Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819.Vierter Aufzug. Freye Gegend wie in den vorigen Aufzügen. Mondnacht. Erster Auftritt. Sappho (kömmt, in tiefe Gedanken versenkt. Sie bleibt stehen. -- Nach einer Pause.) Bin ich denn noch? und ist denn Etwas noch? Dieß weite All, es stürzte nicht zusammen In jenem fürchterlichen Augenblick? Die Dunkelheit, die brütend mich umfängt, Es ist die Nacht und nicht das Grab! Man sagt ja doch, ein ungeheurer Schmerz, Er könne tödten. -- Ach, es ist nicht so! -- Still ist es um mich her, die Lüfte schweigen, Des Lebens muntre Töne sind verstummt, Kein Laut schallt aus den unbewegten Blättern, Und einsam, wie ein spätverirrter Fremdling, Geht meines Weinens Stimme durch die Nacht. -- Vierter Aufzug. Freye Gegend wie in den vorigen Aufzügen. Mondnacht. Erſter Auftritt. Sappho (kömmt, in tiefe Gedanken verſenkt. Sie bleibt ſtehen. — Nach einer Pauſe.) Bin ich denn noch? und iſt denn Etwas noch? Dieß weite All, es ſtürzte nicht zuſammen In jenem fürchterlichen Augenblick? Die Dunkelheit, die brütend mich umfängt, Es iſt die Nacht und nicht das Grab! Man ſagt ja doch, ein ungeheurer Schmerz, Er könne tödten. — Ach, es iſt nicht ſo! — Still iſt es um mich her, die Lüfte ſchweigen, Des Lebens muntre Töne ſind verſtummt, Kein Laut ſchallt aus den unbewegten Blättern, Und einſam, wie ein ſpätverirrter Fremdling, Geht meines Weinens Stimme durch die Nacht. — <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0082" n="72"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Vierter Aufzug</hi>.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <stage>Freye Gegend wie in den vorigen Aufzügen. Mondnacht.</stage><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Erſter Auftritt</hi>.</head><lb/> <sp who="#SAP"> <speaker> <hi rendition="#g">Sappho</hi> </speaker><lb/> <stage>(kömmt, in tiefe Gedanken verſenkt. Sie bleibt ſtehen. —<lb/> Nach einer Pauſe.)</stage><lb/> <p><hi rendition="#g"><hi rendition="#in">B</hi>in</hi> ich denn noch? und iſt denn <hi rendition="#g">Etwas</hi> noch?<lb/> Dieß weite All, es ſtürzte nicht zuſammen<lb/> In jenem fürchterlichen Augenblick?<lb/> Die Dunkelheit, die brütend mich umfängt,<lb/> Es iſt die Nacht und nicht das Grab!<lb/> Man ſagt ja doch, ein ungeheurer Schmerz,<lb/> Er könne tödten. — Ach, es iſt nicht ſo! —<lb/> Still iſt es um mich her, die Lüfte ſchweigen,<lb/> Des Lebens muntre Töne ſind verſtummt,<lb/> Kein Laut ſchallt aus den unbewegten Blättern,<lb/> Und einſam, wie ein ſpätverirrter Fremdling,<lb/> Geht meines Weinens Stimme durch die Nacht. —<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [72/0082]
Vierter Aufzug.
Freye Gegend wie in den vorigen Aufzügen. Mondnacht.
Erſter Auftritt.
Sappho
(kömmt, in tiefe Gedanken verſenkt. Sie bleibt ſtehen. —
Nach einer Pauſe.)
Bin ich denn noch? und iſt denn Etwas noch?
Dieß weite All, es ſtürzte nicht zuſammen
In jenem fürchterlichen Augenblick?
Die Dunkelheit, die brütend mich umfängt,
Es iſt die Nacht und nicht das Grab!
Man ſagt ja doch, ein ungeheurer Schmerz,
Er könne tödten. — Ach, es iſt nicht ſo! —
Still iſt es um mich her, die Lüfte ſchweigen,
Des Lebens muntre Töne ſind verſtummt,
Kein Laut ſchallt aus den unbewegten Blättern,
Und einſam, wie ein ſpätverirrter Fremdling,
Geht meines Weinens Stimme durch die Nacht. —
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