Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.Anomalieen der Blutmasse. Ohren-Entzündung. um Fenster und Thüren, Speisekarten und Wascheinrichtungen ihrerAnstalten keine Zeit zu strengeren pathologischen Untersuchungen finden können. -- Dass anämische Zustände durchaus nicht selten sind, dass sie mitunter dem Irresein vorausgehend, in einem offenbar ätiologischen Verhältnisse zu ihm, wie zu andern Gehirnkrankheiten stehen können, ist schon oben erwähnt (p. 140). Es ist uns aber auch wahrscheinlich, dass es secundäre anämische Zustände in pathogene- tischem Zusammenhange mit Geisteskrankheiten gibt; ganz besonders beim paralytischen Blödsinn tritt nach unserer eigenen Beobachtung nicht ganz selten ein solcher ein, mit wachsweisser Entfärbung der allgemeinen Decken und auffallender Gedunsenheit, ähnlich wie in der Chlorose. Wir sind geneigt, diese mehr chronischen Vorgänge jener interessanten Beobachtung Rokitansky's anzureihen, welcher in Folge von Gehirnerschütterung und traumatischer Erkrankung des Gehirns eine bei bestehender Körperfülle sehr auffallende Consumtion der Blutmasse (Anämie) beobachtete (Patholog. Anatomie. II. p. 778). Eine directe Bestätigung finden wir in der von Thore (Annales med.- psychol. Juli 1844. p. 40) gegebenen Notiz, dass das aus der Ader gelassene Blut bei den Paralytisch-Blödsinnigen -- sogar bei Pneu- monie -- im Durchschnitt eine seröse Beschaffenheit und einen consistenzlosen Blutkuchen zeigte. Doch sind in Bezug auf solche Blutveränderungen immer dieje- §. 149. Unter den bei Geisteskranken häufiger vorkommenden Local- Griesinger, psych. Krankhtn. 21
Anomalieen der Blutmasse. Ohren-Entzündung. um Fenster und Thüren, Speisekarten und Wascheinrichtungen ihrerAnstalten keine Zeit zu strengeren pathologischen Untersuchungen finden können. — Dass anämische Zustände durchaus nicht selten sind, dass sie mitunter dem Irresein vorausgehend, in einem offenbar ätiologischen Verhältnisse zu ihm, wie zu andern Gehirnkrankheiten stehen können, ist schon oben erwähnt (p. 140). Es ist uns aber auch wahrscheinlich, dass es secundäre anämische Zustände in pathogene- tischem Zusammenhange mit Geisteskrankheiten gibt; ganz besonders beim paralytischen Blödsinn tritt nach unserer eigenen Beobachtung nicht ganz selten ein solcher ein, mit wachsweisser Entfärbung der allgemeinen Decken und auffallender Gedunsenheit, ähnlich wie in der Chlorose. Wir sind geneigt, diese mehr chronischen Vorgänge jener interessanten Beobachtung Rokitansky’s anzureihen, welcher in Folge von Gehirnerschütterung und traumatischer Erkrankung des Gehirns eine bei bestehender Körperfülle sehr auffallende Consumtion der Blutmasse (Anämie) beobachtete (Patholog. Anatomie. II. p. 778). Eine directe Bestätigung finden wir in der von Thore (Annales med.- psychol. Juli 1844. p. 40) gegebenen Notiz, dass das aus der Ader gelassene Blut bei den Paralytisch-Blödsinnigen — sogar bei Pneu- monie — im Durchschnitt eine seröse Beschaffenheit und einen consistenzlosen Blutkuchen zeigte. Doch sind in Bezug auf solche Blutveränderungen immer dieje- §. 149. Unter den bei Geisteskranken häufiger vorkommenden Local- Griesinger, psych. Krankhtn. 21
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Anomalieen der Blutmasse. Ohren-Entzündung.
um Fenster und Thüren, Speisekarten und Wascheinrichtungen ihrer
Anstalten keine Zeit zu strengeren pathologischen Untersuchungen
finden können. — Dass anämische Zustände durchaus nicht selten
sind, dass sie mitunter dem Irresein vorausgehend, in einem offenbar
ätiologischen Verhältnisse zu ihm, wie zu andern Gehirnkrankheiten
stehen können, ist schon oben erwähnt (p. 140). Es ist uns aber auch
wahrscheinlich, dass es secundäre anämische Zustände in pathogene-
tischem Zusammenhange mit Geisteskrankheiten gibt; ganz besonders
beim paralytischen Blödsinn tritt nach unserer eigenen Beobachtung
nicht ganz selten ein solcher ein, mit wachsweisser Entfärbung der
allgemeinen Decken und auffallender Gedunsenheit, ähnlich wie in
der Chlorose. Wir sind geneigt, diese mehr chronischen Vorgänge
jener interessanten Beobachtung Rokitansky’s anzureihen, welcher
in Folge von Gehirnerschütterung und traumatischer Erkrankung des
Gehirns eine bei bestehender Körperfülle sehr auffallende Consumtion
der Blutmasse (Anämie) beobachtete (Patholog. Anatomie. II. p. 778).
Eine directe Bestätigung finden wir in der von Thore (Annales med.-
psychol. Juli 1844. p. 40) gegebenen Notiz, dass das aus der Ader
gelassene Blut bei den Paralytisch-Blödsinnigen — sogar bei Pneu-
monie — im Durchschnitt eine seröse Beschaffenheit und einen
consistenzlosen Blutkuchen zeigte.
Doch sind in Bezug auf solche Blutveränderungen immer dieje-
nigen schädlichen Momente sorgfältig in Anschlag zu bringen, welche
der Aufenthalt in einzelnen grossen Irrenanstalten mit sich bringt —
schlechte Ernährung, Mangel an Bewegung, Anhäufung vieler in enge
Räume zusammengepackter Kranken etc. Hierdurch vor Allem scheinen
jene leichteren oder schwereren scorbutischen Affectionen bedingt zu
werden, die in einzelnen französischen Irrenanstalten, wie auch in
Gefängnissen, auf Schiffen etc. zur beständigen Plage der Kranken
und zu einer nicht seltenen Todesursache werden.
§. 149.
Unter den bei Geisteskranken häufiger vorkommenden Local-
affectionen haben wir zuerst der bekannten Erkrankung des äusseren
Ohrs zu erwähnen, die gewöhnlich unter dem Namen des Erysipels
des äusseren Ohrs aufgeführt wird. Die Haut der Ohrmuschel
schwillt an, wird glatt, gespannt und zeigt eine undeutliche Fluctuation;
das ganze Ohr wird dicker, blauroth, heiss und schmerzhaft. Beim
Einschnitt findet man eine mit halb gestocktem, halb wässrigem
Blut gefüllte Höhle, welche sich nach der Eröffnung bald wieder
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