Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819.
Und welchen sonst bestreitest du ihr denn? Wagst du's an ihrem Herzen wohl zu zweifeln, Der, was er ist, nur ihrem Herzen dankt? Sieh um dich her! Es ist kein Einz'ger hier, Dem sie nicht wohlgethan, der nicht an sich, In Haus und Feld, an Gut und bey den Seinen Von ihrer Milde reiche Spuren trägt; Nicht einer, dessen Herz nicht höher schlüge, Wenn er sich Mitylene's Bürger, Wenn er sich Sappho's Landgenosse nennt. Frag jene Bebende an deiner Seite, Genossinn, scheint's, der That mehr, als der Schuld, Wie gegen sich die Herrinn sie gefunden? Was hatte wohl die Sklavinn dir zu biethen? Wenn sie dir wohlgefiel, so war es Sappho's Geist, War Sappho's milder, mütterlicher Geist, Der ansprach dich aus ihres Werkes Munde. O presse nur die Stirn! du strebst vergebens, Du löschest die Erinn rung nimmer aus! Und was willst du beginnen? Wohin fliehn? Kein Schutzort ist für dich auf dieser Erde; In jedes M nschen frommgesinnter Brust Erhebt ein Feind dem Feinde sich des Schönen. Vorangehn wird der Ruf vor deinen Schritten, Und schreyen wird er in der Menschen Ohr: Hier Sappho's Mörder! Hier der Götter Feind! Und vogelfrey wirst du das Land durchirren, Mit ihr, der du Verderben gabst für Schutz.
Und welchen ſonſt beſtreiteſt du ihr denn? Wagſt du's an ihrem Herzen wohl zu zweifeln, Der, was er iſt, nur ihrem Herzen dankt? Sieh um dich her! Es iſt kein Einz'ger hier, Dem ſie nicht wohlgethan, der nicht an ſich, In Haus und Feld, an Gut und bey den Seinen Von ihrer Milde reiche Spuren trägt; Nicht einer, deſſen Herz nicht höher ſchlüge, Wenn er ſich Mitylene's Bürger, Wenn er ſich Sappho's Landgenoſſe nennt. Frag jene Bebende an deiner Seite, Genoſſinn, ſcheint's, der That mehr, als der Schuld, Wie gegen ſich die Herrinn ſie gefunden? Was hatte wohl die Sklavinn dir zu biethen? Wenn ſie dir wohlgefiel, ſo war es Sappho's Geiſt, War Sappho's milder, mütterlicher Geiſt, Der anſprach dich aus ihres Werkes Munde. O preſſe nur die Stirn! du ſtrebſt vergebens, Du löſcheſt die Erinn rung nimmer aus! Und was willſt du beginnen? Wohin fliehn? Kein Schutzort iſt für dich auf dieſer Erde; In jedes M nſchen frommgeſinnter Bruſt Erhebt ein Feind dem Feinde ſich des Schönen. Vorangehn wird der Ruf vor deinen Schritten, Und ſchreyen wird er in der Menſchen Ohr: Hier Sappho's Mörder! Hier der Götter Feind! Und vogelfrey wirſt du das Land durchirren, Mit ihr, der du Verderben gabſt für Schutz. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#RHA"> <p><pb facs="#f0127" n="117"/> Und welchen ſonſt beſtreiteſt du ihr denn?<lb/> Wagſt du's an ihrem <hi rendition="#g">Herzen</hi> wohl zu zweifeln,<lb/> Der, was er iſt, nur ihrem Herzen dankt?<lb/> Sieh um dich her! Es iſt kein Einz'ger hier,<lb/> Dem ſie nicht wohlgethan, der nicht an ſich,<lb/> In Haus und Feld, an Gut und bey den Seinen<lb/> Von ihrer Milde reiche Spuren trägt;<lb/> Nicht einer, deſſen Herz nicht höher ſchlüge,<lb/> Wenn er ſich Mitylene's Bürger,<lb/> Wenn er ſich Sappho's Landgenoſſe nennt.<lb/> Frag jene Bebende an deiner Seite,<lb/> Genoſſinn, ſcheint's, der That mehr, als der Schuld,<lb/> Wie gegen ſich die Herrinn ſie gefunden?<lb/> Was hatte wohl die Sklavinn dir zu biethen?<lb/> Wenn ſie dir wohlgefiel, ſo war es Sappho's Geiſt,<lb/> War Sappho's milder, mütterlicher Geiſt,<lb/> Der anſprach dich aus ihres Werkes Munde.<lb/> O preſſe nur die Stirn! du ſtrebſt vergebens,<lb/> Du löſcheſt die Erinn rung nimmer aus!<lb/> Und was willſt du beginnen? Wohin fliehn?<lb/> Kein Schutzort iſt für dich auf dieſer Erde;<lb/> In jedes M nſchen frommgeſinnter Bruſt<lb/> Erhebt ein Feind dem Feinde ſich des Schönen.<lb/> Vorangehn wird der Ruf vor deinen Schritten,<lb/> Und ſchreyen wird er in der Menſchen Ohr:<lb/> Hier Sappho's Mörder! Hier der Götter Feind!<lb/> Und vogelfrey wirſt du das Land durchirren,<lb/> Mit ihr, der du Verderben gabſt für Schutz.<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [117/0127]
Und welchen ſonſt beſtreiteſt du ihr denn?
Wagſt du's an ihrem Herzen wohl zu zweifeln,
Der, was er iſt, nur ihrem Herzen dankt?
Sieh um dich her! Es iſt kein Einz'ger hier,
Dem ſie nicht wohlgethan, der nicht an ſich,
In Haus und Feld, an Gut und bey den Seinen
Von ihrer Milde reiche Spuren trägt;
Nicht einer, deſſen Herz nicht höher ſchlüge,
Wenn er ſich Mitylene's Bürger,
Wenn er ſich Sappho's Landgenoſſe nennt.
Frag jene Bebende an deiner Seite,
Genoſſinn, ſcheint's, der That mehr, als der Schuld,
Wie gegen ſich die Herrinn ſie gefunden?
Was hatte wohl die Sklavinn dir zu biethen?
Wenn ſie dir wohlgefiel, ſo war es Sappho's Geiſt,
War Sappho's milder, mütterlicher Geiſt,
Der anſprach dich aus ihres Werkes Munde.
O preſſe nur die Stirn! du ſtrebſt vergebens,
Du löſcheſt die Erinn rung nimmer aus!
Und was willſt du beginnen? Wohin fliehn?
Kein Schutzort iſt für dich auf dieſer Erde;
In jedes M nſchen frommgeſinnter Bruſt
Erhebt ein Feind dem Feinde ſich des Schönen.
Vorangehn wird der Ruf vor deinen Schritten,
Und ſchreyen wird er in der Menſchen Ohr:
Hier Sappho's Mörder! Hier der Götter Feind!
Und vogelfrey wirſt du das Land durchirren,
Mit ihr, der du Verderben gabſt für Schutz.
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