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Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819.

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Phaon.
Wer glaubte auch, daß Hellas erste Frau
Auf Hellas letzten Jüngling würde schauen.
Sappho.
Dem Schicksal thust du Unrecht und dir selbst!
Verachte nicht der Götter goldne Gaben,
Die sie bey der Geburt dem Kinde, das
Zum Vollgenuß des Lebens sie bestimmt,
Auf Wang' und Stirn, in Herz und Busen gie-
ßen!
Gar sich're Stützen sind's, an die das Daseyn
Die leichtzerriss'nen Fäden knüpfen mag.
Des Leibes Schönheit ist ein schönes Gut,
Und Lebenslust ein köstlicher Gewinn;
Der kühne Muth, der Weltgebiether Stärke,
Entschlossenheit und Muth an dem, was ist,
Und Phantasie, hold dienend, wie sie soll,
Sie schmücken dieses Lebens rauhe Pfade,
Und leben ist ja doch des Lebens höchstes Ziel!
Umsonst nicht hat zum Schmuck der Musen Chor
Den unfruchtbaren Lorbeer sich erwählt,
Kalt, frucht- und duftlos drücket er das Haupt,
Dem er Ersatz versprach für manches Opfer.
Gar ängstlich steht sich's auf der Menschheit
Höh'n,
Und ewig ist die arme Kunst gezwungen,

(mit ausgebreiteten Armen gegen Phaon.)
Zu betteln von des Lebens Ueberfluß!

Phaon.
Wer glaubte auch, daß Hellas erſte Frau
Auf Hellas letzten Jüngling würde ſchauen.
Sappho.
Dem Schickſal thuſt du Unrecht und dir ſelbſt!
Verachte nicht der Götter goldne Gaben,
Die ſie bey der Geburt dem Kinde, das
Zum Vollgenuß des Lebens ſie beſtimmt,
Auf Wang' und Stirn, in Herz und Buſen gie-
ßen!
Gar ſich're Stützen ſind's, an die das Daſeyn
Die leichtzerriſſ'nen Fäden knüpfen mag.
Des Leibes Schönheit iſt ein ſchönes Gut,
Und Lebensluſt ein köſtlicher Gewinn;
Der kühne Muth, der Weltgebiether Stärke,
Entſchloſſenheit und Muth an dem, was iſt,
Und Phantaſie, hold dienend, wie ſie ſoll,
Sie ſchmücken dieſes Lebens rauhe Pfade,
Und leben iſt ja doch des Lebens höchſtes Ziel!
Umſonſt nicht hat zum Schmuck der Muſen Chor
Den unfruchtbaren Lorbeer ſich erwählt,
Kalt, frucht- und duftlos drücket er das Haupt,
Dem er Erſatz verſprach für manches Opfer.
Gar ängſtlich ſteht ſich's auf der Menſchheit
Höh'n,
Und ewig iſt die arme Kunſt gezwungen,

(mit ausgebreiteten Armen gegen Phaon.)
Zu betteln von des Lebens Ueberfluß!

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[16/0026] Phaon. Wer glaubte auch, daß Hellas erſte Frau Auf Hellas letzten Jüngling würde ſchauen. Sappho. Dem Schickſal thuſt du Unrecht und dir ſelbſt! Verachte nicht der Götter goldne Gaben, Die ſie bey der Geburt dem Kinde, das Zum Vollgenuß des Lebens ſie beſtimmt, Auf Wang' und Stirn, in Herz und Buſen gie- ßen! Gar ſich're Stützen ſind's, an die das Daſeyn Die leichtzerriſſ'nen Fäden knüpfen mag. Des Leibes Schönheit iſt ein ſchönes Gut, Und Lebensluſt ein köſtlicher Gewinn; Der kühne Muth, der Weltgebiether Stärke, Entſchloſſenheit und Muth an dem, was iſt, Und Phantaſie, hold dienend, wie ſie ſoll, Sie ſchmücken dieſes Lebens rauhe Pfade, Und leben iſt ja doch des Lebens höchſtes Ziel! Umſonſt nicht hat zum Schmuck der Muſen Chor Den unfruchtbaren Lorbeer ſich erwählt, Kalt, frucht- und duftlos drücket er das Haupt, Dem er Erſatz verſprach für manches Opfer. Gar ängſtlich ſteht ſich's auf der Menſchheit Höh'n, Und ewig iſt die arme Kunſt gezwungen, (mit ausgebreiteten Armen gegen Phaon.) Zu betteln von des Lebens Ueberfluß!

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Zitationshilfe: Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_sappho_1819/26>, abgerufen am 23.11.2024.