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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Ueber Rückfälle der Genesenen.
§. 158.

Die durchschnittliche Haltbarkeit der Genesung muss nach
der Zahl der Rückfälle beurtheilt werden. Jakobi zählte auf 100
Herstellungen etwa 25 Wiederaufnahmen, Parchappe auf 498 Genesene
164 Recidive; Farr berechnet aus 5846 in den englischen Grafschafts-
Anstalten Genesenen 1200 (über 1/4), Julius gibt für die Retreat bei
York die officielle Zahl von 31 Recidiven auf 100 Herstellungen an
(hält aber das Verhältniss in Wahrheit für viel höher) *), und man
wird durchschnittlich annehmen können, dass etwa 1/4 der Genesenen
später noch einmal erkranke. Im ersten und zweiten Jahr nach der
Herstellung sind die Recidive bei weitem am häufigsten, was sich aus
der oft lange zurückbleibenden höheren psychischen Reizbarkeit und
leichteren körperlichen Erkrankbarkeit nach einer so schweren Störung,
mitunter auch aus einer offenbar zu frühzeitigen Entlassung aus den
Anstalten leicht erklärt. Man bedenke auch, wie selten bei den
meisten chronischen Krankheiten die völligen, dauernden Genesungen
sind, wie schwierig es ist, gewisse, von frühester Jugend her beste-
hende constitutionelle Ursachen zu heben, deren stetes Fortwirken
immer neue Erkrankungen in der einmal gewohnten pathologischen
Richtung zur Folge hat. Man schreibe es nicht der Unmacht der
Kunst oder einem gerade für diese Krankheitsformen prädestinirten
Unheile zu, wenn die Genesenen wieder erkranken, welche sich der
ganzen Einwirkung Gesundheitszerrüttender Momente von Neuem
aussetzen, die schon an ihrer erstmaligen Krankheit Schuld waren.
Dem Genesenen, der zur Gewohnheit der Trunksucht, zum Elend, zu
überanstrengender Beschäftigung, zu den Ursachen heftiger Leiden-
schaften und Affecte zurückkehrt, können Recidive fast sicher voraus-
gesagt werden, und namentlich die Säufer kann man aus den Irren-
Anstalten fast jedesmal nur mit der unerfreulichen Aussicht auf baldiges
Wiedersehen entlassen. -- Im Ganzen aber zeigt der Ueberblick über
die Prognose des Irreseins weit tröstlichere Resultate, als es die ge-
wöhnliche Ansicht der Aerzte und Laien ist; namentlich wird man
die Prognose des frisch ausgebrochenen Irreseins für bedeutend günstiger
als die der meisten übrigen Gehirnkrankheiten, ganz besonders als
die der epileptischen Zustände, halten dürfen.


*) Wobei die eigenthümlichen Umstände, welche unter den Quäkern die Er-
krankungen vermehren, in Betracht zu ziehen sind.
Ueber Rückfälle der Genesenen.
§. 158.

Die durchschnittliche Haltbarkeit der Genesung muss nach
der Zahl der Rückfälle beurtheilt werden. Jakobi zählte auf 100
Herstellungen etwa 25 Wiederaufnahmen, Parchappe auf 498 Genesene
164 Recidive; Farr berechnet aus 5846 in den englischen Grafschafts-
Anstalten Genesenen 1200 (über ¼), Julius gibt für die Retreat bei
York die officielle Zahl von 31 Recidiven auf 100 Herstellungen an
(hält aber das Verhältniss in Wahrheit für viel höher) *), und man
wird durchschnittlich annehmen können, dass etwa ¼ der Genesenen
später noch einmal erkranke. Im ersten und zweiten Jahr nach der
Herstellung sind die Recidive bei weitem am häufigsten, was sich aus
der oft lange zurückbleibenden höheren psychischen Reizbarkeit und
leichteren körperlichen Erkrankbarkeit nach einer so schweren Störung,
mitunter auch aus einer offenbar zu frühzeitigen Entlassung aus den
Anstalten leicht erklärt. Man bedenke auch, wie selten bei den
meisten chronischen Krankheiten die völligen, dauernden Genesungen
sind, wie schwierig es ist, gewisse, von frühester Jugend her beste-
hende constitutionelle Ursachen zu heben, deren stetes Fortwirken
immer neue Erkrankungen in der einmal gewohnten pathologischen
Richtung zur Folge hat. Man schreibe es nicht der Unmacht der
Kunst oder einem gerade für diese Krankheitsformen prädestinirten
Unheile zu, wenn die Genesenen wieder erkranken, welche sich der
ganzen Einwirkung Gesundheitszerrüttender Momente von Neuem
aussetzen, die schon an ihrer erstmaligen Krankheit Schuld waren.
Dem Genesenen, der zur Gewohnheit der Trunksucht, zum Elend, zu
überanstrengender Beschäftigung, zu den Ursachen heftiger Leiden-
schaften und Affecte zurückkehrt, können Recidive fast sicher voraus-
gesagt werden, und namentlich die Säufer kann man aus den Irren-
Anstalten fast jedesmal nur mit der unerfreulichen Aussicht auf baldiges
Wiedersehen entlassen. — Im Ganzen aber zeigt der Ueberblick über
die Prognose des Irreseins weit tröstlichere Resultate, als es die ge-
wöhnliche Ansicht der Aerzte und Laien ist; namentlich wird man
die Prognose des frisch ausgebrochenen Irreseins für bedeutend günstiger
als die der meisten übrigen Gehirnkrankheiten, ganz besonders als
die der epileptischen Zustände, halten dürfen.


*) Wobei die eigenthümlichen Umstände, welche unter den Quäkern die Er-
krankungen vermehren, in Betracht zu ziehen sind.
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[340/0354] Ueber Rückfälle der Genesenen. §. 158. Die durchschnittliche Haltbarkeit der Genesung muss nach der Zahl der Rückfälle beurtheilt werden. Jakobi zählte auf 100 Herstellungen etwa 25 Wiederaufnahmen, Parchappe auf 498 Genesene 164 Recidive; Farr berechnet aus 5846 in den englischen Grafschafts- Anstalten Genesenen 1200 (über ¼), Julius gibt für die Retreat bei York die officielle Zahl von 31 Recidiven auf 100 Herstellungen an (hält aber das Verhältniss in Wahrheit für viel höher) *), und man wird durchschnittlich annehmen können, dass etwa ¼ der Genesenen später noch einmal erkranke. Im ersten und zweiten Jahr nach der Herstellung sind die Recidive bei weitem am häufigsten, was sich aus der oft lange zurückbleibenden höheren psychischen Reizbarkeit und leichteren körperlichen Erkrankbarkeit nach einer so schweren Störung, mitunter auch aus einer offenbar zu frühzeitigen Entlassung aus den Anstalten leicht erklärt. Man bedenke auch, wie selten bei den meisten chronischen Krankheiten die völligen, dauernden Genesungen sind, wie schwierig es ist, gewisse, von frühester Jugend her beste- hende constitutionelle Ursachen zu heben, deren stetes Fortwirken immer neue Erkrankungen in der einmal gewohnten pathologischen Richtung zur Folge hat. Man schreibe es nicht der Unmacht der Kunst oder einem gerade für diese Krankheitsformen prädestinirten Unheile zu, wenn die Genesenen wieder erkranken, welche sich der ganzen Einwirkung Gesundheitszerrüttender Momente von Neuem aussetzen, die schon an ihrer erstmaligen Krankheit Schuld waren. Dem Genesenen, der zur Gewohnheit der Trunksucht, zum Elend, zu überanstrengender Beschäftigung, zu den Ursachen heftiger Leiden- schaften und Affecte zurückkehrt, können Recidive fast sicher voraus- gesagt werden, und namentlich die Säufer kann man aus den Irren- Anstalten fast jedesmal nur mit der unerfreulichen Aussicht auf baldiges Wiedersehen entlassen. — Im Ganzen aber zeigt der Ueberblick über die Prognose des Irreseins weit tröstlichere Resultate, als es die ge- wöhnliche Ansicht der Aerzte und Laien ist; namentlich wird man die Prognose des frisch ausgebrochenen Irreseins für bedeutend günstiger als die der meisten übrigen Gehirnkrankheiten, ganz besonders als die der epileptischen Zustände, halten dürfen. *) Wobei die eigenthümlichen Umstände, welche unter den Quäkern die Er- krankungen vermehren, in Betracht zu ziehen sind.

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/354>, abgerufen am 22.11.2024.