Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

allzu langes Warten konnte für Gleichgültigkeit ausgelegt werden. Mit dem Mädchen auf dem Gange zu sprechen, getraute ich mir nicht, da unsere erste Zusammenkunft bei meinen Kameraden ruchtbar geworden war und sie vor Begierde brannten, mir einen Streich zu spielen.

Ich hatte inzwischen die Violine mit Eifer wieder aufgenommen und übte vor der Hand das Fundament gründlich durch, erlaubte mir wohl auch von Zeit zu Zeit aus dem Kopfe zu spielen, wobei ich aber das Fenster sorgfältig schloß, da ich wußte, daß mein Vortrag mißfiel. Aber wenn ich das Fenster auch öffnete, bekam ich mein Lied doch nicht wieder zu hören. Die Nachbarin sang theils gar nicht, theils so leise und bei verschlossener Thüre, daß ich nicht zwei Töne unterscheiden konnte.

Endlich -- es waren ungefähr drei Wochen vergangen -- vermochte ich's nicht mehr auszuhalten. Ich hatte zwar schon durch zwei Abende mich auf die Gasse gestohlen -- und das ohne Hut, damit die Dienstleute glauben sollten, ich suchte nur nach etwas im Hause -- so oft ich aber in die Nähe des Grieslerladens kam, überfiel mich ein so heftiges Zittern, daß ich umkehren mußte, ich mochte wollen oder nicht. Endlich aber -- wie gesagt -- konnte ich's nicht mehr aushalten. Ich nahm mir ein Herz und ging eines Abends -- auch diesmal ohne Hut -- aus meinem Zimmer die Treppe hinab und festen Schrittes durch die Gasse bis zu dem Grieslerladen, wo ich vor der Hand stehen blieb und

allzu langes Warten konnte für Gleichgültigkeit ausgelegt werden. Mit dem Mädchen auf dem Gange zu sprechen, getraute ich mir nicht, da unsere erste Zusammenkunft bei meinen Kameraden ruchtbar geworden war und sie vor Begierde brannten, mir einen Streich zu spielen.

Ich hatte inzwischen die Violine mit Eifer wieder aufgenommen und übte vor der Hand das Fundament gründlich durch, erlaubte mir wohl auch von Zeit zu Zeit aus dem Kopfe zu spielen, wobei ich aber das Fenster sorgfältig schloß, da ich wußte, daß mein Vortrag mißfiel. Aber wenn ich das Fenster auch öffnete, bekam ich mein Lied doch nicht wieder zu hören. Die Nachbarin sang theils gar nicht, theils so leise und bei verschlossener Thüre, daß ich nicht zwei Töne unterscheiden konnte.

Endlich — es waren ungefähr drei Wochen vergangen — vermochte ich's nicht mehr auszuhalten. Ich hatte zwar schon durch zwei Abende mich auf die Gasse gestohlen — und das ohne Hut, damit die Dienstleute glauben sollten, ich suchte nur nach etwas im Hause — so oft ich aber in die Nähe des Grieslerladens kam, überfiel mich ein so heftiges Zittern, daß ich umkehren mußte, ich mochte wollen oder nicht. Endlich aber — wie gesagt — konnte ich's nicht mehr aushalten. Ich nahm mir ein Herz und ging eines Abends — auch diesmal ohne Hut — aus meinem Zimmer die Treppe hinab und festen Schrittes durch die Gasse bis zu dem Grieslerladen, wo ich vor der Hand stehen blieb und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0041"/>
allzu langes Warten konnte für                Gleichgültigkeit ausgelegt werden. Mit dem Mädchen auf dem Gange zu sprechen,                getraute ich mir nicht, da unsere erste Zusammenkunft bei meinen Kameraden ruchtbar                geworden war und sie vor Begierde brannten, mir einen Streich zu spielen.</p><lb/>
        <p>Ich hatte inzwischen die Violine mit Eifer wieder aufgenommen und übte vor der Hand                das Fundament gründlich durch, erlaubte mir wohl auch von Zeit zu Zeit aus dem Kopfe                zu spielen, wobei ich aber das Fenster sorgfältig schloß, da ich wußte, daß mein                Vortrag mißfiel. Aber wenn ich das Fenster auch öffnete, bekam ich mein Lied doch                nicht wieder zu hören. Die Nachbarin sang theils gar nicht, theils so leise und bei                verschlossener Thüre, daß ich nicht zwei Töne unterscheiden konnte.</p><lb/>
        <p>Endlich &#x2014; es waren ungefähr drei Wochen vergangen &#x2014; vermochte ich's nicht mehr                auszuhalten. Ich hatte zwar schon durch zwei Abende mich auf die Gasse gestohlen &#x2014;                und das ohne Hut, damit die Dienstleute glauben sollten, ich suchte nur nach etwas im                Hause &#x2014; so oft ich aber in die Nähe des Grieslerladens kam, überfiel mich ein so                heftiges Zittern, daß ich umkehren mußte, ich mochte wollen oder nicht. Endlich aber                &#x2014; wie gesagt &#x2014; konnte ich's nicht mehr aushalten. Ich nahm mir ein Herz und ging                eines Abends &#x2014; auch diesmal ohne Hut &#x2014; aus meinem Zimmer die Treppe hinab und festen                Schrittes durch die Gasse bis zu dem Grieslerladen, wo ich vor der Hand stehen blieb                und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0041] allzu langes Warten konnte für Gleichgültigkeit ausgelegt werden. Mit dem Mädchen auf dem Gange zu sprechen, getraute ich mir nicht, da unsere erste Zusammenkunft bei meinen Kameraden ruchtbar geworden war und sie vor Begierde brannten, mir einen Streich zu spielen. Ich hatte inzwischen die Violine mit Eifer wieder aufgenommen und übte vor der Hand das Fundament gründlich durch, erlaubte mir wohl auch von Zeit zu Zeit aus dem Kopfe zu spielen, wobei ich aber das Fenster sorgfältig schloß, da ich wußte, daß mein Vortrag mißfiel. Aber wenn ich das Fenster auch öffnete, bekam ich mein Lied doch nicht wieder zu hören. Die Nachbarin sang theils gar nicht, theils so leise und bei verschlossener Thüre, daß ich nicht zwei Töne unterscheiden konnte. Endlich — es waren ungefähr drei Wochen vergangen — vermochte ich's nicht mehr auszuhalten. Ich hatte zwar schon durch zwei Abende mich auf die Gasse gestohlen — und das ohne Hut, damit die Dienstleute glauben sollten, ich suchte nur nach etwas im Hause — so oft ich aber in die Nähe des Grieslerladens kam, überfiel mich ein so heftiges Zittern, daß ich umkehren mußte, ich mochte wollen oder nicht. Endlich aber — wie gesagt — konnte ich's nicht mehr aushalten. Ich nahm mir ein Herz und ging eines Abends — auch diesmal ohne Hut — aus meinem Zimmer die Treppe hinab und festen Schrittes durch die Gasse bis zu dem Grieslerladen, wo ich vor der Hand stehen blieb und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:14:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:14:44Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910/41
Zitationshilfe: Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910/41>, abgerufen am 03.12.2024.