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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Heil- und Pflege-Anstalten.
das Irresein auf Sündhaftigkeit beruhe! ob bei den Irren der Körper oder die
Seele erkrankt sei! etc.) die practischen Bestrebungen fast ganz und mit den
besten Erfolgen auf das Anstaltswesen gerichtet. Die literarische Behandlung
dieser practischen Fragen ist freilich durch die ungemeine Pedanterie, mit wel-
cher alle Kleinigkeiten des Anstalts-Wesens, als ob es die ersten Principien-
fragen gälte, debattirt werden, eine höchst verdriessliche geworden, und das
Interesse ward durch die Richtung auf diese Bagatellen zum Theil von den
wichtigsten Punkten der Psychiatrie abgelenkt; indessen wird man hier Manches
mit der Neuheit der Sache entschuldigen und immer ehrend und dankbar die Be-
mühungen anerkennen müssen, durch welche in so kurzer Zeit so bedeutende
Resultate herbeigeführt wurden.

§. 187.

Vom Beginn der Reformen an fasste besonders in Deutschland
die Ueberzeugung Wurzel, dass die erste Bedingung des Gelingens
der Curzwecke die Trennung der heilbaren von den unheil-
baren Irren
sei. In der That erweist sich eine Durcheinander-
mischung der frischen Fälle mit den unheilbaren, ganz verkommenen,
vollends gar mit epileptischen Irren oder mit Cretinen nicht nur durch
den höchst üblen Einfluss nachtheilig, den schon der Anblick dieser
Versunkenen auf die Neuerkrankten macht; es bedürfen beide Classen
von Irren auch in Manchem verschiedener Einrichtungen zu ihrer
Pflege, und es wird natürlich hei solcher Vermischung der Raum der
Anstalt von den Unheilbaren allmählig ganz ausgefüllt, so dass es
bald gar nicht mehr zur Aufnahme frischer, eben recht heilbarer Fälle
kommen kann. Während man in einzelnen ausländischen Anstalten,
z. B. der Salpetriere, aus solchen Gründen verschiedene Abtheilungen
einer Anstalt für die zu activer Behandlung geeigneten und für die
ganz chronischen Fälle bestimmte, nahm man Anfangs in Deutsch-
land, wie auch mehrfach in England, das Princip der Errichtung
ganz getrennter, besonderer Anstalten für heilbare und unheilbare
Fälle an (Sonnenstein, Siegburg, Leubus, Winnenthal). Man fand sich
zu dieser Einrichtung besonderer Heil- und Pflege-Anstalten
durch mehrfache Gründe veranlasst. Man wollte oder konnte die
neuen, mit beträchtlichen Kosten verbundenen Reformversuche im
Anstaltswesen zuerst vorzugsweise für einen Theil der Irren, für die
Heilbaren, in Anwendung bringen; man richtete desswegen für die-
selben ganz neue Anstalten ein, während man die alten, bestehenden
Irrenhäuser, welche sich als ganz ungenügend zur Verfolgung von
Heilzwecken auswiesen, doch noch mit passenden Veränderungen zu
blossen Bewahranstalten brauchen konnte. Man gewann die Einsicht,

Heil- und Pflege-Anstalten.
das Irresein auf Sündhaftigkeit beruhe! ob bei den Irren der Körper oder die
Seele erkrankt sei! etc.) die practischen Bestrebungen fast ganz und mit den
besten Erfolgen auf das Anstaltswesen gerichtet. Die literarische Behandlung
dieser practischen Fragen ist freilich durch die ungemeine Pedanterie, mit wel-
cher alle Kleinigkeiten des Anstalts-Wesens, als ob es die ersten Principien-
fragen gälte, debattirt werden, eine höchst verdriessliche geworden, und das
Interesse ward durch die Richtung auf diese Bagatellen zum Theil von den
wichtigsten Punkten der Psychiatrie abgelenkt; indessen wird man hier Manches
mit der Neuheit der Sache entschuldigen und immer ehrend und dankbar die Be-
mühungen anerkennen müssen, durch welche in so kurzer Zeit so bedeutende
Resultate herbeigeführt wurden.

§. 187.

Vom Beginn der Reformen an fasste besonders in Deutschland
die Ueberzeugung Wurzel, dass die erste Bedingung des Gelingens
der Curzwecke die Trennung der heilbaren von den unheil-
baren Irren
sei. In der That erweist sich eine Durcheinander-
mischung der frischen Fälle mit den unheilbaren, ganz verkommenen,
vollends gar mit epileptischen Irren oder mit Cretinen nicht nur durch
den höchst üblen Einfluss nachtheilig, den schon der Anblick dieser
Versunkenen auf die Neuerkrankten macht; es bedürfen beide Classen
von Irren auch in Manchem verschiedener Einrichtungen zu ihrer
Pflege, und es wird natürlich hei solcher Vermischung der Raum der
Anstalt von den Unheilbaren allmählig ganz ausgefüllt, so dass es
bald gar nicht mehr zur Aufnahme frischer, eben recht heilbarer Fälle
kommen kann. Während man in einzelnen ausländischen Anstalten,
z. B. der Salpetrière, aus solchen Gründen verschiedene Abtheilungen
einer Anstalt für die zu activer Behandlung geeigneten und für die
ganz chronischen Fälle bestimmte, nahm man Anfangs in Deutsch-
land, wie auch mehrfach in England, das Princip der Errichtung
ganz getrennter, besonderer Anstalten für heilbare und unheilbare
Fälle an (Sonnenstein, Siegburg, Leubus, Winnenthal). Man fand sich
zu dieser Einrichtung besonderer Heil- und Pflege-Anstalten
durch mehrfache Gründe veranlasst. Man wollte oder konnte die
neuen, mit beträchtlichen Kosten verbundenen Reformversuche im
Anstaltswesen zuerst vorzugsweise für einen Theil der Irren, für die
Heilbaren, in Anwendung bringen; man richtete desswegen für die-
selben ganz neue Anstalten ein, während man die alten, bestehenden
Irrenhäuser, welche sich als ganz ungenügend zur Verfolgung von
Heilzwecken auswiesen, doch noch mit passenden Veränderungen zu
blossen Bewahranstalten brauchen konnte. Man gewann die Einsicht,

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[384/0398] Heil- und Pflege-Anstalten. das Irresein auf Sündhaftigkeit beruhe! ob bei den Irren der Körper oder die Seele erkrankt sei! etc.) die practischen Bestrebungen fast ganz und mit den besten Erfolgen auf das Anstaltswesen gerichtet. Die literarische Behandlung dieser practischen Fragen ist freilich durch die ungemeine Pedanterie, mit wel- cher alle Kleinigkeiten des Anstalts-Wesens, als ob es die ersten Principien- fragen gälte, debattirt werden, eine höchst verdriessliche geworden, und das Interesse ward durch die Richtung auf diese Bagatellen zum Theil von den wichtigsten Punkten der Psychiatrie abgelenkt; indessen wird man hier Manches mit der Neuheit der Sache entschuldigen und immer ehrend und dankbar die Be- mühungen anerkennen müssen, durch welche in so kurzer Zeit so bedeutende Resultate herbeigeführt wurden. §. 187. Vom Beginn der Reformen an fasste besonders in Deutschland die Ueberzeugung Wurzel, dass die erste Bedingung des Gelingens der Curzwecke die Trennung der heilbaren von den unheil- baren Irren sei. In der That erweist sich eine Durcheinander- mischung der frischen Fälle mit den unheilbaren, ganz verkommenen, vollends gar mit epileptischen Irren oder mit Cretinen nicht nur durch den höchst üblen Einfluss nachtheilig, den schon der Anblick dieser Versunkenen auf die Neuerkrankten macht; es bedürfen beide Classen von Irren auch in Manchem verschiedener Einrichtungen zu ihrer Pflege, und es wird natürlich hei solcher Vermischung der Raum der Anstalt von den Unheilbaren allmählig ganz ausgefüllt, so dass es bald gar nicht mehr zur Aufnahme frischer, eben recht heilbarer Fälle kommen kann. Während man in einzelnen ausländischen Anstalten, z. B. der Salpetrière, aus solchen Gründen verschiedene Abtheilungen einer Anstalt für die zu activer Behandlung geeigneten und für die ganz chronischen Fälle bestimmte, nahm man Anfangs in Deutsch- land, wie auch mehrfach in England, das Princip der Errichtung ganz getrennter, besonderer Anstalten für heilbare und unheilbare Fälle an (Sonnenstein, Siegburg, Leubus, Winnenthal). Man fand sich zu dieser Einrichtung besonderer Heil- und Pflege-Anstalten durch mehrfache Gründe veranlasst. Man wollte oder konnte die neuen, mit beträchtlichen Kosten verbundenen Reformversuche im Anstaltswesen zuerst vorzugsweise für einen Theil der Irren, für die Heilbaren, in Anwendung bringen; man richtete desswegen für die- selben ganz neue Anstalten ein, während man die alten, bestehenden Irrenhäuser, welche sich als ganz ungenügend zur Verfolgung von Heilzwecken auswiesen, doch noch mit passenden Veränderungen zu blossen Bewahranstalten brauchen konnte. Man gewann die Einsicht,

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/398>, abgerufen am 24.11.2024.