der Beobachtung zugänglich, und der Ort, wo vorgestellt wird, ist nicht unbekannt. Alles scheint dafür zu sprechen, dass es, wenigstens das recht klare, deutliche Vorstellen, Sache des grossen Gehirns ist. Wir haben das ganze Gehirn kennen gelernt als zwei Ganglien über den Sinnesnerven, in denen sich die centralen Ausbreitungen dieser mit neuer Nervensubstanz verbinden. Wir finden nun, dem entsprechend, bei der Analyse des Vorstellens als ein vor allem wichtiges Verhältniss das stete Zusammen- und Ineinanderwirken der geistigen Thätigkeit mit der centralen Sinnesthätigkeit. Nicht nur wird das Vorstellen durch die Sinneseindrücke beständig geweckt, erregt und unterhalten, nicht nur wird sehr häufig umgekehrt die Sinnesthätigkeit vom Vorstellen synergisch in Anspruch genommen und erregt (Hallucinationen, Illusionen, Phantasie), sondern alles unser 2*

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/33>, abgerufen am 09.11.2024.